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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Religionsedikt; Religionseid; Religionsfreiheit; Religionsfriede; Religionsgeschichte

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Religionsedikt - Religionsgeschichte.

führt worden. Dieser späterhin von Schleiermacher zurückgestellte ästhetische Faktor fand einstweilen besondere Ausbildung und Pflege bei Fries, welcher, ähnlich wie Jacobi, in den Ahnungen und Gefühlen der R. eine übersinnliche Welt sich ankündigen sieht und die Berechtigung einer dermaßen gefühlsmäßig wirkenden Urteilskraft, die uns den ewigen Wert der Dinge und die letzten Zwecke des Daseins ahnen lehrt, aus der ästhetischen Weltanschauung erklärt. Diesen ästhetischen Maßstab für die Beurteilung der R. haben dann teils De Wette, teils Apelt weiter verfolgt, wie ihn auch noch in der Gegenwart nicht wenige Theologen praktisch handhaben.

Aber schon als Schleiermacher auf der Höhe seines Wirkens stand, haben nicht bloß Fichte und Schelling, jeder in seiner Weise, der R. vom Standpunkt einer mystischen Spekulation wieder Geschmack abzugewinnen vermocht, sondern es bereitete auch die Schule Hegels derjenigen Schleiermachers eine immer erfolgreichere Konkurrenz auf dem Gebiet der Religionsphilosophie. Zunächst identifizierte man hier die R. mit der religiösen Vorstellung. Sie selbst zwar sei denkende Erhebung des endlichen Geistes zum Absoluten; aber als bloße Vorstellung vertrete sie nur die niedere, sinnliche Weise des Denkens, und ihre Bestimmung sei, in dem philosophischen Begriff aufgehoben zu werden. Daraus konnte nun freilich, sofern mit der unzureichenden Form auch der Inhalt in Frage gestellt wird, gefolgert werden, daß die R. vom Standpunkt der Philosophie aus als ein aufgehobenes Moment, als ein überwundener Standpunkt erscheine, und so schloß sich an Hegel außer einer orthodoxen Rechten auch eine radikale Linke an, als deren Vertreter Ludwig Feuerbach den Satz von der in der R. zu Tage tretenden weltgeschichtlichen Selbsttäuschung des sein eignes Wesen in vorgestellten Gottheiten objektivierenden Menschen ausführte. Noch immer ist dies die Hauptfrage, welche die Sphinx allen Vorübergehenden auf der Heerstraße des religiösen Verkehrs zu lösen aufgibt: die Frage nach der objektiven Wirklichkeit des religiösen Verhältnisses selbst. Während die französischen Positivisten, die deutschen Materialisten, überhaupt aber auch der ganze Radikalismus den Illusionscharakter der R. bekennt, hat die theistische Schule der Philosophie die R. in einer bald mehr an Schleiermacher, bald mehr an Hegel erinnernden Weise zu stützen und zu begründen gesucht. Nachdem die Gefühlslehre des erstern kaum aufgetaucht war, wurde dieses Gefühl bald mit der erkennenden, bald mit der wollenden Funktion in Beziehung gesetzt, bald endlich auch, sofern ein lediglich Abhängigkeit aussagendes Gefühl schwerlich zu konstatieren sein dürfte, durch einen entsprechenden Freiheitstrieb korrigiert und ergänzt. Gleichzeitig brach sich angesichts einer geradezu unübersehbar gewordenen Menge von Versuchen, das Geheimnis der R. zu erschließen, das Bewußtsein Bahn, daß die Lösung des Rätsels auf dem Boden allgemeiner psychologischer Voraussetzungen überhaupt nicht gefunden werden könne, daß die R. auf keiner einzelnen Seite des menschlichen Bewußtseins ihren "Sitz" haben könne, daß ihr kein eigentümliches "Organ" zu Gebote stehe. Man fing an, den religiösen Vorgang aus des Menschen Situation in der Welt entweder als einen allenthalben, wo persönliches Bewußtsein herrscht, empfundenen "Druck des Unendlichen" (Max Müller) oder umgekehrt als eine von innen erfolgende Reaktion gegen die Beschränkung seines äußern, in den Naturmechanismus vermochtenen Daseins zu erklären. In letzterer Richtung haben namentlich Ritschl und Herrmann die R. ganz auf die unmittelbare Evidenz der ethischen, den Menschen an Wert der ganzen Welt überlegen erklärenden Urteile zu gründen, von aller Metaphysik dagegen abzusehen unternommen. Aber auch die direkter an Schleiermacher anknüpfende Richtung von Alexander Schweizer und A. Baur einerseits, Lipsius und Graue anderseits sucht dem Religionsbegriff durch theologische Beziehung auf den höchsten ethischen Zweck der Gemeinschaft eine feste, über die wechselnden Stimmungen und Empfindungen hinausführende Grundlage zu geben, während Biedermann und O. Pfleiderer damit noch ein aus der Hegelschen Schule stammendes Interesse an spekulativer Weltanschauung verbinden. Vgl. Kant, R. innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (Königsb. 1793); Schelling, Philosophie und R. (Tübing. 1804); Jacobi, Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (Leipz. 1811); Drobisch, Grundlehren der Religionsphilosophie (das. 1840); Hegel, Vorlesungen über Philosophie der R. (2. Aufl., Berl. 1840, 2 Bde.); Pünjer, Geschichte der christlichen Religionsphilosophie seit der Reformation (Braunschw. 1880-83, 2 Bde.); W. Herrmann, Die R. im Verhältnis zum Welterkennen und zur Sittlichkeit (Halle 1879); O. Pfleiderer, Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage (2. Aufl., Berl. 1883-84, 2 Bde.); R. A. Lipsius, Philosophie und R. (Leipz. 1885); W. Bender, Das Wesen der R. und die Grundgesetze der Kirchenbildung (Bonn 1886); Teichmüller, Religionsphilosophie (Bresl. 1886); W. Vatke, Religionsgeschichte (Bonn 1888); weiteres s. Religionsgeschichte.

