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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Reuß

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Reuß (Fürstentümer, Geschichte).

Stein- und Braunkohlen, wollene Garne, Getreide, Obst, Leinsamen, Talg, rohe Häute, Glas, Kolonialwaren, Modeartikel etc. In allen Landesteilen sind Kunststraßen angelegt. Von Eisenbahnen gehören den reußischen Landen eine kurze Strecke der Sächsisch-Bayrischen Staatsbahn, mit den Zweigbahnen nach Greiz und Schleiz, ferner ein Teil der Elsterthalbahn (Weischlitz-Wolfsgefährt), Teile der thüringischen Zweigbahnen Weißenfels-Gera und Gera-Huchstadt, der Gera-Gößnitzer, der Gera-Weimarischen und der Sächsisch-Thüringischen Staatsbahn an. Eine Handelskammer ist in Gera errichtet, wo auch eine Reichsbankstelle, eine Gewerbebank und die Geraer Bank ihren Sitz haben.

Was die Staatsverfassung anlangt, so hat R. ältere Linie seit 28. März 1867 eine Konstitution, R. jüngere Linie eine Repräsentativverfassung, welche auf dem Staatsgrundgesetz vom 14. April 1852, auf dem Gesetz über die Zusammensetzung und Wahl der Landesvertretung vom 16. Mai 1856 und auf dem Gesetz vom 20. Juni 1856 beruht. In beiden Fürstentümern vereinigt der Fürst alle Rechte der Staatsgewalt in sich. Der älteste regierende Fürst ist in beiden Linien Senior und leitet alle gemeinsamen Haus- und Familienangelegenheiten. Die Regierung ist in beiden Fürstentümern im Mannesstamm nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge erblich; erlischt die eine Linie, so succediert die andre. Der Fürst wird mit zurückgelegtem 21. Lebensjahr volljährig; während seiner Minderjährigkeit führt die Mutter oder der nächste Agnat die Vormundschaft. Gegenwärtig regiert in R. ältere Linie Fürst Heinrich XXII. (geb. 28. März 1846, regiert seit 8. Nov. 1859), in R. jüngere Linie Fürst Heinrich XIV. (geb. 28. Mai 1832, regiert seit 11. Juli 1867). Die Fürsten führen das Prädikat "Durchlaucht". Alle Fürsten und Prinzen des Hauses R. führen seit alten Zeiten den Namen "Heinrich", wobei die ältere Linie bis 100 zählt und dann wieder mit 1 beginnt, die jüngere aber nur bis zum Ende eines Jahrhunderts fortzählt und hierauf wieder mit 1 anfängt. Die Staatsangehörigen sind gleich vor dem Gesetz. In R. ältere Linie besteht der Landtag aus 12 Abgeordneten, von denen 3 vom Landesherrn ernannt, die übrigen als Vertreter des Großgrundbesitzes (2), der Städte (3) und Landgemeinden (4) auf sechs Jahre direkt gewählt werden. In R. jüngere Linie ist der Landtag zusammengesetzt aus dem fürstlichen Besitzer des R.-Köstritzer Paragiums oder dessen Vertreter, aus 3 Abgeordneten der Höchstbesteuerten und 12 auf drei Jahre direkt gewählten Abgeordneten der übrigen Bevölkerung. In jedem Fürstentum übt der Landesherr die oberste Kirchengewalt aus. Die beiden geistlichen Oberbehörden sind das Konsistorium zu Greiz und das Ministerium, Abteilung für Kirchen- und Schulsachen, zu Gera. Was die Staatsverwaltung anlangt, so ist in R. ältere Linie die Landesregierung zu Greiz die oberste Behörde für alle Zweige derselben; in R. jüngere Linie werden alle Verwaltungsgeschäfte in oberster Instanz von dem Ministerium zu Gera wahrgenommen, welches aus fünf Abteilungen: für die Angelegenheiten des fürstlichen Hauses, für die Justiz, für das Innere, für Kirchen- und Schulsachen und für die Finanzen, besteht. Das Fürstentum R. jüngere Linie zerfällt in zwei Landratsamtsdistrikte: in den Distrikt Gera, zu welchem das Unterland und vom Oberland die Pflege Hohenleuben gehören, und in den Distrikt Schleiz, der das übrige Oberland umfaßt. Die Rechtspflege wird in R. ältere Linie von einem Landesgericht in Greiz und 3 Amtsgerichten wahrgenommen. In R. jüngere Linie bestehen ein Landgericht in Gera (zugleich für den weimarischen Kreis Neustadt) und 5 Amtsgerichte. In Gera werden für ganz Ostthüringen die Schwurgerichtssitzungen abgehalten. Die höhere Instanz bildet für die Fürstentümer das Oberlandesgericht zu Jena.

