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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1870-1871).

der Kaiser ablehnend antwortete, 4. April ihre Entlassung ein.

Der erste föderalistische Ausgleichsversuch.

Nach dem Rücktritt des Ministeriums Hasner beauftragte der Kaiser den Grafen Potocki mit der Bildung eines neuen Kabinetts. Da dieser sich mit den deutschen Autonomisten unter Rechbauer nicht verständigen konnte, so wählte er außer Taaffe hauptsächlich Beamte zu Mitgliedern des Ministeriums, das demnach einen provisorischen Charakter trug. Getreu dem in der Denkschrift vom 24. Dez. 1869 niedergelegten Programm begann nun Potocki mit den Führern der nationalen Opposition, besonders den Polen und Tschechen, Unterhandlungen über einen gütlichen Ausgleich auf Grundlage der Verfassung. Dieselben scheiterten jedoch an der Unerfüllbarkeit der polnischen und tschechischen Forderungen; ja, die Tschechen, denen sich die Feudalen und Klerikalen in Böhmen angeschlossen hatten, gingen hierbei noch über die Deklaration hinaus. Da die Regierung aber auch mit dem ihr mißtrauisch gegenüberstehenden, zu einem Rumpfparlament zusammengeschrumpften Reichsrat nichts ausrichten konnte, wurden 21. Mai 1870 das Abgeordnetenhaus und sämtliche Landtage, mit Ausnahme des böhmischen, dessen Auflösung erst 29. Juli erfolgte, aufgelöst und die neuen Landtage für 20. und 27. Aug. und 2. Sept., der Reichsrat für 15. Sept. einberufen.

In die Zeit der Neuwahlen fiel die Aufhebung des Konkordats aus Anlaß der ersten Abstimmung des vatikanischen Konzils über das Unfehlbarkeitsdogma (13. Juli). Auf den Bericht des Kultusministers Stremayr, der darlegte, daß mit jenem Dogma eine Veränderung in der Person des einen Kontrahenten stattgefunden habe, das Konkordat vom 18. Aug. 1855 damit hinfällig geworden sei, befahl der Kaiser 30. Juli 1870 dem Minister, die formelle Aufhebung des Übereinkommens dem päpstlichen Stuhl zu notifizieren und die erforderlichen Gesetzesvorlagen für den Reichsrat vorzubereiten. Im August traten die Landtage zusammen, bei ihrer Neuwahl hatte die deutsche Verfassungspartei in Böhmen die Mehrheit verloren und auch in Krain Einbußen erlitten. Überall suchte die Regierung durch Versprechungen die nationalen Parteien zu gewinnen und erreichte es auch, daß die Landtage von Galizien, der Bukowina und Istrien die Wahlen zum Reichsrat vornahmen. Nur der Landtag von Böhmen, in welchem die Deklaranten an den Sitzungen teilnahmen und mit den Feudalen die Majorität bildeten, weigerte sich und forderte in einer Adresse an den Kaiser 14. Sept. die Anerkennung des böhmischen Staatsrechts. Als daher der Reichsrat 15. Sept. eröffnet wurde, fehlten die böhmischen Abgeordneten. Als der Landtag trotz kaiserlichen Befehls auf seiner Weigerung und den Forderungen vom 14. Sept. beharrte, ordnete die Regierung 6. Okt. direkte Reichsratswahlen in Böhmen an. Infolge hiervon erhielt, da 24 Verfassungstreue und 36 Feudale und Deklaranten gewählt wurden, letztere aber nicht in den Reichsrat eintraten, die deutsche Verfassungspartei im Abgeordnetenhaus die Mehrheit, welche sie bisher nicht besessen hatte, weswegen dessen Sitzungen auch vertagt worden waren. Im November beschloß aber das Abgeordnetenhaus ebenso wie das Herrenhaus eine Adresse an den Kaiser, in welcher auf das entschiedenste die Aufrechterhaltung der Verfassung gefordert, Potockis Versuche eines Ausgleichs zwischen unvereinbaren Gegensätzen als unfruchtbar und aussichtslos bezeichnet und die föderalistischen Bestrebungen der Tschechen aufs schärfste getadelt wurden. Das Ministerium sah darin das beabsichtigte Mißtrauensvotum und reichte seine Entlassung ein. Dieselbe wurde zwar angenommen, doch beließ der Kaiser das Ministerium noch so lange im Amt, als die Delegationen in Pest tagten (24. Nov. 1870 bis 6. Febr. 1871). Dieselben bewilligten eine außerordentliche Ausgabe von 60 Mill. Guld. teils für die 1870 vorgenommenen, aber nach Sedan wieder eingestellten Rüstungen, teils für die Bedürfnisse der Zukunft.