Religionsedikt, eine auf die Religion und deren Ausübung im Staat sich beziehende obrigkeitliche Verordnung, wie z. B. 313 Konstantins d. Gr. Edikt von Mailand, wodurch den Christen Duldung zugestanden wurde; das Wormser Edikt von 1521, welches über Luther und dessen Anhänger die Reichsacht verhängte; das Edikt von Nantes von 1598 u. a. Vorzugsweise heißt so ein Edikt Friedrich Wilhelms II. von Preußen (vom 9. Juli 1788, verfaßt von Wöllner), das den Geistlichen jede Abweichung vom kirchlichen Lehrbegriff bei Strafe der Absetzung verbot, jedoch so viel Widerspruch erregte, daß Friedrich Wilhelm III. es 1797 aufhob.

Religionseid, s. v. w. kirchenrechtlicher Glaubenseid (s. Glaubenseid).

Religionsfreiheit, das Recht des einzelnen, sich öffentlich zu irgend einer Religion zu bekennen und ihren Kultus auszuüben, ohne daß ihm ein staatsbürgerlicher Nachteil daraus erwächst (s. Glaubensfreiheit). Vgl. Bluntschli, Geschichte des Rechts der religiösen Bekenntnisfreiheit (Elberf. 1867).

Religionsfriede, ein in Religionsangelegenheiten geschlossener Friede, so der 1532 zu Nürnberg zwischen Kaiser Karl V. und den Protestanten geschlossene Friede, dann der Augsburger R. von 1555 (s. Reformation).

Religionsgeschichte, die Darstellung, wie die Religion (s. d.) sich im Lauf der Jahrtausende bei den einzelnen Völkern und Völkerfamilien und durch sie in der Menschheit entwickelt und schließlich die Formen und Stufen der bloßen Naturreligion (s. d.) überwunden hat. Da sich in den religiösen Vorstellungskreisen die Art und Weise spiegelt, wie das wissenschaftlich noch nicht disziplinierte Bewußtsein auf die Eindrücke der Natur reagiert und überhaupt von der Außenwelt sich berührt findet, ist die R. mit der Zeit ein Zweig der allgemeinen Kulturgeschichte geworden und wird darum meist nicht mehr vom ausschließlich