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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Reitlinger; Reitmaus; Reitnagel; Reîtres; Reitschoß; Reitschulen; Reitstock; Reitwechsel; Reitwurm

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Reitlinger - Reitwurm.

ausführt; da nun aber die Dressur verschiedene Ziele verfolgt, so muß eine zweckentsprechende Auswahl des Pferdes, sei es für die Jagd, den Rennplatz, als Soldaten- oder Damenpferd etc., nach seinem Körperbau und Temperament getroffen werden.

Die natürliche Haltung des Pferdes, in welcher sein Schwerpunkt mehr in der Vorderhand ruht, muß durch Heben des Kopfes und Durchbiegen des Rückens dahin geändert werden, daß das Gleichgewicht mehr nach hinten, auf die Hinterhand, verlegt wird. Mit der Erreichung dieses für das gewöhnliche Reiten ausreichenden natürlichen Gleichgewichts begnügt sich die niedere R., die Schulreiterei dagegen schiebt den Schwerpunkt noch weiter zurück bis zu den Hüften und nennt das das künstliche Gleichgewicht. Bei der Rennreiterei bleibt diese Gleichgewichtsherstellung außer Betracht, sie gipfelt in der Geschicklichkeit, ungelenke Pferde, "deren fünfter Fuß im Maule liegt", möglichst rasch zum Ziel zu steuern. Die R. entwickelt aus den natürlichen Gangarten des rohen Pferdes (Schritt, Trab, Paß, Galopp, Karriere [Renngalopp] und Sprung, zu welchen die Lancade gehört) die geregelten Reitgänge und zwar Schulen auf der Erde: Passagieren, Piaffieren oder stolzer Tritt, Redopp, und Schulen über der Erde: Levade, Pesade, Terre à Terre, Mezair, Kurbette, Kruppade, Ballotade, Kapriole. Alle diese Bewegungen sind vorwärts gerichtet, während die Seitengänge das Pferd zu kurzen Wendungen befähigen, bei welchen es sich mit Vorder- und Hinterbeinen auf nebeneinander liegenden Linien, dem sogen. doppelten Hufschlag, bewegt und die Füße der einen Seite über die der andern hinwegschreiten. Hierher gehören die Schulen: Schulterherein, Travers, Renvers und Kontra-Schulterherein, die nur in der Bahn geritten werden, die Pirouette, das Passadieren, Quadrille und Karussell. - Wenn auch die Dressur des Pferdes hauptsächlich unter dem Reiter erfolgt, ist doch die Bearbeitung an der Longe oder Leine (Longieren), für die Schulsprünge zwischen den Pilaren (Standsäulen), an denen das Pferd unter gewisser Sprungfreiheit mit den Zügeln befestigt ist, nicht zu entbehren. Der Reiter hat entweder Stuhl- oder Spaltsitz, im erstern mit mehr oder weniger schräg liegenden, im letztern mit gerade herunterhängenden Oberschenkeln; er gibt dem Pferde die Hilfen mittels der Zügel, Schenkel, Sporen, dem Gewicht seines Körpers durch veränderten Sitz oder der Reitgerte. Das Reiten beginnt in der Regel auf der Decke und geht, nachdem der Reiter Sitz gewonnen, zum Reiten auf dem Sattel über.

