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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Preußen

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Preußen (Geschichte: Friedrich Wilhelm III., bis 1807).

heimlich Hessen und Sachsen gegen die P. zugestandene Gründung eines norddeutschen Bundes auf, bot England Hannover, Rußland Preußisch-Polen als Preis eines Friedens an und überschüttete P. mit Hohn und Spott. So mußte dieses endlich zum Schwert greifen (Preußisch-französischer Krieg), in einem Augenblick und einer Lage so ungünstig, wie sie noch nie gewesen waren. Das Heer war in einem bedenklichen Zustand: die höhern Offiziere zum größern Teil alt und unfähig, zudem über die Schäden des Heerwesens völlig verblendet, Verpflegung, Kleidung und Bewaffnung der durch rohe Behandlung abgestumpften Soldaten höchst mangelhaft; die Kriegskunst war noch die Friedrichs d. Gr. Die Bevölkerung, von allem politischen Leben abgeschlossen, stand dem Staat gleichgültig gegenüber; selbst ein Teil der Beamten hatte das Vertrauen zu seinem Bestand verloren. Dazu fehlte es an Geld; zum erstenmal wurde in P. 1. Juni 1806 Papiergeld, die Tresorscheine, ausgegeben. Auf Bundesgenossen konnte P. nicht rechnen nach der eignen frühern Haltung; nur Sachsen stellte 20,000 Mann, Rußland versprach Hilfe.

Im September sammelte sich die preußische Feldarmee, im ganzen 130,000 Mann, in Thüringen um Erfurt; 7. Okt. wies Napoleon das preußische Ultimatum, welches von ihm forderte, daß er Süddeutschland räume und Norddeutschland der preußischen Hegemonie überlasse, zurück und drang mit überlegener Macht in das östliche Thüringen vor, wodurch er der preußischen Armee in den Rücken zu fallen drohte. Herzog Karl von Braunschweig, welcher, obwohl 71 Jahre alt, den Oberbefehl übernommen hatte, befahl daher den Abmarsch nach Osten in zwei Armeen, um sich bei Halle mit der Reservearmee zu vereinigen. Aber noch ehe dieselben die Saale überschritten hatten, wurde die südliche Armee unter Prinz Hohenlohe, deren Vorhut unter Prinz Ludwig Ferdinand 10. Okt. bei Saalfeld vernichtet worden war, 14. Okt. bei Jena von Napoleon selbst angegriffen und löste sich nach hartnäckigem Kampf in völlige Flucht auf; die nördliche unter dem Herzog selbst erlitt an demselben Tag bei Auerstädt gegen Davoût eine Niederlage. Die Heere gerieten auf der Flucht in solche Verwirrung, daß die Regimenter sich teilweise gänzlich auflösten und an einen erfolgreichen Widerstand im offenen Feld zunächst nicht gedacht werden konnte. Ein panischer Schrecken überfiel die erst so siegesgewissen Generale; sie gaben nicht nur die Armee, sondern auch den Staat verloren und überlieferten, jede fernere Gegenwehr für nutzlos haltend, die stärksten Festungen den Franzosen ohne Schwertstreich. Hohenlohe kapitulierte 28. Okt. mit 12,000 Mann bei Prenzlau. Wie die Generale bedeckten sich auch die höchsten Beamten mit Schmach, wie denn der Gouverneur von Berlin, Graf Schulenburg, bei der Annäherung der Franzosen sogar Freiwillige für das Heer zurückwies und Ruhe für die erste Bürgerpflicht erklärte. Am 27. Okt. hielt Napoleon seinen Einzug in Berlin, wo ihm sieben Minister den Eid der Treue leisteten. Der König, dessen Umgebung ebenfalls allen Mut verloren hatte, floh nach Königsberg; seine einzige Hoffnung war die russische Hilfe. Diese war aber durchaus ungenügend, die durch eine übereilte Flucht preisgegebenen Provinzen wiederzuerobern. Die Schlacht bei Eylau (7. und 8. Febr. 1807) blieb unentschieden. Während der nun folgenden Pause in den Kriegsoperationen eroberten die Franzosen 25. Mai Danzig und schlugen dann, beträchtlich verstärkt, die Russen vollständig bei Preußisch-Friedland (14. Juni). Jetzt fiel Kaiser Alexander, von Napoleon durch glänzende Versprechungen gewonnen, von Friedrich Wilhelm ab, obwohl dieser aus Rücksicht auf ihn im Februar einen Separatfrieden abgelehnt hatte, und P. mußte 9. Juli 1807 den Frieden von Tilsit schließen, der ihm alles Gebiet links der Elbe und die Erwerbungen der zweiten und dritten polnischen Teilung entriß und ihm bis zur Bezahlung der unerschwinglichen Kriegskontributionen die Besetzung seines Gebiets sowie das Kontinentalsystem auferlegte. Von 314,000 qkm mit 9,750,000 Einw. behielt es bloß 158,000 qkm mit 4,940,000 Einw. Es schien für immer vernichtet und sein völliger Untergang nur eine Frage der Zeit und der Laune Napoleons zu sein.

