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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreich, Kaisertum

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Österreich, Kaisertum (Staatsverfassung und -Verwaltung).

Wien und Prag sind die Zentralpunkte des österreichischen Eisenbahnnetzes. Außerdem bilden hervorragende Eisenbahnknotenpunkte die in dem nordwest-böhmischen Kohlenbecken, welches sich durch das verzweigteste Bahnnetz auszeichnet, gelegenen Städte Aussig, Teplitz, Brüx und Komotau, ferner Pilsen, Eger, Budweis, Kolin in Böhmen, Brünn und Olmütz in Mähren, Jägerndorf und Oderberg in Schlesien, Wiener-Neustadt in Niederösterreich, Graz in Steiermark, Villach in Kärnten, Krakau und Lemberg in Galizien. Die Telegraphie hat sich seit ihrer Einführung in Ö. (1848) zu einem wichtigen Verkehrsmittel entwickelt; sie verfügte 1886 über 39,108 km Telegraphenlinien mit 102,481 km Drähten, 3192 Stationen und 4655 Apparaten. Außer dem Staatstelegraphen ist hierunter auch der Telegraph der Eisenbahnverwaltungen und der Privattelegraph (namentlich der Wiener Lokaltelegraph) inbegriffen. Der Korrespondenzverkehr umfaßt 6,3 Mill. gebührenpflichtige Depeschen. Das Postwesen zeigt namentlich auf dem Gebiet des Briefpostverkehrs eine außerordentliche Steigerung, wogegen der Frachtverkehr durch die Entwickelung des Eisenbahnwesens in engere Grenzen eingeschränkt wurde. Es bestehen gegenwärtig 4347 Postanstalten, welche einen Briefpostverkehr von 408 Mill. Briefen und Korrespondenzkarten, über 56 Mill. Stück Warenproben und Drucksachen und 90 Mill. Zeitungsexemplare vermitteln. Zu den Förderungsmitteln des Handels und Verkehrs gehören außerdem die Märkte, welche aber seit der raschen Zunahme der Eisenbahnlinien ihre einstige Bedeutung eingebüßt haben, die Handels- und Gewerbekammern (29), die Börsen, die Banken und Kreditinstitute u. a. Ö. besitzt im ganzen 53 Banken und Anstalten für den hypothekarischen, Geschäfts- und industriellen Kredit, von welchen eine einzige mit dem Rechte der Notenausgabe versehen ist, nämlich die 1816 gegründete k. k. privilegierte Österreichische Nationalbank, seit 1878 Österreichisch-ungarische Bank, in Wien mit einem Aktienkapital von 90 Mill. und einem Banknotenumlauf von 375 Mill. Gulden, deren Wirksamkeit sich auf den ganzen Umfang des Reichs erstreckt. Die hervorragendsten sonstigen Bankinstitute sind: die Österreichische Kreditanstalt für Handel und Gewerbe (Aktienkapital 40 Mill. Guld.), die Länderbank (46,8 Mill. Guld.), der Wiener Bankverein (25 Mill. Guld.), die Anglo-österreichische Bank (18 Mill. Guld.), die Unionbank (12 Mill. Guld.) und die Allgemeine österreichische Bodenkreditanstalt (12 Mill. Guld.), sämtlich in Wien. Sparkassen zählt Ö. 380 mit Einlagen im Betrag von 1054 Mill. Guld. Hierzu kommt noch das Postsparkassenamt mit über 4000 Sammelstellen und 40,5 Mill. Guld. Einlagen. Der Münzfuß ist seit dem zwischen Ö. und den Staaten des Deutschen Zollvereins unterm 24. Jan. 1857 abgeschlossenen Münzvertrag der 45-Guldenfuß oder die österreichische Währung. Der Gulden wird in 100 Kreuzer eingeteilt und ist = 2 Mark. Das metrische Maßsystem ist seit 1. Jan. 1876 gesetzlich eingeführt.

Staatsverfassung und -Verwaltung.