Über das Reiten im Altertum s. Pferde, S. 949. Im Mittelalter gelangte die R. zu hoher Ausbildung durch das Rittertum und die Turniere, mit deren Verfall sie aufhört, Allgemeingut der bevorzugten Stände zu sein. Sie flüchtet sich an die Höfe, an welchen ihr eine luxuriöse Pflege zu teil wird. Der Stallmeister gehört zu den höchsten Hofbeamten, und die Ausbildung in der Reitbahn ist Haupterfordernis für die höfische Erziehung. Quadrille und Karussell, die an die Stelle der Turniere treten, erfordern eine vorzügliche Dressur der Pferde. Die Begründung der modernen R. ist in Italien, speziell in Neapel, zu suchen, wo Federico Griso (um 1552) eine Reitakademie errichtete, die vom Adel fast ganz Europas besucht wurde. Sein Schüler Pignatelli erfand die Kandare, und zwei von dessen Schülern, Antoine de Pluvinel, der Erfinder der Pilaren und des ersten geordneten Dressursystems, und Salomon de la Broue, begründeten die neue R. in Frankreich, während ein dritter, der Chevalier Saint-Antoine, unter Jakob I. der erste Stallmeister in England wurde. Zu höchster Vollkommenheit gelangte die R. um die Mitte des 18. Jahrh. durch die Reitschule in Versailles. De la Guérinière, Stallmeister Ludwigs XV., gab der R. in seiner "École de cavalerie" (1733) eine wissenschaftliche Grundlage, auf welcher sie sich auch in Deutschland weiter entwickelte. Hier standen im vorigen Jahrhundert die Reitschulen zu Koburg und Wien in hohem Ansehen. Ayrer begründete den Ruf der Göttinger Schule, der sich unter dem jüngern Ayrer bis in die neuere Zeit erhielt. Hünersdorf, Stallmeister des Kurfürsten von Hessen, schrieb ein klassisches Werk über R., die "Anleitung zu der natürlichen und leichtesten Art, Pferde abzurichten" (1791), und dies Werk wurde die Grundlage für die preußische "Reitinstruktion für die Kavallerie" (1825, neubearbeitet 1882). Den preußischen Reitergeneralen verdankt man die hohe Entwickelung der Kampagnereiterei, welche aus der in England begründeten Renn- und Jagdreiterei gewisse Elemente aufgenommen hat und in dem Militärreitinstitut zu Hannover gegenwärtig ihre bedeutendste Vertretung besitzt. Vgl. Jähns, Roß und Reiter in Leben und Geschichte etc. der Deutschen (Leipz. 1872, 2 Bde.); Baucher, Methode der R. (deutsch, Wien 1884); Kästner, Die R. in ihrer Anwendung (3. Aufl., Leipz. 1876); Monteton, Über die R. (Stendal 1877-79, 2 Tle.); v. Krane, Anleitung zur Ausbildung der Kavallerieremonten (2. Aufl., Berl. 1879); Seidler, Die Dressur des Pferdes (1. Tl., 5. Aufl., das. 1882; 2. Tl., 2. Aufl., das. 1879); Heinze, Pferd und Reiter, oder die R. in ihrem ganzen Umfang (6. Aufl., Leipz. 1888); Schönbeck, Reithandbuch für berittene Offiziere der Fußtruppen (3. Aufl., das. 1887); v. Heydebrand und der Lasa, Handbuch des Reitsports (Wien 1882); v. Öttingen, Über die Geschichte und die verschiedenen Formen der R. (Berl. 1885); Steinbrecht, Das Gymnasium des Pferdes (Potsd. 1885). Über R. der Damen die Schriften von Blanka v. Wobeser (2. Aufl., Berl. 1884), v. Heydebrand und der Lasa (Leipz. 1884), Schlaberg (Berl. 1884).

Reitlinger, Edmund, Physiker, geb. 15. Jan. 1830 zu Pest, studierte in Wien und Heidelberg, wurde Assistent von A. v. Ettinghausen am Wiener physikalischen Institut, 1866 Professor der Physik an der technischen Hochschule daselbst und starb 3. Sept. 1882. Seine Arbeiten betreffen namentlich die Lichtenbergschen Staubfiguren, die elektromagnetischen Schallerscheinungen, die flüssigen Isolatoren, die Lichterscheinungen in verdünnten Gasen, die elektrischen Klangfiguren etc. Er redigierte viele Jahre die "Natur- und Völkerkunde" der "Neuen Freien Presse" und schrieb: "Freie Blicke" (Berl. 1874), eine Sammlung naturwissenschaftlicher Essays.

Reitmaus, s. Wühlmaus.

Reitnagel, s. Drehbank, S. 124.

Reîtres (franz., spr. rähtr), s. Deutsche Reiter.

Reitschoß, s. Bedemund.

Reitschulen, Anstalten zur praktischen und theoretischen Ausbildung von Reitlehrern, im besondern für berittene Truppen. In Deutschland bestehen als R. das Militärreitinstitut (s. d.) zu Hannover, die Equitationsanstalt in München, die Militärreitanstalt in Dresden; in Österreich das Militär-Reitlehrerinstitut zu Wien; in Frankreich die Kavallerieschule zu Saumur. Vgl. v. Longchamps-Berier, Die Militär-R. in Preußen, Österreich und Frankreich (Berl. 1880).

Reitstock, s. Drehbank, S. 124.

Reitwechsel, s. Kellerwechsel.

Reitwurm (Reutwurm), s. Maulwurfsgrille.