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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Orgel

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Orgel.

verbietet hier der Raum; wir lassen nur noch einige Bemerkungen über die verschiedenen Stimmen der O. folgen. Man unterscheidet zunächst hinsichtlich der Art der Tonerzeugung Labialstimmen (Flötenwerke) und Zungenstimme (Schnarrwerke). Vgl. Blasinstrumente. Hinsichtlich der Tonhöhe (s. Fußton), welche die Pfeifen eines Registers geben, unterscheidet man Grund- oder Hauptstimmen und Hilfsstimmen. Eine Grundstimme gibt für die Taste c immer den Ton c, aber nur bei den 8'- (acht Fuß-) Stimmen, welche Äqual-, Kern- oder Normalstimmen heißen, das c derselben Oktave (d. h. auf Taste groß C den Ton groß C, auf Taste [eingestrichen] c' den Ton c' etc.); die Oktavstimmen oder Seitenstimmen geben dagegen eine höhere oder tiefere Oktave. Den Hauptfonds des Orgeltons geben die Kernstimmen, welche deshalb in größerer Zahl vertreten sein müssen als jede andre Fußgröße (d. h. als etwa die 16-, 4- oder 2füßigen Stimmen); die Kernstimmen gruppieren sich wieder um die eigentlichste Hauptstimme: das achtfüßige Prinzipal (s. d.), die älteste Orgelstimme, welche vor 1000 Jahren beinahe ebenso konstruiert wurde wie heute. Jedes Manual der O. pflegt eine eigne 8-Fuß-Prinzipalstimme zu haben, die aber für jedes anders intoniert ist (stärker, schwächer); große Orgeln haben im Hauptmanual mehrere 8-Fuß-Prinzipale, seltener sind die 16-Fuß-Prinzipale im Manual. Für das Pedal ist Prinzipal 16 Fuß die eigentliche Kernstimme, da das Pedal eine Oktave tiefer klingen muß, als es notiert wird; doch haben kleinere Orgeln häufig statt Prinzipal 16 Fuß ein Gedackt 16 Fuß, große aber sogar Prinzipal 32 Fuß. Die Hilfsstimmen sind wie die höhern Oktavstimmen nur zur Verstärkung des Klanges da, sie geben Obertöne der Kernstimmen; man unterscheidet einfache Hilfsstimmen und gemischte. Sämtliche Hilfsstimmen sind Labialstimmen und haben Prinzipalmensur. Halbe Stimmen nennt man solche, welche nur für eine Hälfte der Klaviatur disponiert sind, wie z. B. Oboe, welches nur Diskantstimme ist und durch die Baßstimme Dolcian (Fagott) zu ergänzen ist. Übergeführte Stimmen sind solche, welche im Baß keine eignen Pfeifen haben, sondern die einer andern Stimme benutzen (ohne Zuthun des Spielers). Eine O. ohne Pedal und nur mit Labialpfeifen besetzt heißt Positiv, eine nur mit Zungenstimme Regal. Die äußere Umkleidung der Q heißt Gehäuse, die vordere Fassade, welche durch die schönsten Prinzipalpfeifen als Prunkstück geziert wird, Prospekt. Bei manchen Orgeln liegen die Klaviaturen nicht in einer Nische des Orgelgehäuses, sondern ein Stück vor demselben in einem frei stehenden Kasten (Spieltisch). Über andre Kunstausdrücke sowie über die einzelnen Orgelstimmen vgl. die Spezialartikel.

In Kompositionen für O. werden die Pedalnoten mit Ped. (Pedale), die Manualnoten mit Man. (Manuale, manualiter) oder auch mit s. p. (senza pedale) bezeichnet. Tritt neben dem Manual das Pedal mit einer vollkommen selbständig geführten Stimme auf, so schreibt man diese in ein drittes System. Die beiden über ihm stehenden Systeme sind sodann nur für das Manual bestimmt. Die Registrierung wird, namentlich in ältern Kompositionen, vom Komponisten nur selten angegeben. Ganz genau kann sie schon deshalb nicht vorgeschrieben werden, weil die Orgeln hinsichtlich ihrer Register große Verschiedenheiten aufweisen. Der Tonsetzer begnügt sich deshalb meist mit einigen allgemeinen, zu Anfang des Stücks verzeichnet Bestimmungen, wenn er seiner Komposition eine bestimmte Tonhöhe oder Klangfarbe für angemessen hält. Werden die sämtlichen Register zugleich benutzt, so nennt man dies das volle Werk (organo pieno) spielen; in allen übrigen Fällen jedoch hat die Registrierkunst des Organisten (d. h. dessen Geschmack hinsichtlich des Wechsels und der Verbindung einzelner Register) endgültig zu entscheiden.

