Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Preußen

374

Preußen (Geschichte: Friedrich Wilhelm IV., bis 1858).

Friedrich Wilhelm hoffte die preußische Hegemonie über das nichtösterreichische Deutschland durch freie Verständigung mit den Fürsten, eine Union, zu erreichen. Er schloß 26. Mai mit Sachsen und Hannover das Dreikönigsbündnis, dem die meisten Kleinstaaten beitraten. Ehe aber die Organisation der Union festgestellt war, hatte Österreich die Revolution in Ungarn besiegt und mischte sich wieder in die deutschen Angelegenheiten ein. Nun fielen Sachsen und Hannover von P. ab und schlossen im Februar 1850 mit Bayern und Württemberg das Vierkönigsbündnis, das sich im Bund mit Österreich die Wiederherstellung des Bundestags zum Ziel setzte. Zwar trat im März 1850 ein Unionsparlament in Erfurt zusammen, wurde aber 29. April bereits vertagt, ohne etwas geschaffen zu haben. Schritt für Schritt wich P. zurück; die Union zerfiel (der einzige Erwerb Preußens aus dieser Zeit war die Abtretung der hohenzollerischen Fürstentümer durch ihr Fürstenhaus 7. Dez. 1850), während 10. Mai 1850 der deutsche Bundestag wiedererstand; am 2. Juli wurde mit Dänemark der Berliner Friede geschlossen, welcher die schleswig-holsteinischen Herzogtümer preisgab, und endlich gab P. auch in der kurhessischen Frage nach, weil das Heer, wie sich bei der 6. Nov. befohlenen allgemeinen Mobilmachung herausstellte, für einen Entscheidungskampf mit Österreich nicht stark und ausgerüstet genug war. Auf den Warschauer Konferenzen (15. Okt.) und in Olmütz (29. Nov.) verzichtete P. auf seine Unionspolitik und erkannte den restituierten Bundestag an (s. Deutschland, S. 893). Mißmutig und beschämt durch diese klägliche Niederlage und verzweifelnd an seinem deutschen Beruf, wandten sich die Anhänger Preußens in Deutschland von ihm ab.

Nach der Auflösung der Zweiten Kammer (27. April 1849) wurde das sogen. Dreiklassenwahlgesetz (welches noch besteht) erlassen und nach diesem die Wahlen für eine neue Zweite Kammer vorgenommen. Bei diesen beteiligte sich die Demokratie aus prinzipiellen Gründen und aus Pessimismus nicht, und sie fielen daher überwiegend konservativ aus. Die 7. Aug. 1849 zusammentretenden Kammern erfüllten daher bereitwillig den Wunsch des Königs und des Ministeriums bei der Revision der Verfassung vom 5. Dez. 1848, einige jetzt bedenklich erscheinende Bestimmungen, wie die Beeidigung des Heers auf die Verfassung, zu beseitigen und eine erbliche Pairskammer, den Staatsgerichtshof, die Auflösung der Bürgerwehr, Verminderung der Preßfreiheit, Beschränkung des Steuerbewilligungsrechts auf neue Steuern u. a. zu genehmigen. Eine königliche Botschaft vom 31. Jan. 1850 verkündete darauf die neue Verfassungsurkunde, welche der König 6. Febr. beschwor.

Die Zeit der Reaktion.

