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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Physik

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Physik (Allgemeines; Geschichtliches).

die Erscheinungen, welche sie erklären soll, mit logischer Notwendigkeit entwickeln lassen. Sind sämtliche Folgerungen einer Hypothese mit den Thatsachen im Einklang, so darf die angenommene Ursache als möglich betrachtet werden, und sie wird um so wahrscheinlicher, je mehr Thatsachen sich aus ihr erklären lassen. Dagegen ist eine Hypothese unbedingt zu verwerfen, sobald sie auch nur mit einer einzigen konstatierten Thatsache in Widerspruch tritt. Je nach der Art der Darstellung unterscheidet man die Experimentalphysik, welche die vorgetragenen Lehren unmittelbar aus der Erfahrung entnimmt und durch Experimente erläutert, von der theoretischen P., welche aus wenigen an die Spitze gestellten Erfahrungssätzen und Hypothesen ihr Lehrgebäude durch bloße Denkprozesse entwickelt und erst hinterher die Übereinstimmung ihrer Resultate mit der Erfahrung nachweist. Da die letztere sich zu ihren Deduktionen der Mathematik als unentbehrlichen Hilfsmittel bedient, wird sie auch als mathematische P. bezeichnet. Ihrem Inhalt nach zerfällt die P. in mehrere Hauptteile, welche man in zwei große Gruppen zusammenzustellen pflegt, in die reine und in die angewandte P.; während jene die Naturgesetze an und für sich zu ermitteln sucht, wendet diese die bereits erkannten Gesetze zur Erklärung der von der Natur im großen dargebotenen Erscheinungen an. Zur Gruppe der angewandten physikalischen Wissenschaften gehören daher: die physische Astronomie oder die Mechanik des Himmels, welche die Bewegungen der Himmelskörper aus dem Gravitationsgesetz erklärt; die Astrophysik, welche die physische Beschaffenheit der Himmelskörper zu erforschen sucht; die physikalische Geographie, als Nachweisung der Beschaffenheit und der Veränderungen, welche unsre Erde und insbesondere deren Oberfläche infolge stets thätiger Naturkräfte zeigt, und die Meteorologie, deren Aufgabe darin besteht, die in unsrer Atmosphäre vorkommenden zahlreichen Erscheinungen zu studieren. Abgesehen von der Lehre von den allgemeinen Eigenschaften der Körper, welche als ein einleitendes Kapitel betrachtet werden kann, zerfällt die reine P. in zwei Hauptabteilungen, deren erste, die mechanische P., von dem Gleichgewicht und der Bewegung der Körper handelt; indem sich diese Lehren der Reihe nach auf die festen, flüssigen und gasförmigen Körper beziehen, bilden sie die drei Abschnitte der Statik und Dynamik im engern Sinn (auch Geostatik und Geodynamik), der Hydrostatik und Hydrodynamik (Hydraulik) und der Aerostatik und Aerodynamik. Eine selbständige Stelle nimmt innerhalb der mechanischen P. die Lehre vom Schall oder die Akustik ein, welche gewissermaßen den Übergang bildet zur zweiten Hauptabteilung, zur molekularen P., welche auch P. des Äthers genannt wird, weil die Ätherhypothese bei der Erklärung der hierher gehörigen Erscheinungen eine wesentliche Rolle spielt. Diese Abteilung zerfällt in die Lehre von der Wärme (Thermik, Kalorik), von der Elektrizität, dem Galvanismus, Magnetismus und Elektromagnetismus (Elektrik), endlich vom Licht (Optik).

Geschichte der Physik.

