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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Pflanze

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Pflanze (Unterschied von Tier und P., Fortpflanzung).

weil sie, wie der Begriff des letztern erfordert, 1) sich ernährt, d. h. fremde und chemisch von ihren Bestandteilen verschiedene Stoffe in sich aufnimmt und zu solchen verarbeitet, 2) wächst, d. h. durch neue Bildungen, die sie aus ihren eignen Bestandteilen erzeugt, sich vergrößert, und 3) sich fortpflanzt, d. h. von selbst neue gleichartige Wesen hervorbringt. Auch unterscheidet sie sich durch ihre chemische Zusammensetzung aus organischen verbrennlichen Stoffen wesentlich von den Mineralien. Schwieriger ist es dagegen allezeit gewesen, einen durchgreifenden und zugleich anwendbaren Unterschied zwischen P. und Tier anzugeben. Denn wenn Linné beide Naturreiche schied, indem er sagte: "Plantae crescunt et vivunt, animalia crescunt, vivunt et sentiunt", oder wenn man, wie gewöhnlich, den Tieren allein Empfindung und freiwillige Bewegung zuschreibt, so trifft dies zwar zu, wenn wir irgend eine bestimmte P. von den höhern Stufen des Gewächsreichs einem bestimmten vollkommnern Tier gegenüberstellen; aber dieser Unterschied wird immer weniger anwendbar, je tiefer wir in beiden Reichen herabsteigen. Schon die Phanerogamen weisen Beispiele von Bewegungen einzelner Glieder auf, wie die sogen. Reizbewegungen, die periodischen Bewegungen, Heliotropismus und Geotropismus (s. Pflanzenbewegungen), und die Zirkulation des Protoplasmas in den Pflanzenzellen ist eine durch das ganze Gewächsreich gehende Erscheinung. Lebhafte Ortsbewegungen finden sich bei vielen niedern Pflanzen, besonders bei den Myxomyceten, bei den Schizomyceten, bei den Schwärmsporen der Algen und Pilze. Anderseits werden bei den Tieren die Bewegungen immer einförmiger, je mehr man sich den niedrigsten Organismen nähert, und bei diesen sind sie kaum von denjenigen der ihnen verwandten niedern Pflanzen verschieden. Von sinnlicher Wahrnehmung aber läßt sich bei den niedrigsten Organismen kaum reden. Es hat daher immer gewisse lebende Wesen gegeben, von denen man im Zweifel war, ob es Pflanzen oder Tiere seien. War dasselbe früher mit den Phytozoen oder Pflanzentieren der Fall, deren tierische Natur jetzt zweifellos ist, so gilt dies in der neuern Zeit von den Schizomyceten und Myxomyceten. Auf der niedrigsten Stufe der belebten Natur ist Tier und P. nicht unterschieden; beide Naturreiche gleichen zwei Leitern, die sich mit der untersten Sprosse berühren, während die obern Sprossen zufolge der Divergenz der Leitern in immer größerer Entfernung stehen. Wenn trotzdem die Teilung der Wissenschaft gebieterisch verlangt, die Organismen entweder ins Tier- oder ins Pflanzenreich zu stellen, so kann man sich hierbei eben nicht nach absoluten Merkmalen richten, sondern es entscheidet die Verwandtschaft mit dieser oder jener Gruppe von lebendigen Wesen, welche unzweifelhaft dem einen der beiden Reiche angehören, oder man verfährt einfach nach Konvenienz.

