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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1864-1867).

gende Notwendigkeit gründlicher Reformen erkannt. Als das Schmerlingsche Ministerium nichts Ernstliches in dieser Richtung that, wurde daher die deutsch-liberale Partei im Abgeordnetenhaus ungeduldig und warf in der Antwortsadresse auf die Thronrede, mit welcher der Reichsrat 14. Nov. 1864 wieder eröffnet worden war, der Regierung ihre Unterlassungssünden in entschiedenen Worten vor; sie tadelte die schleswig-holsteinische Politik, beklagte, daß in einem großen Teil des Reichs noch keine verfassungsmäßigen Zustände herrschten, und forderte, daß die Deckung der Defizits durch Anleihen aufhöre und nach Ersparungen nicht bloß gestrebt, sondern die Staatsausgaben streng nach dem Maß der ordentlichen Einnahmen geregelt würden. Das Abgeordnetenhaus bewilligte demgemäß die Steuererhöhungen für 1865 nur auf drei Monate und minderte das Defizit im Budget auf 7 Mill. herab. Die Regierung setzte aber im Herrenhaus die Bewilligung von 6 Mill. Mehrausgaben für Heer und Marine durch und verlangte zur Deckung weiterer Defizits und Steuerausfälle eine Anleihe von 117 Mill., was große Unzufriedenheit erweckte und die schärfste Kritik hervorrief.

Da nun Schmerling die Voraussetzungen, unter denen er an die Spitze des Ministeriums berufen worden, nicht erfüllte, nämlich alle Länder zur Anerkennung der Februarverfassung zu bewegen und die Mehrheit des Reichsrats für eine bedingungslose Unterstützung der Regierung zu gewinnen, reifte in den Hofkreisen der Entschluß, die Fortsetzung der bisherigen Regierungsweise auf andre Art, durch die Versöhnung mit den Ungarn, zu ermöglichen. Im Juni 1865 unternahm der Kaiser zu diesem Zweck eine Reise nach Pest, wo er von den altkonservativen Magnaten glänzend empfangen wurde. Einer ihrer Führer, der Graf Mailáth, wurde zum ungarischen Hofkanzler ernannt, die bisherigen Hofkanzler von Ungarn und Siebenbürgen, die Grafen Franz Zichy und Nádasdy, Anhänger der Februarverfassung, entlassen. Infolge davon reichte Schmerling mit der Mehrzahl seiner Kollegen seinen Abschied ein, und der feudal gesinnte Graf Belcredi trat an seine Stelle. Dieser setzte sich die Rückkehr zum alten Absolutismus mit Einzellandtagen in den Kronländern und die Fortdauer des Konkordats zum Ziel. Durch ein kaiserliche Manifest vom 20. Sept. 1865 wurde der weitere und engere Reichsrat vertagt und damit die ganze Februarverfassung sistiert, bis man die Vertreter der andern Königreiche und Länder darüber vernommen hätte. Die Landtage der deutschen Kronländer, die von der Sistierung der liberalen Gesamtstaatsverfassung am schwersten betroffen worden, baten in Adressen an den Kaiser um deren Herstellung, jedoch vergeblich. Im Dezember wurde der ungarische Landtag vom Kaiser selbst eröffnet, um eine Versöhnung herbeizuführen. Die Thronrede erkannte die Rechtskontinuität und die formelle Gültigkeit der Gesetze von 1848 an, verlangte aber deren vorherige Revision, während die Ungarn erst ihre Einführung forderten. Noch war man zu keiner Einigung gelangt, als der Krieg mit Preußen ausbrach und der Landtag 26. Juni 1866 geschlossen wurde.

