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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Sankt Petersburg

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Sankt Petersburg (Bildungs- und Wohlthätigkeitsanstalten etc.; Geschichte).

[Bildungsanstalten, Kunstsammlungen.] Unter den reich ausgestatteten Anstalten für Wissenschaft und Kunst steht die öffentliche Bibliothek obenan, deren Grundlage die auf Befehl Katharinas II. nach S. gebrachte polnische Bibliothek des Jesuitenordens war. Sie zählt gegenwärtig gegen 1,2 Mill. Bände und 34,000 Manuskripte. Zu den Raritäten derselben gehören: der Koran, welcher der Tochter Mohammeds, Fatima, zugeschrieben wird, Briefe Katharinas von Medici, Heinrichs IV., Ludwigs XIV., Maria Stuarts, Philipps II. von Spanien und Isabellas etc. Der sogen. Korffsche Saal enthält sämtliche im Ausland erschienenen Werke über Rußland. Die Akademie der Wissenschaften, 1725 gegründet, verfügt über zahlreiche höchst wertvolle Sammlungen, von denen die Bibliothek, über 300,000 Bände stark, das asiatische Museum, das ethnographische und das zoologische Museum die bedeutendsten sind. Die Akademie der Künste (1764) zeichnet sich durch edlen Stil des Äußern wie durch ästhetischen Geschmack des Innern aus. Die Gemäldegalerie enthält viel Wertvolles, Nebengebäude enthalten ein Gießhaus und eine Mosaikanstalt. An der breiten Granittreppe, die vor der Akademie zur Newa hinab führt, sind die beiden kolossalen Sphinxe aufgestellt, die 1832 aus dem altägyptischen Theben nach S. gebracht wurden. Die 1819 gestiftete Universität, welche in 4 Fakultäten (darunter an Stelle der medizinischen eine der orientalischen Sprachen) 122 Professoren, Dozenten und Lektoren und (1888) 2053 Studierende zählt, ist in dem ursprünglich für die zwölf Reichskollegien bestimmten Gebäude untergebracht; ihre Bibliothek enthält 30,000 Bände. Die militärmedizinische Akademie mit ca. 40 Professoren etc. ist für etwa 500 Studenten berechnet. Von andern höhern Lehranstalten sind zu nennen: eine geistliche Akademie, ein historisch-philologisches Institut, ein Lehrerseminar, ein Lyceum (für künftige Verwaltungsbeamte), eine Rechtsschule, 12 klassische Gymnasien, 4 Progymnasien und 2 Realschulen für Knaben, 8 Mädchengymnasien, das Forstinstitut, das Institut für Berg- und Hüttenwesen, die Ingenieurakademie, die Kommerzschule, ein Musikkonservatorium, ein technologisches Institut (mit Museum), eine Theaterschule u. a. Die Zahl aller Elementarschulen belief sich auf 525 mit 26,489 Lernenden beiderlei Geschlechts. An militärischen Bildungsanstalten besitzt S. eine Generalstabsakademie, je eine Akademie für Artillerie, Ingenieure und die Marine und eine militärjuristische, ferner 5 Kriegsschulen und das kaiserliche Pagenkorps.

Vergnügungslokale besitzt S. weniger als andre Hauptstädte Europas. Bei einer Einwohnerzahl von fast 1 Mill. hat S. nur fünf größere Theater. Das große Theater zwischen dem Katharinenkanal, der Moika und dem Krjukowkanal ist 1784 erbaut und faßt 3000 Zuschauer; es steht seiner Baufälligkeit wegen seit 1887 unbenutzt. In dem gegenüberliegenden Marientheater wird die russische Oper nebst Ballett gepflegt. Im Alexandratheater finden russische und deutsche, im Michaeltheater deutsche und französische Vorstellungen statt. Das kleine Theater sowie etwa zehn andre Bühnen werden von Privatunternehmern unterhalten. Das kaiserliche Theater auf Kamennyj-Ostrow diente nur zu Vorstellungen während der Sommersaison und wird seiner Baufälligkeit wegen seit 1882 auch nicht mehr benutzt. Zu diesen Vergnügungslokalen kommt noch der mit Geschmack aufgeführte steinerne Zirkus Ciniselli in der Nähe des Ingenieurpalais. An einem ständigen Lokal für größere Konzerte fehlt es S. ganz. Die musikalischen Aufführungen der bei dem St. Petersburger Konservatorium bestehenden musikalischen Gesellschaft und sonstige Konzerte finden im Saal der Adelsversammlung oder im kleinern Saal der städtischen Kreditgesellschaft statt. Kleinere Konzerte finden im Saal des Konservatoriums und der Hofsängerkapelle statt. Mit Beginn der Sommersaison, welche die Petersburger auf die Inseln der Umgebung (s. "Karte der Umgebung von S."), nach Peterhof, das durch seine Wasserkünste berühmt ist, nach Zarskoje Selo, Strelna, Gatschina, Pawlowsk lockt, entwickeln einige Sommeretablissements (Arcadia, Aquarium, Zoologischer Garten etc.) die größten Anstrengungen, sich das Publikum durch ein reichhaltiges Programm zu gewinnen.