Die Eigentümlichkeiten des Pflanzenreichs, welche in gleicher Weise bei den Tieren nicht zu finden sind, liegen teils in Verhältnissen der Organisation, teils in gewissen Lebenserscheinungen. Zu den erstern gehört die Einheit des Elementarorgans, der vegetabilischen Zelle, die wir bei allen Pflanzen in annähernd gleicher Form der ursprünglichen Anlage antreffen. Diese meist mikroskopisch kleinen Organe, gebildet aus einer lebensfähigen Protoplasmamasse, die sich oft mit einer aus Cellulose bestehenden Haut umgibt (s. Zelle), sind für alle Pflanzen charakteristisch. Bei den niedrigsten Vegetabilien bildet eine einzige Zelle den ganzen Körper der P.; bei den einigermaßen vollkommnern aber ist schon eine Anzahl von Zellen zur Bildung des Körpers vereinigt, und bei den vollkommensten und größten Gewächsen, den Kräutern und Bäumen, besteht der Körper aus einer unzähligen Menge miteinander verbundener mikroskopisch kleiner Zellen. Jegliches Wachstum der P. beruht auf Vergrößerung dieser Elementarorgane, und diese geht vor sich, indem die Zellmembran ihren Flächenraum dadurch vergrößert, daß neue Zellstoffteilchen zwischen die alten eingelagert werden; der Ausdehnung der Zellmembran folgt das von ihr umschlossene Protoplasma nach. Bei den aus vielen Zellen zusammengesetzten Pflanzen tritt, wenn die Zelle auf diese Weise eine gewisse Größe erreicht hat, Teilung derselben in zwei Tochterzellen ein, deren jede dieselben Prozesse wiederholt, etc. In diesem Fall ist also das Wachstum verbunden mit Zellenvermehrung. Die meisten einzelligen Pflanzen sind mikroskopisch klein; auch bei ihnen tritt, sobald das Wachstum die für die Spezies charakteristische Größe erreicht hat, Vermehrung der Zelle ein, nur daß die Tochterzellen sich isolieren und gleich wieder als selbständige Individuen ein eignes Leben beginnen. Schon bei diesen einzelligen Pflanzen, die wir als die niedrigsten und dem Tierreich verwandtesten zu betrachten haben, wird die typisch pflanzliche Form gewonnen. Eine Differenzierung des Körpers in verschiedene, nur bestimmten Lebenszwecken dienende Organe besteht noch nicht: die einzige Zelle ist Ernährungs- und Fortpflanzungsorgan zugleich. Andre einzellige Pflanzen lassen schon eine Gliederung in verschiedenartige Teile und eine damit verbundene Trennung der physiologischen Thätigkeiten erkennen. Dieselbe ist bei allen höhern Pflanzen durchgehends vollzogen und dokumentiert sich auch äußerlich in der Gliederung des Pflanzenkörpers in die morphologischen Grundorgane. Vgl. Stengel, Wurzel, Blatt, Haare der Pflanzen.

In der Fortpflanzung, d. h. in der Erzeugung neuer Individuen, steht das Pflanzenreich dem Tierreich insofern nahe, als mit derselben schon von den niedern Stufen des Pflanzenreichs an ein Gegensatz zweier Geschlechter in Beziehung steht. Freilich muß davon die bloße Vermehrung oder vegetative Fortpflanzung der Gewächse unterschieden werden, welche derjenigen mancher niedern Tiere durch Teilung analog ist, und auf welcher die Vermehrung durch Zellenteilung bei den einzelligen, Algen und Pilzen, durch Brutknospen, Knollen, Zwiebeln, Ausläufer, Stecklinge bei den höhern Pflanzen beruht (vgl. Vermehrung der Pflanzen), und an welche sich auch die Bildung aller derjenigen Sporen und Schwärmsporen der niedern Kryptogamen, welche geschlechtslos entstehen, anschließt. Die einfachste Form einer geschlechtlichen Differenz bemerken wir schon bei manchen Algen und Pilzen in der sogen. Kopulation, bei welcher die beiden zur Zeugung wirkenden Teile noch einander gleich sind und sich vollständig miteinander zu Einer Masse vereinigen, welche dann eine Spore, den Keim eines neuen Individuums, darstellt. Die Paarung der Schwärmsporen bei einigen Algen schließt sich hier unmittelbar an. Aber schon bei vielen Algen und Pilzen und besonders vollkommen bei den Moosen und Farnen differenzieren sich beide Geschlechter in einer mit den Verhältnissen im Tierreich überraschenden Ähnlichkeit, indem das männliche Element als Spermatozoid, das weibliche als Eikugel (Eizelle) auftritt, welche durch jene befruchtet wird. Bei den Phanerogamen haben wir im Pollenkorn das männliche, in der Eizelle innerhalb der Samenknospen das zu be-^[folgende Seite]