Eine befriedigende Geschichtschreibung der O. fehlt noch, wenn auch schon wiederholt Anläufe dazu genommen wurden. Der Ursprung des Instruments reicht ins Altertum zurück; seine Vorfahren sind die Sackpfeife und Panspfeife. Doch finden wir schon wirkliche Orgeln mit Winderzeugung durch Luftpumpen (Bälge) und Komprimierung der Luft durch Druck (Wasser) und Spiel mittels einer Art Klaviatur im 2. Jahrh. v. Chr. Als Erfinder dieser sogen. Wasserorgel (Organum hydraulicum) wird Ktesibios (170 v. Chr.) genannt; wir besitzen eine Beschreibung dieses Instruments durch seinen Schüler Hero von Alexandria (griechisch und deutsch in Vollbedings Übersetzung des Bedos de Celles). Das Wasser war durchaus kein notwendiger Bestandteil dieser Art Orgeln, und es scheint, daß man in der Folge Orgeln mit und ohne Wasserdruck in Griechenland und Italien baute. Wir haben die Beschreibung einer O. des Kaisers Julian Apostata (4. Jahrh.), eine andre findet sich bei Cassiodor (in der Erklärung des 150. Psalms), welche wertvolle Details beibringen; auch mehrere alte Abbildungen (Reliefs) beweisen, daß die O. im Abendland schon bekannt war, ehe Kaiser Konstantin Kopronymos 757 dem König Pippin eine zum Geschenk machte (vgl. den nähern Nachweis von H. Riemann in der "Allgemeinen musikalischen Zeitung" 1879, Nr. 4-6: "Orgelbau im frühen Mittelalter"). Jene ältesten Orgeln waren sehr klein und hatten in der Regel nur 8, höchstens 15 Pfeifen (2 Oktaven diatonisch), welche genau so konstruiert waren wie die heutigen Prinzipalpfeifen. Um 980 stand zu Winchester schon eine O. mit 400 Pfeifen und 2 Klavieren, die von zwei Spielern gespielt wurde (jedes Klavier zu 20 Tasten, der Umfang des Guidonischen Monochords, mit 10 Pfeifen für jede Taste, in der Oktave und Doppeloktave mehrfach besetzt). Von Mixturen weiß aber jene Zeit noch nichts. Die Scheidung des Pfeifenwerks in Register scheint im 12. Jahrh. vor sich gegangen zu sein. Die Orgeln des 4.-11. Jahrh. hatten eine sehr leichte Spielart; dagegen wurde nach Einführung einer komplizierten Mechanik, welche die gewaltige Vergrößerung des Instruments bedingte, die Spielart im 13.-14. Jahrh. so schwer, daß die Tasten mit den Fäusten geschlagen oder mit den Ellbogen heruntergestemmt werden mußten. Die Einführung der Zungenpfeifen (Schnarrwerk) erfolgte im 15. Jahrh., die, Erfindung des Pedals zu Anfang des 14. Jahrh. Über die jahrhundertelang übliche eigentümliche Notenschrift für die O. vgl. Tabulatur; über weitere Erfindungen und Verbesserungen im Orgelbau s. die Spezialartikel. Berühmte Orgelbauer älterer und neuerer Zeit sind: Esaias Compenius, Arp. Schnitzker, Zacharias Hildebrand, die Trampeli, die Silbermann, Hering, Gasparini, Daublaine-Collinet, Cavaillé-Coll, Schulze, Buchholz, Merklin und Schütze, Ladegast, Walcker, Reubke etc. Zu den hervorragendsten Orgelspielern gehörten im 14. Jahrh. Fr. Landino; im 15. Bernard der Deutsche in Venedig, Paul Hofheimer, Konrad Paumann (fälschlich Paulmann genannt), Arnold Schlick, Jakob Paix und A. Squarcialupo (dagli Organi); im 16. Claud. Merulo, Andrea und Giovanni Gabrieli und Striggio; im 17. Buxtehude (der Vor-^[folgende Seite]