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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Schicksalsbaum - Schiedsmann.

Wesen, von welchem die Begebenheiten und Verhältnisse ausgehen, die wir Schicksale nennen. Im erstern Sinn unterscheidet man verdientes (selbstverschuldetes) und unverdientes (unverschuldetes), im letztern gerechtes (Nemesis) und ungerechtes S. (Fatum). Das verdiente S. (Lohn) ist Belohnung, wenn es durch eine Wohlthat, Strafe, wenn es durch eine Missethat herbeigeführt, das unverdiente S. (Los) tragisch, wenn es dem Betroffenen verderblich, komisch, wenn es demselben unschädlich ist. Das gerechte S., welches das Los des Handelnden nach dessen moralischer Beschaffenheit bestimmt, heißt moralische (sittliche), das gegen diese gleichgültige (blinde) Fatum dagegen physische (mechanische) Weltordnung. Dem S. im ersten Sinn steht der (grundlose) Zufall, dem S. im zweiten Sinn die (persönliche) Vorsehung gegenüber.

Schicksalsbaum, s. Clerodendron.

Schicksalsdrama, üblich gewordene Bezeichnung für eine Gruppe von Dramen, vorwiegend Tragödien, welche im zweiten und dritten Jahrzehnt des 19. Jahrh. in der deutschen Litteratur hervortraten und eine kurze Zeit hindurch außerordentliche, namentlich theatralische, Erfolge erzielten. Die Schicksalsdramen waren schwächliche Nachgeburten der Romantik und der durch die Romantiker vermittelten nähern Bekanntschaft mit dem spanischen Drama. Eine gewisse Neigung, fatalistische Elemente als dramatisch wirksame zu verwenden, wuchs entschieden schon aus Schillers "Jungfrau von Orléans" und "Braut von Messina" hervor. Die Wirkung dieses mißverstandenen Fatalismus läßt sich namentlich in den ältern sogen. historischen Tragödien Zacharias Werners verfolgen. Aber erst mit der einaktigen Tragödie "Der vierundzwanzigste Februar" schuf Werner das eigentliche Vorbild für die ganze Reihe der Schicksalsdramen. Nicht der Glaube der Dichter an irgend eine dunkle in das Leben der Welt oder der Einzelnen hineingreifende Gewalt, sondern ein willkürlich den Gestalten geliehener Gespensterglaube veranlaßt in Verbindung mit rohen Begierden und wilden Leidenschaften Greuel aller Art, namentlich Verwandtenmord und Blutschande, welche in den meisten Schicksalsdramen wiederkehren. Der theatralische Effekt, welchen diese in ihrem poetischen Gesamtwert sehr ungleichen, in ihrer Motivierung aber meist kindischen Tragödien hervorbrachten, beruhte auf der Kunst, mit einem von vornherein geahnten, aber noch unenthüllten Verbrechen oder Entsetzen zu spielen. Dem S. brachen vor allen die Dichtungen Ad. Müllners (s. d.): "Die Schuld", "Yngurd", "Die Albaneserin", Bahn, Houwald mit den Tragödien: "Das Bild" und "Der Leuchtturm" folgte, eine Menge von vergessenen Nachahmern, wie W. Smets, Heinr. Smidt, Ant. Richter, A. v. Seckendorff, versuchten mit ähnlichen und bis zum Lächerlichen übersteigerten Effekten ähnliche Erfolge zu erzielen. Auch Franz Grillparzer schloß sich in seiner immerhin phantasiereichen und lebensvollen Jugendtragödie "Die Ahnfrau" der falschen Richtung an, ließ sie aber schon in seinen nächsten Dramen völlig hinter sich. Das S. verfiel beizeiten der Parodie, Jeitteles-Castellis "Schicksalsstrumpf" (Leipz. 1818) eröffnete den Reigen, und Platens satirische Komödie "Die verhängnisvolle Gabel" beschloß ihn.

Schidlowetz (Szydlowiec), Stadt im russisch-poln. Gouvernement Radom, südwestlich von Radom, hat Handel mit Getreide, Eisen, Mühl- und Schleifsteinen und Holz und (1885) 6262 Einw. (viele Juden). In der Nähe Eisenerzgruben.