Ö. bildet mit Ungarn eine Monarchie, welche dieselbe Dynastie und gewisse als gemeinsam erklärte Angelegenheiten besitzt (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie). Im übrigen sind Ö. und Ungarn besondere Staatsgebiete mit besonderer Verfassung, welche die eingeschränkt (repräsentativ-) monarchische ist. Staatsgrundgesetze sind für Ö. außer den mit Ungarn gemeinsamen (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie): das Diplom vom 20. Okt. 1860 (Einführung der konstitutionellen Regierungsform); die Staatsgrundgesetze vom 21. Dez. 1867 (betreffend die Organisation der Reichsvertretung, die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, die Einsetzung eines Reichsgerichts, die richterliche Gewalt, die Regierungs- und Vollzugsgewalt); die Reichsratswahlordnung vom 2. April 1873; die Landesordnungen und Landtagswahlordnungen für die einzelnen Länder vom 26. Febr. 1861 (durch spätere Gesetze modifiziert). Die österreichische Volksvertretung ist eine zweifache: eine Gesamtvertretung für alle Länder des österreichischen Staatsgebiets, der Reichsrat, dessen Wirkungskreis alle Gegenstände der Gesetzgebung umfaßt, welche Rechte, Pflichten und Interessen betreffen, die allen Ländern dieses Staatsgebiets gemeinschaftlich sind, und eine besondere Vertretung für jedes einzelne Land, die Landtage. Der Reichsrat besteht aus dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Mitglieder des erstern sind durch Geburt die großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses, mit erblicher Würde die großjährigen Häupter hervorragender Adelsgeschlechter, vermöge hoher Kirchenwürde die Erzbischöfe und Fürstbischöfe, dann auf Lebensdauer vom Kaiser berufene verdiente Männer, insgesamt gegenwärtig 190 Mitglieder. Das Haus der Abgeordneten ist aus 353 Mitgliedern zusammengesetzt, welche von den Wählerklassen des großen Grundbesitzes (in Tirol des adligen großen Grundbesitzer der Äbte und Pröpste, in Dalmatien der Höchstbesteuerten), der Städte, Märkte und Industrieorte, der Handels- und Gewerbekammern und der Landgemeinden auf die Dauer von sechs Jahren gewählt werden. In ähnlicher Weise wie das Abgeordnetenhaus des Reichsrats sind die Landtage zusammengesetzt, denen als verwaltendes und ausführendes Organ der gewählte Landesausschuß zur Seite steht.

Die Gemeindevertretung beruht in den im Reichsrat vertretenen Ländern auf dem Reichsgesetz vom 5. März 1862 und auf den Gemeindeordnungen der verschiedenen Länder, neben welchen noch die Landeshauptstädte und einige andre Städte besondere Gemeindestatuten besitzen. In jeder Gemeinde bestehen der Gemeindeausschuß und der Gemeindevorstand; der erstere, von den wahlberechtigten Gemeindemitgliedern auf drei Jahre gewählt, ist das beschließende und überwachende, der letztere, vom Gemeindeausschuß berufen und aus dem Gemeindevorsteher, dann mindestens zwei andern Mitgliedern gebildet, ist das verwaltende und vollziehende Organ. An Stelle des letztern tritt in den Städten eine Körperschaft (Magistrat, Bürgermeisteramt), welche entweder bloß aus Beamten oder teils aus diesen, teils aus Ausschußmitgliedern zusammengesetzt ist. Der Wirkungskreis der Gemeinde ist ein doppelter: der selbständige, der das eigentliche Gebiet der Gemeinde berührt, und der übertragene, welcher in der Mitwirkung zu Zwecken der Staatsverwaltung besteht. Gemeinden höherer Ordnung bilden die Bezirke, welche aber bisher nur in Steiermark, Tirol, Böhmen, Schlesien und Galizien eigne Bezirksvertretungen und Bezirksausschüsse für ihre gemeinsamen Interessen besitzen.

Die Staatsverwaltung geht in oberster Linie vom Kaiser aus und wird in dessen Namen von den Ministerien und den denselben untergeordneten Behörden ausgeübt. Zum unmittelbaren Dienste des Landesfürsten ist die Kabinettskanzlei für die Zivil- und die Militärkanzlei für die Militärangelegenheiten bestimmt. Für das österreichische Staatsgebiet sind als oberste Zentralbehörden sieben k. k. Ministerien mit dem Sitz in Wien bestellt, nämlich: die