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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schweiz

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Schweiz (Handel und Verkehr).

breitet; die Leinweberei ist nur im Kanton Bern von Belang, und hier ist auch der Hauptsitz der Parkettfabrikation und Holzschnitzerei.

Handel und Verkehr.

Wenn ein Land so arm an Rohprodukten ist und nur in einzelnen Richtungen industriell hervorragt, dazu, von einer strengen Zolllinie großer Nachbarstaaten eingeschlossen, tief im Innern eines Kontinents gelegen ist, keine schiffbare Verkehrsader zum Ozean und ein den Chaussee- und Bahnbau erschwerendes Terrain besitzt, so bedurfte es andrer günstiger Faktoren, um den Schweizer Handel zur Blüte zu bringen. Neben den Hauptgeschäftsplätzen Basel, Genf, Zürich und St. Gallen gibt es eine Zahl von merkantil bedeutsamen Orten, z. B. Bahnstationen, deren täglicher Güterverkehr Tausende von Zentnern beträgt, Telegraphenbüreaus mit 10,000 bis über 300,000 Depeschen jährlich, eine Menge Bankinstitute, deren Kapital bei einzelnen auf 10-20 Mill. Frank steigt (s. Banken, S. 335), Handelsfirmen, die mit Plätzen aller fünf Erdteile verkehren, etc. Der Warenverkehr mit dem Ausland hatte 1886 im Spezialhandel einen Wert von 799,2 Mill. Fr. bei der Einfuhr und von 667,4 Mill. Fr. bei der Ausfuhr. Die Hauptverkehrsländer waren bei der Einfuhr Deutschland (261 Mill. Fr.), Frankreich (188 Mill.), Italien (119 Mill.), Österreich-Ungarn (92 Mill.), Großbritannien (46 Mill.), Belgien (26 Mill.), Vereinigte Staaten von Nordamerika (21 Mill. Fr.); bei der Ausfuhr Deutschland (160 Mill. Fr.), Frankreich (139 Mill.), Großbritannien (104 Mill.), Vereinigte Staaten (87 Mill.), Italien (58 Mill.) und Österreich-Ungarn (56 Mill. Fr.). Die Einfuhr überstieg die Ausfuhr in Nahrungs- und Genußmitteln um 96 Mill. Fr., in Wolle um 42 Mill., in Tieren um 32 Mill., in Eisen um 19 Mill., in Leder um 16 Mill., in Chemikalien um 13 Mill. Fr.; die Ausfuhr hingegen die Einfuhr in Baumwollwaren um 101 Mill., in Uhren um 77 Mill., in Seidenwaren um 40 Mill. Fr. Im J. 1887 betrug die Nettoausfuhr:

^[Liste]

Taschenuhren 76017521 Frank

Maschinen 10568238 "

Baumwollgarne, roh 15105198 "

Baumwollgewebe, glatt 10414471 "

", gefärbt 2564174 "

", bedruckt 14949967 "

Maschinenstickereien 83190714 "

Seidenstoffe 69663192 "

Seidenbänder 34895638 "

Wollgarne 7077437 "