Gleich nach Schluß der Delegationen wurde die Entscheidung des Kaisers über die Ministerkrisis veröffentlicht. Nachdem das Bürgerministerium zerbröckelt und Potockis Vermittelungspolitik gescheitert war, wurde auf Betreiben einer im verborgenen wirkenden reaktionären Kamarilla der Versuch beschlossen, die österreichische Verfassung den Forderungen der Slawen anzupassen. Diese Aufgabe übernahm das 7. Febr. 1871 ernannte neue Ministerium, an dessen Spitze der ultramontane Graf Hohenwart stand, dem außerdem zwei Tschechen (Habietinek für die Justiz und Jireček für den Kultus) und ein Pole, Graf Grocholski, angehörten, während die übrigen Minister zwar Deutsche, aber nicht Mitglieder der Verfassungspartei waren. In Wien nahm man das neue slawisch-feudal-klerikale Kabinett anfangs nicht ernst und nannte es das Faschingsministerium. Indes schritt Hohenwart entschlossen zur Verwirklichung seines deutschfeindlichen autonomistischen Programms. Nachdem es die Feier der deutschen Siege über Frankreich untersagt, legte es 25. April dem Reichsrat die erste der Vorlagen vor, welche nach seiner Ankündigung die legislative und administrative Autonomie der Länder so weit vermehren sollten, als es mit der notwendigen Reichseinheit vereinbar sei; dieselbe verlieh den Landtagen die Initiative in der Gesetzgebung. Sie wurde 9. Mai vom Abgeordnetenhaus abgelehnt. Hohenwart trat hierauf nicht nur nicht zurück, sondern erklärte am Tag darauf, 10. Mai, bei der ersten Beratung des am 5. Mai vorgelegten Gesetzentwurfs, der Galizien die in der galizischen Resolution geforderte Selbständigkeit verlieh, zugleich aber seinen Vertretern im Reichsrat das Recht beließ, in den Angelegenheiten der andern Provinzen mitzustimmen, daß er gesonnen sei, wenn die böhmische Opposition mit der Galizien zugestandenen Autonomie sich zufriedengeben würde, Böhmen dieselbe zuzugestehen. Die deutsche Mehrheit des Abgeordnetenhauses beschloß auf Antrag Herbsts 26. Mai, eine Adresse an den Kaiser zu richten, welche offen und rückhaltlos die gefährliche vom Ministerium geschaffene Lage darlegte. Aber als der Monarch beim Empfang derselben 30. Mai sein volles Vertrauen zu dem Ministerium aussprach und nun der Reichsratsmehrheit kein andres Mittel als die Verweigerung des Budgets übrigblieb, da versagte einigen der Abgeordneten doch der Mut, und sie enthielten sich der Abstimmung oder legten ihre Mandate nieder, und mit 77 gegen 66 Stimmen wurde Herbsts Antrag, nicht in die Budgetberatung eintreten, abgelehnt. Das Budget wurde 4. Juli genehmigt und 10. Juli 1871 der Reichsrat auf unbestimmt Zeit vertagt.

Nach diesem Sieg schritt Hohenwart auf der eingeschlagenen Bahn weiter vorwärts. Die Grundzüge des Ausgleichs wurden schon Anfang August dem Ministerrat vorgelegt und die Führer der tschechischen Opposition, Clam-Martinitz und Rieger, 5. Aug. vom Kaiser empfangen. Hierauf löste die Regierung die sieben verfassungstreuen Landtage auf und erreichte es durch rücksichtslose Beeinflussung der Wah-^[folgende Seite]