Die Einnahmen und Ausgaben von R. ältere Linie betrugen nach dem Hauptetat für 1888 je 845,752 Mk. Unter den Einnahmen figurierten die Grundsteuer mit 95,500 Mk. und die Einkommensteuer mit 291,000 Mk., die indirekten Steuern mit 200,000 Mk., die Chausseegelder etc. mit 19,300 Mk.; unter den Ausgaben spielten diejenigen für Reichszwecke (265,401 Mk.) die Hauptrolle. In R. jüngere Linie beliefen sich nach dem Etat für 1888 die Einnahmen auf 1,453,363 Mk., die Ausgaben auf 1,435,053 Mk. Unter erstern waren die indirekten Steuern mit 336,500, die direkten mit 639,000 und die Chausseegelder mit 35,000 Mk. beziffert; die Ausgaben für Reichszwecke betragen 270,441 Mk. Die Staatsschuld betrug in R. ältere Linie 1886: 408,521 Mk. gegen ein Aktivvermögen von 1,040,283 Mk., in R. jüngere Linie 1887: 1,235,630 Mk. In militärischer Hinsicht bilden die Truppen der beiden R. mit denen von Sachsen-Altenburg und Schwarzburg-Rudolstadt das 7. thüringische Infanterieregiment Nr. 96, welches der 8. Division des 4. deutschen Armeekorps (Magdeburg) zugewiesen ist. In Gera garnisoniert ein Bataillon dieses Regiments, von welchem allmonatlich ein kleines Detachement nach Greiz abgeschickt wird. Das Wappen (s. Tafel "Wappen") beider Fürstentümer hat vier Felder, in deren erstem und viertem ein aufrecht stehender Löwe in Schwarz (wegen R.), in deren zweitem und drittem ein goldener Kranich in Silber (wegen Kranichfeld); es ist mit drei Helmen bedeckt und wird von zwei Löwen gehalten. Die Landesfarben sind Schwarz, Rot u. Gelb. Zur Auszeichnung für treue Dienste bestehen in jedem der beiden Staaten ein Zivilehrenkreuz in zwei Klassen (in Gold und Silber) und eine silberne Verdienstmedaille. Dazu ward von Heinrich XIV. 1869 ein Ehrenkreuz in drei Klassen gegründet, welches auch an Militärs und Nichtreußen verliehen wird. Die fürstlichen Residenzen sind in R. ältere Linie Greiz, in R. jüngere Linie Schloß Osterstein bei Gera und Schleiz.

Geschichte der reußischen Fürstentümer.

Das gegenwärtig reußische Gebiet war einst im Besitz der Sorben und gehörte nach deren Unterwerfung zur Mark Zeitz. Otto III. verlieh 999 die Landschaft Gera dem Kloster Quedlinburg, und dieses überließ später die Vogtei den Herren von Weida. Als erster dieses Geschlechts wird Erkenbert I. um 1122 genannt. Seit seinem Sohn Heinrich (dem Sachsen, 1143-63) wird dieser Name in der Familie stehend. Sein Sohn Heinrich der Reiche (gestorben zwischen 1195 und 1209) erwarb zu der Vogtei Weida auch die von Gera u. infolge seiner Verheiratung mit Bertha, einer Markgräfin von Österreich, die Vogteien zu Greiz, Hof und Plauen. Heinrichs des Reichen zweiter Sohn, Heinrich IV. (gest. 1250), Ordenslandmeister in Preußen, setzte das Geschlecht fort. Schon bei seinen Lebzeiten teilten seine Söhne (etwa um 1244) und stifteten die drei Linien Weida, Plauen und Gera, deren jede den Vogtstitel führte.

Die Weidasche Linie, gestiftet von Heinrich VII., besaß nicht nur die Herrschaft Weida, sondern auch Greiz, die Pflegen Ronneburg und Werde, das Regnitzland, die Stadt Hof und Schloß Hirschberg a. S., verkaufte Hof und das Regnitzland 1373 an die Burggrafen von Nürnberg und Weida 1427 an Kursachsen,