[Wohlthätigkeitsanstalten, Behörden.] An der Spitze der zahlreichen Wohlthätigkeitsanstalten der Residenz steht das 1770 von Katharina II. gegründete Findelhaus, das sich von der Polizeibrücke fast bis zur Roten Brücke (beide über die Moika führend) erstreckt und gegen Süden der Kasanskaja zugekehrt ist. Die Gründerin hatte diese Anstalt nur für 300 Kinder bestimmt; gegenwärtig zählt sie gegen 25,000 Zöglinge. Ebenso wie durch die Zahl der Zöglinge zeichnet sich die Anstalt durch große Sterblichkeit derselben aus; es sind durchschnittlich 15-20 Todesfälle auf 100 Säuglinge anzunehmen. Das Etablissement zählt 500 Erzieher und Erzieherinnen, ein Gesamtpersonal von 6000 Personen (darunter 2000 Ammen) und verfügt jährlich über 5½ Mill. Rubel. Zum Findelhaus gehören: ein Entbindungs- und Hebammeninstitut, das Nikolai-Institut zur Erziehung junger Mädchen, ein Taubstummeninstitut und der gleichfalls von Katharina II. gegründete Lombard, dessen Einkünfte unter anderm auch durch das Spielkartenmonopol vermehrt werden. Von den 62 Hospitälern der Residenz ist das größte das Obuchowsche Stadtkrankenhaus, unter Katharina II. 1784 vom Kollegium der allgemeinen Fürsorge angelegt. Andre große Hospitäler sind: das Maria Magdalenen-Hospital, das Marine-Kalinkinhospital, das Alexander-Krankenhaus u. a. Das Irrenhaus auf der siebenten Werst des Wegs nach Peterhof ward vom Kaiser Nikolaus I. errichtet; die hier angestellten Ärzte sind zum größten Teil Deutsche. Nach der Städteordnung von 1870 wird die Stadt von der Stadtverordnetenversammlung (Duma), die sich durch eine alle vier Jahr wiederkehrende Wahl seitens der besitzenden Städter zusammensetzt, und durch das Stadtamt (Uprawa), das exekutive Organ der Duma, verwaltet. Das Budget der Residenz für 1888 wies für Einnahmen und Ausgaben 7,416,751 Rub. auf. Die Haupteinnahme der Stadt bildet die Immobiliensteuer (über 3 Mill. Rub.). Demnächst kommen die Zuschläge zur staatlichen Handels- und Gewerbesteuer in Betracht, welche gegen 2 Mill. Rub. betragen. Die hauptsächlichsten Ausgaben sind: Sanitäts- und Medizinalwesen 1,722,095 Rub., Polizei, Gendarmerie, Stadthauptmannschaft 1,641,253, Kommunalverwaltung 864,337, städtische Elementarschulen 533,351, Unterhaltung der Straßen, Brücken etc. 508,738, Beleuchtung 439,210, Friedensgerichte 292,611 Rub.

[Geschichte.] Die Absicht, Rußland der westlichen Zivilisation näher zu bringen, bewog Peter d. Gr., 1703 an der Mündung der Newa eine neue Residenz zu gründen. Auf dem den Schweden abgekämpften Boden leitete er die Arbeiten zum Bau einer Festung. Gegen 80,000 Arbeiter waren unausgesetzt thätig, und wenige Monate nach dem Beginn der Arbeiten war der Bau beendet. Bald erhoben sich auch Privathäuser auf dem noch sumpfigen Boden der Basilius-^[folgende Seite]