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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schwefelsäure

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Schwefelsäure (Eigenschaften der reinen S.; rauchende S.).

hälter k, aus welchem sie in die Ballons abgelassen wird. Der Prozeß geht ununterbrochen fort, wenn die Kammersäure in richtigem Verhältnis zufließt. Sehr häufig benutzt man statt des Platinapparats auch Glasretorten, welche etwa 135 Lit. fassen, aus einem flaschenförmigen Gefäß und Helm bestehen und einzeln in Kapellen mit Sandbad mit eigner Feuerung aufgestellt sind. Man füllt die Retorten, von denen etwa 20-50 in einem durchaus zugfreien Haus im Betrieb sind, mit warmer, 60gradiger Säure, feuert etwa 12 Stunden, läßt dann 12 Stunden abkühlen und zieht die konzentrierte Säure mit einem Heber ab. Unter Anwendung terrassenförmig aufgestellter und durch Heber miteinander verbundener Retorten kann man auch kontinuierlichen Betrieb erzielen, indem die S. aus einer Retorte in die andre und zwar aus der von der gemeinsamen Feuerung entferntesten allmählich in die am stärksten geheizte Retorte gelangt.

Theoretisch sollten 100 Teile Schwefel 306,25 Teile S. liefern; man erhält aber im Durchschnitt aus Rohschwefel 296-300 und aus Pyrit auf 100 Teile wirklich verbrannten Schwefel 283-301 Teile S. Die Kammersäure wird häufig mit Schwefelwasserstoff behandelt, welche S. neben Arsen auch Blei, Antimon, Kupfer, Selen fällt und salpetrige Säure, Salpetersäure und schweflige Säure zerstört. Die konzentrierte S. des Handels ist oft durch hineingefallenen und zum Teil verkohlten Staub mehr oder weniger braun gefärbt; sie enthält meist etwas schwefelsaures Bleioxyd, welches sich beim Verdünnen abscheidet, gewöhnlich auch Salpetersäure oder Oxyde des Stickstoffs und Arsen. Reine S. erhält man durch Aufkochen der etwas verdünnten Säure des Handels mit schwefelsaurem Ammoniak (zur Entfernung der Oxyde des Stickstoffs) und Zugeben von chromsaurem Kali (zur Oxydation der arsenigen Säure). Man gießt von ausgeschiedenem Bleisulfat ab, destilliert aus dem Sandbad, wobei nur die Seiten der Retorte erhitzt werden dürfen, und vermeidet das Stoßen durch Einlegen von Platindraht oder Platinblechschnitzeln. Wenn 0,16 Volumen übergegangen ist, wechselt man die Vorlage und destilliert, bis von 10 Teilen roher S. 6 Teile in der Vorlage sich befinden.

Reine S. ist farb- und geruchlos, fließt wie Öl, raucht nicht an der Luft, zischt nicht beim Eingießen in Wasser und wirkt höchst ätzend. Sie besitzt das spez. Gew. 1,840, enthält noch 1,5 Proz. Wasser und siedet bei 338°, in der Kälte kristallisiert aber wasserfreie S. heraus, welche bei 10,5° schmilzt und das spez. Gew. 1,857 besitzt; sie beginnt bei 290° zu sieden, gibt Schwefelsäureanhydrid ab und hinterläßt unter Steigerung der Temperatur eine Säure von oben angegebener Beschaffenheit. S. zieht aus der Luft begierig Wasser an und entwickelt beim Verdünnen mit Wasser viel Wärme. Man muß stets, wenn man S. mit Wasser mischen will, die Säure vorsichtig und unter Umrühren in das Wasser gießen, niemals umgekehrt, weil sonst durch plötzliche Dampfbildung die Säure umhergeschleudert werden würde. Den Gehalt verdünnter S. von verschiedenem spezifischen Gewicht zeigt nebenstehende Tabelle (S. 731).

S. ist eine starke Säure; sie neutralisiert die stärksten Basen vollständig und bildet zwei Reihen Salze; sie treibt die andern Säuren aus ihren Verbindungen aus und wird selbst regelmäßig nur durch nicht flüchtige Säuren in hoher Temperatur deplaciert. Sie löst die meisten Metalle entweder als verdünnte Säure unter Entwickelung von Wasserstoff oder als konzentrierte Säure unter teilweiser Reduktion zu schwefliger Säure. Platin wird von konzentrierter S. nicht angegriffen, Gußeisen widersteht einer Säure von höherm spezifischen Gewicht als 1,65 in der Wärme und in der Kälte sehr gut, und Blei wird nur von Säure angegriffen, welche ein höheres spezifisches Gewicht besitzt als 1,71. Auch durch Kohle, Schwefel, Phosphor und bei 160° durch Wasserstoff wird sie zu schwefliger Säure reduziert. Leitet man den Dampf von S. durch glühende Röhren, so zerfällt er in schweflige Säure, Sauerstoff u. Wasser. Organischen Stoffen entzieht S. die Elemente des Wassers, oft unter tief greifender Zersetzung, Verkohlung, Entwickelung von Kohlenoxyd, Kohlensäure, schwefliger Säure. Alkohol wird durch S. in Äthylen u. Wasser zerlegt, und bei Einwirkung minder konzentrierter Säure entsteht Äther; Glykoside werden durch sie gespalten, Fette in Glycerin und fette Säuren zerlegt, Papier wird von konzentrierter S. in Pergamentpapier umgewandelt, Cellulose und Stärkemehl bei längerer Einwirkung verdünnter S. in Dextrin und Zucker übergeführt etc.

Rauchende S. (Nordhäuser Vitriolöl, Oleum) ist eine Mischung von S. (H2SO4) ^[(H_{2}SO_{4})] und Pyroschwefelsäure (H2S2O7) ^[(H_{2}S_{2}O_{7})]. Sie wird dargestellt, indem man Vitriolschiefer (schwefelkieshaltigen Thonschiefer) an der Luft stark verwittern läßt, dann auslaugt, die Lauge, welche schwefelsaures Eisenoxydul und schwefelsaures Eisenoxyd enthält, verdampft, den Rückstand im Flammofen kalciniert und in kleinen irdenen Kolben mit irdenen Vorlagen im Galeerenofen erhitzt. Das schwefelsaure Eisenoxyd zerfällt hierbei in Eisenoxyd (Totenkopf, Caput mortuum), welches in der Retorte zurückbleibt, und

^[Abb.: Fig. 4. Platinapparat zur Konzentrierung der Schwefelsäure.]