Im Besitz eines großen Transits zwischen Nord- und Südeuropa, bildeten die Alpenstraßen (s. d.), zuerst der von Napoleon I. chaussierte Simplon, seit den 20er Jahren Splügen, Bernhardin und St. Gotthard und die neuern in Graubünden, lebhafte Verkehrsadern, und in den flachern Landschaften verzweigte sich ein musterhaftes Straßennetz mehr und mehr bis in die abgelegensten Thäler. Die Schweizer Flüsse sind zu Wasserstraßen wenig geeignet; dagegen hat sich auf den größern Seen die Dampfschiffahrt eingebürgert, zuerst auf dem Genfer See 1823; dann folgten 1824 der Bodensee, 1826 der Lago Maggiore und 1827 der Neuenburger See. Eine neue Periode brachte die Dampfschiffahrt dem Zürich-, Vierwaldstätter, Thuner und Murtensee (1835) sowie dem Brienzer See (1839); zuletzt kamen der Comersee (1847?), Zuger See (1852), Luganer See (1856), Lac des Brenets (1875) und (wieder) der Bieler See (1877). Gegenwärtig kursieren 105 Dampfer, darunter 1 Trajektschiff auf dem Bodensee. Die Eisenbahnen bürgerten sich erst seit 1847 allmählich ein. Nach dem Bundesgesetz vom 28. Juli 1852 ist das gesamte Bahnwesen der S. den Kantonen oder der Privatthätigkeit überlassen. Die Konzessionen gehen zunächst von den beteiligten Kantonen aus, unterliegen aber der Genehmigung seitens des Bundes. Die Gesellschaften, welche den Bau und Betrieb der verschiedenen Systeme übernahmen, strebten einerseits nach einer ununterbrochenen Linie, welche die ganze Länge der "Hochebene" durchziehe und so Genfer und Bodensee, die südfranzösischen Systeme mit den deutschen und österreichischen verbinde, anderseits nach Querlinien, welche, die Thalbahn kreuzend, in die Paßthäler der großen Alpenübergänge vordringen. An der Thalebene partizipieren: 1) die Westbahn (Genf-Lausanne-Neuchâtel-Neuveville), 2) die Jura-Bernbahn (Neuveville-Biel), 3) die Zentralbahn (Biel-Solothurn-Olten-Aarau), 4) die Nordostbahn (Aarau-Zürich-Winterthur-Romanshorn). Die Querlinien sind: a) Lausanne-Vevey-St. Maurice und Bouveret-Sion-Brieg (Ligne du Simplon), nach dem Simplon strebend; b) die nach dem St. Gotthard strebenden Linien Basel-Olten-Luzern und Zürich-Zug-Luzern; c) die Linie Rorschach-Sargans-Chur, auf Überschienung des Splügen gerichtet. Die meisten der übrigen Linien haben mehr lokale Bedeutung. Die Herstellung dieses (ältern) Bahnnetzes hat den Technikern manche Schwierigkeiten dargeboten. Kühne Brücken, große Viadukte und Tunnels, starke Steigungen und Kurven erregten die Bewunderung ihrer Zeit, so: die kühne, 63 m hohe Gitterbrücke über das Sitterntobel bei St. Gallen, der Viadukt von Grandfey (Freiburg), der Viadukt von Boudry (Neuchâtel), die großen Tunnels im Hauenstein und auf der Linie des Jura Industriel (Neuchâtel-La Chaux de Fonds) u. a. Die größten Steigungen hatten die Hauensteinlinie (26,23 pro Mille), die Linie Freiburg-Lausanne (27 pro Mille) und der Jura Industriel (28 pro Mille) aufzuweisen. Dieses ältere System, in den 50er Jahren hergestellt, erfuhr im folgenden Dezennium nur geringe Vervollständigungen; als aber 15. Okt. 1869 der den Bau einer Gotthardbahn erstrebende Staatsvertrag zwischen der S. und Italien abgeschlossen wurde und diesem Vertrag 28. Okt. 1871 auch das Deutsche Reich beitrat, änderte sich die Sachlage mit Einem Schlag. Das Bahnnetz machte eine förmliche Frontveränderung: die Thallinie Genfer-Bodensee wurde teilweise zur Zufahrt der Gotthardbahn, und es tauchten nun eine Menge von Bahnprojekten auf, die wesentlich eine Vervielfältigung dieser Zufahrten bedeuten. Auch das alte Projekt einer Schweizer Rheinlinie (Winterthur-Koblenz-Rheinfelden-Basel) sowie einer kürzesten Verbindung Zürich-Basel, d. h. einer Bözbergbahn, das lang erstrebte Unternehmen eines Bahnsystems im Berner Jura zum Anschluß nach Basel, nach Belfort-Paris und nach La Chaux de Fonds, diese und viele andre Unternehmen gingen einer raschen Verwirklichung entgegen. Allein nach der äußersten Anspannung der Kräfte, welche eine von Schwindel keineswegs freie Zeit gefordert hatte, ist eine Ernüchterung eingetreten. Die meisten Bahnen befinden sich in mehr oder minder gedrückter Lage; der kilometrische Ertrag ist sehr erheblich zurückgegangen. In neuester Zeit ist die Tendenz auf die Verstaatlichung des Bahnnetzes gerichtet. Die amtliche Eisenbahnstatistik, die jüngste für 1887, unterscheidet: a) Normalbahnen, 2726 km, b) Spezialbahnen, d. h. Schmal- und Zahnbahnen, 132 km, c) Drahtseilbahnen, ca. 5 km, d) Tramwaylinien, über 22 km. Die Drahtseilbahnen haben bis 570 pro Mille Steigung.