Unter dem Ministerium Manteuffel (seit 6. Nov. 1850) erlangte die christlich-konservative oder Kreuzzeitungspartei, welche wesentlich aus dem kleinen Adel der östlichen Provinzen bestand und in den Kammern die Mehrheit hatte, immer größern Einfluß. Ihr Ziel war eine ständische Organisation der Monarchie, und sie erreichte auch 1851 die Wiederherstellung der gutsherrlichen Polizeiverwaltung, die Berufung der alten Provinzialstände und 12. Okt. 1854 die Errichtung des Herrenhauses als Erster Kammer des Landtags, während die Zweite Kammer fortan Abgeordnetenhaus hieß. In der evangelischen Kirche, an deren Spitze der Oberkirchenrat gestellt wurde, ward der orthodoxen Richtung zur Herrschaft verholfen, während man dem katholischen Klerus völlig freie Hand ließ. Die liberale Partei wurde durch politische und Preßprozesse eingeschüchtert, die Beamten und Richter durch neue Disziplinargesetze von der Regierung abhängiger gemacht. Das 1855 gewählte Abgeordnetenhaus, die sogen. Landratskammer, in welchem nur eine kleine Partei, die Altliberalen, die Verfassung verteidigte, genehmigte alle auf Verstärkung der monarchischen Gewalt gerichteten Anträge des Ministeriums. Nur gegen neue Steuern zeigte es eine entschieden Abneigung. Seine Tüchtigkeit bewährte das preußische Beamtentum trotz mancher büreaukratischen Ausschreitungen in der Pflege der materiellen Interessen. Eisenbahnen, Post und Telegraphie entwickelten sich überraschend schnell, und standhaft wehrte sich P. auch nach Olmütz gegen das Verlangen Österreichs, in den Zollverein aufgenommen zu werden. Es erreichte es, daß der Zollverein, 1852 durch Hannover und Oldenburg vergrößert und abgerundet, unter Preußens Führung und mit den bisherigen wirtschaftlichen Grundsätzen bestehen blieb. Der Wohlstand des Landes hob sich in den Jahren der Ruhe und des Friedens sichtlich. Auch die geistigen Interessen wurden nicht vernachlässigt. Die Universitäten und höhern Schulen wurden von der pietistischen Reaktion weniger berührt, mehr die Volksschule, in welcher die Stiehlschen Regulative (1854) maßgebend wurden.

Für die Verstärkung und Bethätigung der äußern Macht Preußens geschah in dieser Zeit wenig. 1853 wurde von Oldenburg der Jadebusen zur Anlage eines Kriegshafens an der Nordsee erworben und der Grund zu einer Kriegsflotte gelegt. Der König war durchaus nicht kriegerisch gesinnt und blieb während des Krimkriegs neutral, während die öffentliche Meinung entschieden Anschluß an die Westmächte forderte, die Kreuzzeitungspartei auf seiten Rußlands stand. Diese Haltung brachte für P. die Demütigung, daß es 1856 erst nachträglich zum Pariser Friedenskongreß zugezogen wurde, hatte aber den später so wertvollen Vorteil, daß sie ihm die Freundschaft Rußlands erwarb. Dagegen provozierte die Hofpartei durch den Neuenburger Putsch (September 1856) eine Kriegsgefahr für eine Sache, welche den preußischen Staat nichts anging, und aus welcher sich P. nur durch französische Vermittelung befreite. Dieser Ausgang schädigte Preußens Ansehen, das nach 1850 schon so sehr gesunken war, noch mehr, und die kleinsten Nachbarstaaten erlaubten sich die Zurückweisung der berechtigten Wünsche Preußens in Bezug auf Verkehrsangelegenheiten. Die österreichische und süddeutsche Presse überschüttete P. mit Hohn und Spott und behandelte es wie einen Mittelstaat, der nur vorübergehend unter einem Friedrich II. eine große Rolle habe spielen können. In P. wurde aber diese Geringschätzung bitter empfunden und rief neben der Abneigung gegen die Orthodoxen und Junker besonders den Wunsch nach einer Änderung der preußischen Politik hervor.

Die neue Ära.

Friedrich Wilhelm IV. erkrankte 1857 an einem Gehirnleiden und mußte daher 23. Okt., da er selbst kinderlos war, die oberste Leitung der Staatsgeschäfte seinem ältesten Bruder, dem Prinzen Wilhelm von P., als Stellvertreter übertragen; als solcher änderte der Prinz in dem Gang der Regierung nichts. Erst als sich die Krankheit des Königs als unheilbar erwies, wurde der Prinz durch Kabinettsorder vom 7. Okt. 1858 zum Regenten ernannt, übernahm 9. Okt. die volle Regierungsgewalt und berief den Landtag, welcher die Regentschaft bestätigte. Der Prinz-Regent entließ 6. Nov. das Ministerium Manteuffel und be-^[folgende Seite]