Die Rückkehr zum frühern, nur durch die feudal-klerikalen Stände beschränkten Absolutismus hoffte das Ministerium Belcredi durch den glücklichen Ausgang des Kriegs mit Preußen zu befördern. Seit dem Rücktritt Rechbergs hatte Österreich seine Haltung in der schleswig-holsteinischen Frage geändert und sich den Mittelstaaten wieder genähert. Allerdings kam es 14. Aug. 1865 noch einmal zu einer Verständigung mit Preußen, der Gasteiner Konvention. Aber Österreich war nicht geneigt, die Elbherzogtümer an Preußen zu überlassen; höchstens für eine Landabtretung in Schlesien hätte es auf seine Kondominatsrechte verzichtet. Für Geld wollte es Schleswig-Holstein ebensowenig hergeben wie Venetien. Es übertrug also die Entscheidung der Erbfolgefrage dem Bunde. Dies sah Preußen als einen Bruch der Verträge an. Nach heftigen Streitigkeiten führte Österreich, nachdem es einen Kongreß zur Schlichtung des Streits abgelehnt hatte, im Vertrauen auf seine kriegerische Überlegenheit und die Hilfe der meisten deutschen Staaten den Ausbruch des Kriegs (s. Preußisch-Deutscher Krieg) durch seinen Antrag auf Mobilmachung der nichtpreußischen Bundeskorps, der am 14. Juni 1866 vom Bundestag angenommen wurde, herbei. Die österreichische Streitmacht siegte zwar über das mit Preußen verbündete Italien zu Lande 24. Juni bei Custozza, zur See 20. Juli bei Lissa, unterlag aber den Preußen völlig in Böhmen, zuletzt bei Königgrätz (3. Juli). Österreich wurde gezwungen, unter Preisgebung seiner deutschen Verbündeten den Frieden von Prag (23. Aug.) zu schließen. Derselbe legte zwar Österreich, abgesehen von der Abtretung Venetiens, keine Verluste an Ländergebiet auf, drängte es aber aus Deutschland hinaus, so daß es die 1815 errungene und 1849 wiedererobert herrschende Stellung in Italien und Deutschland für immer verlor.

Naturgemäß übte der unglückliche Ausgang des Kriegs auch auf die innern Verhältnisse Österreichs eine bedeutende Wirkung aus. Die Sistierungspolitik mußte aufgegeben und möglichst rasch verfassungsmäßige Zustände hergestellt werden, damit die Finanzen geordnet und die notwendigen Reformen in Angriff genommen werden konnten. Belcredis Plan war, Österreich in fünf Königreiche mit feudalen Verfassungen zu zerlegen, welche nur durch die Person des Kaisers verbunden sein sollten; der Kaiser und seine Minister sollten die gemeinsamen und äußern Angelegenheiten nach eignem Ermessen leiten. Er bereitete zu diesem Zweck die Berufung eines außerordentlichen Reichsrats der deutsch-slawischen Länder vor. Die bisherigen Landtage derselben wurden 3. Febr. 1867 aufgelöst und die Wahl neuer Landtage angeordnet, welche die Mitglieder eines außerordentlichen Reichsrats zu ernennen hätten. Diesem sollte der Ausgleich mit Ungarn vorgelegt werden, worauf dann die Polen, Tschechen und Kroaten ähnliche Zugeständnisse gefordert und erhalten hätten. Die Slawen würden also das Übergewicht in Österreich erhalten haben und dieses ein feudal-konservative Föderativstaat mit absolut monarchischer Spitze geworden sein. Gegen den Belcredischen Plan erklärten sich aber sowohl die gemäßigte Partei der Ungarn, deren Führer Deák ihre Forderungen genau formuliert hatte, als die Führer der deutschen und liberalen Partei in den deutsch-slawischen Kronländern. Mehrere Landtage verlangten in Adressen an die Krone die Wiederherstellung der Februarverfassung und den Ausgleich mit Ungarn und drohten, die Wahlen zum außerordentlichen Reichsrat zu verweigern, während in Ungarn nach Ablehnung der Deákschen Forderungen die radikale Partei, welche nur eine reine Personalunion zugestehen wollte, zur Herrschaft gelangt wäre. Da demnach der Plan Belcredis unausführbar schien, bewog Beust, der im Oktober 1866 zum Minister des Auswärtigen ernannt worden war, den Kaiser, die Wünsche der Deutschen und der Ungarn zu erfüllen, in Österreich den engern Reichsrat wie-^[folgende Seite]