Die Wiederherstellung des Staats durch die Stein-Hardenbergschen Reformen.

Der Sturz der Monarchie Friedrichs d. Gr. war ein so jäher und gewaltiger, daß auch die Regierenden zu der Erkenntnis gelangten, daß sie auf den alten Grundlagen nicht wieder aufgerichtet werden konnte, und die Leiden und die Schmach, welche der rohe Übermut des Siegers auf P. häufte, waren so übermäßig, daß nicht bloß die preußischen Patrioten, sondern auch die bisher gleichgültigsten Einwohner sich in die neue Lage nicht zu schicken vermochten, vielmehr jeder, Bauer, Handwerker und Gewerbtreibende, die gebildeten Stände und der Adel, in der Befreiung des nun erst geschätzten Vaterlandes vom fremden Joch und in der Wiederherstellung eines unabhängigen preußischen Staats die einzige Rettung erblickten. Das Heilmittel war furchtbar, um so gründlicher aber die Heilung. Der König, welcher früher alle Warnungen einsichtsvoller Patrioten, besonders die Forderung der Beseitigung der Kabinettsregierung, ärgerlich zurückgewiesen hatte, zeigte sich jetzt unter dem Einfluß seiner edlen Gemahlin, der Königin Luise, bereit, das Staatswesen durch freisinnige Reformen von Grund aus umzugestalten, aus einem absolutistisch-feudalen Militärstaat ein freisinniges Gemeinwesen, eine durch die Selbstregierung der Gemeinden und Provinzen getragene, auf der freiwilligen Befolgung der Gesetze beruhende Monarchie zu machen. Das zu verwirklichen, wurde der Minister v. Stein 4. Okt. 1807 an die Spitze der ganzen Zivilverwaltung gestellt. Die Kabinettsregierung wurde abgeschafft und Männer wie v. Schön, v. Vincke, Stägemann, Niebuhr, v. Klewitz u. a. in die höchsten Ämter berufen. Bereits 9. Okt. erschien das "Edikt über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums", welches die freie Bewegung des Grundbesitzes gestattete und die Erbunterthänigkeit des Bauernstandes aufhob. Diesem Edikt folgte ein Erlaß des Königs vom 27. Juli 1808, welcher allen Insassen auf den Domänen in der Provinz P. ihre Grundstücke als volles freies Erbeigentum verlieh. Viele Domänen wurden verkauft, um die Finanzen des Staats, der dem Bankrott nahe war, zu bessern, wodurch ebenfalls eine größere Zahl kleiner Hofbesitzer geschaffen wurde. Wenigstens den Städten wurde durch die Städteordnung vom 19. Nov. 1808 Selbstverwaltung gewährt, eine Gemeindeordnung in Aussicht gestellt, mancher Zunftzwang beseitigt, eine neue Verwaltungsorganisation 21. Nov. 1808 eingeführt. Die Krönung des Gebäudes sollte eine Volksvertretung bilden. Eine 25. Juli 1807 eingesetzte Militärorganisationskommission, aus Scharnhorst, Gneisenau, Grolman und Boyen bestehend, reinigte den Offizierstand von allen unwürdigen Elementen, erließ neue Kriegsartikel sowie ein neues Reglement