Eine physikalische Wissenschaft im heutigen Sinn existierte im Altertum nicht. Bei den Griechen bildete die P., in der Bedeutung von Naturwissenschaft überhaupt, neben Ethik und Dialektik einen Bestandteil der Philosophie und ward, wie diese, spekulativ behandelt. Die verschiedenen philosophischen Schulen Griechenlands konnten daher, indem sie eine Aufgabe, welche ihrem Wesen nach eine empirische Behandlung erheischt, aprioristisch zu lösen suchten, zur Erweiterung der Naturerkenntnis nichts Wesentliches beitragen. So haben namentlich die physikalischen Spekulationen eines Aristoteles (360 v. Chr.), da sie sich auf unbestimmt und von vornherein verfehlte Vorstellungen gründeten, die Erkenntnis der Naturgesetze eher aufgehalten, als gefördert. Aus der rein spekulativen Behandlung, welche der P. von seiten der Philosophenschulen zu teil wurde, darf aber nicht geschlossen werden, daß die induktive Forschungsmethode den Griechen unbekannt gewesen oder von ihnen mißachtet worden sei; hat ja doch Aristoteles selbst auf dem Gebiet der Naturgeschichte durch empirische Forschung bedeutende Erfolge erzielt, und in der nacharistotelischen Zeit wurde von einigen Mathematikern und Astronomen auch in der eigentlichen P. Tüchtiges geleistet. Unter diesen ist vor allen der geniale Syrakusaner Archimedes (287 bis 212) zu nennen, welcher den Auftrieb der Flüssigkeiten, die darauf sich gründende Bestimmung des spezifischen Gewichts und das Hebelgesetz entdeckte, ferner das Aräometer, den Flaschenzug und die Wasserschraube erfand. An Heron von Alexandria (284-221) erinnert der nach ihm benannte Heronsball und Heronsbrunnen, von denen er den erstern beschrieb, den zweiten erfand. Der berühmte alexandrinische Astronom Ptolemäos (um 120 n. Chr.) war der erste welcher die Lichtbrechung experimentell untersuchte und die Resultate seiner Messungen in Tabellen zusammenstellte, ohne daß es ihm jedoch gelang, das Brechungsgesetz aufzufinden. Die Römer, auf allen wissenschaftlichen Gebieten bloße Nachbeter der Griechen, haben auch in der P. eine selbständige Leistung nicht aufzuweisen.

Nach den Verheerungen der Völkerwanderung waren es hauptsächlich die Araber, welche den mathematischen und naturwissenschaftlichen Nachlaß des Altertums und darunter namentlich die Schriften des Aristoteles den christlichen Völkern Europas vermittelte. Unter ihnen sind der Astronom Ibn Yunis (gest. 1008), welcher sich zuerst des Pendels als Zeitmessers bedient haben soll, und Alhazen (gest. 1038) als Verfasser eines Werkes über Optik besonders hervorzuheben. Die christlichen Gelehrten des Mittelalters begnügten sich damit, die Lehren des Aristoteles zu kommentieren, und die Unduldsamkeit der scholastischen Philosophie erhob dieselben zu unantastbaren Dogmen. Unter dem Druck dieser geistigen Sklaverei ging nicht nur die Fähigkeit zu eigner Forschung, sondern sogar das Verständnis der von den Alten entdeckten Wahrheiten verloren. Selbst die Gelehrsamkeit eines Albertus Magnus (gest. 1280) und der Scharfsinn eines Roger Bacon (gest. 1294) vermochten unter diesen Umständen die wissenschaftliche Naturerkenntnis nicht zu fördern. Dagegen gebar der herrschende Mystizismus die Magie, die Astrologie und die Alchimie als Zerrbilder der P., Astronomie und Chemie. Von physikalischen Entdeckungen sind aus dem Mittelalter nur zu erwähnen das Bekanntwerden des Kompasses (1181), welcher übrigens bei den Chinesen schon viel früher im Gebrauch war, und die Erfindung der Brillen, welche von den einen dem Pisaner Mönch Alessandro della Spina (gest. 1313), von andern dem Florentiner Edelmann Salvino degli Armati (gest. 1317) zugeschrieben wird. Am Schluß des Mittelalters begegnen wir, als Vorläufern des Wiedererwachens der exakten Wissenschaft, den drei bedeutenden Mathematikern und Astronomen: Georg v. Purbach (gest. 1461), dessen Schüler Joh. Müller