Schidone (spr. ski-, Schedoni), Bartolommeo, ital. Maler, geboren um 1580 zu Modena, war Schüler der Carracci, bildete sich aber mehr nach Correggio, dessen Eigenart er mit der römischen und naturalistischen Richtung verschmolz. Anfangs in Modena thätig, wurde er später Hofmaler zu Parma und starb 1615 daselbst. Um 1604 malte er die Fresken im Rathaus zu Modena: Coriolan und sieben allegorische Frauen, die Harmonie darstellend. Von seinen Ölbildern sind hervorzuheben: das Gastmahl beim Pharisäer (in der Galerie zu Modena), eine Grablegung Christi (zu Parma), Christus zu Emmaus (im Belvedere zu Wien), der heil. Sebastian (in Neapel), die Ruhe auf der Flucht (in Dresden).

Schiebebrücken, s. Brücke (IV), S. 498.

Schieber, Absperrvorrichtung für flüssige, gasförmige, körnige oder pulverförmige Körper, besteht aus einem Schlitz in einer ebenen Wand (Schieberspiegel), über welchem ein dicht aufliegendes Stück verschoben werden kann, so daß der Schlitz mehr oder weniger geschlossen wird. Ausgedehnte Anwendung findet der S. bei der Dampfmaschine.

Schiedam (spr. schidam), Stadt in der niederländ. Provinz Südholland, Bezirk Rotterdam, 4 km westlich von Rotterdam, an der Mündung der Schie in die Maas und an der Eisenbahn von Rotterdam nach dem Haag, Sitz eines Kantonalgerichts und eines deutschen Konsulats, hat einen Hafen, 6 Kirchen, eine Synagoge, ein schönes Konzert- und Schauspielhaus, eine lateinische, eine Bürger- und eine Zeichenschule, eine Börse, große Geneverbrennereien (über 220), deren Erzeugnis weit und breit berühmt ist, starke Schiffahrt und (1887) 25,069 Einw.

Schiedmayer, Lorenz, Pianofortebauer, geb. 1786 zu Erlangen, gest. 1860 in Stuttgart, gründete in letzterer Stadt 1806 eine Pianofortefabrik, welche nach seinem Tod von seinen Söhnen Adolf und Hermann übernommen wurde und besonders durch ihre Pianinos in gutem Ruf steht, während zwei andre Söhne, Julius (gest. 1878) und Paul, 1853 eine Harmoniumfabrik gründeten, mit der sie 1865 auch eine Pianofortefabrik verbanden.

Schiedseid, s. Eid, S. 366.

Schiedsgericht, s. Schiedsrichter. Über gewerbliche Schiedsgerichte (Schiedsämter) s. Gewerbegerichte und Einigungsämter.

Schiedsmann (Friedensrichter), die zur Herbeiführung und protokollarischen Aufnahme von Vergleichen, die unter streitenden Teilen vereinbart werden, besonders eingesetzte Behörde. In Preußen war das Institut der Schiedsmänner seit 1827 für den ganzen Umfang der Monarchie mit Ausnahme von Rheinpreußen eingeführt, und verschiedene deutsche Staaten hatten, diesem Beispiel folgend, Vergleichs- und Friedensrichter zur gütlichen Beilegung von Privatrechtsstreitigkeiten und Injuriensachen berufen. Das Sühnegericht entstammt dem französischen Recht, indem nach dem letztern kein Streit vor den Zivilgerichten begonnen werden kann, dem nicht ein Sühneversuch vor dem als Bureau de conciliation fungierenden Friedensgericht vorausgegangen ist. Dies System hat die deutsche Strafprozeßordnung (§ 420) für die Privatbeleidigungen angenommen, indem wegen solcher die Klage erst dann erhoben werden kann, wenn die Sühne erfolglos versucht wurde. Die Behörden, welche zu solchem Sühneversuch berufen, bestimmt die Landesjustizverwaltung. In Preußen sind es die Schiedsmänner, nachdem die Schiedsmannsordnung vom 29. März 1879 das Institut (auch für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten)