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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Serbien

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Serbien (Geschichte bis 1878).

kungen auf. Unter der verständigen Regierung Alexanders wurde eine Reihe von Reformen ins Werk gesetzt, die ein gedeihliches Fortschreiten des innern Staatslebens zur Folge hatten.

Während S. seitdem in gewerblicher und nationalökonomischer Beziehung sich bedeutend hob, dauerten die Parteiungen im Innern fort und kamen Ende 1858 endlich zum Ausbruch. Die Skuptschina stellte 21. Dez. an den Fürsten Alexander, der sich durch seine Hinneigung zu Österreich und seine Friedensliebe verhaßt gemacht hatte, geradezu das Verlangen, abzudanken, und der Senat drang am 22. in ihn, dem Wunsch des Volkes nachzugeben. Als sich der Fürst unter Protest in die von den Türken besetzte Festung begab und sich hier unter den Schutz der Pforte stellte, erklärte ihn die Skuptschina als Flüchtling für abgesetzt und erhob den 80jährigen Milosch Obrenowitsch auf den serbischen Thron. Auch der Senat stimmte nach anfänglichem Protest diesem Schritt bei. Am 2. Jan. 1859 erklärte sich Alexander hierauf zur Abdankung bereit. Milosch ergriff von der Herrschaft Besitz und ward auch 12. Jan. von der Pforte bestätigt, starb aber schon 26. Sept. 1860, und sein Sohn folgte ihm als Michael III. Die seit 18. Aug. 1861 zu Kragujewatz tagende Skuptschina nahm ein ihr vorgelegtes neues Skuptschinagesetz, eine Reorganisation des Senats und der Militärverfassung und eine Steuerregulierung an, und der Senat erteilte den Vorlagen ebenfalls seine Zustimmung. Die Organisation der Volksmiliz ward 1862 trotz türkisch-österreichisch-englischen Widerspruchs durchgeführt. Auch traten jetzt die Bestrebungen der Serben nach voller Unabhängigkeit von der Pforte immer offener hervor, und die Spannung zwischen Türken und Serben führte in Belgrad infolge des Streits eines Türken mit einem serbischen Knaben 15. Juni 1862 zu einem blutigen Auflauf. Die türkischen Thorwachen wurden nach der Festung zurückgedrängt, und deren Kommandant bombardierte 17. Juni die Stadt, ohne ihr indessen beträchtlichen Schaden zuzufügen. Am 18. Juni kam es zu einem Waffenstillstand. Der Streit ward von den Mächten durch das Protokoll vom 4. Sept. so geschlichtet, daß die Türken alle Festungen außer Belgrad, Schabatz und Smederewo räumten. Damit waren die Serben, bei denen die Omladina (s. d.) die panslawistischen oder wenigstens großserbischen Gelüste nährte und steigerte, nicht zufrieden, und 5. Okt. 1866 richtete Fürst Michael das Ansuchen um Räumung aller Festungen in S. nach Konstantinopel, indem er dieselbe als das einzige Mittel bezeichnete, um das Mißtrauen und die Aufregung aus S. zu bannen. Die türkische Regierung konnte sich lange nicht dazu entschließen, Belgrad aufzugeben. Erst 3. März 1867 verstand sie sich auf Anraten Österreichs zur Räumung der serbischen Festungen und machte nur den einen Vorbehalt, daß auch in Zukunft auf der Citadelle von Belgrad die türkische Fahne neben der serbischen wehen sollte. Ende März ging der Fürst von S. sodann nach Konstantinopel, um die endgültigen Schritte in der Festungsfrage zu erwirken; 18. April erfolgte die feierliche Übergabe der vollständig armierten Festung Belgrad an S. Bis 6. Mai hatten die letzten Truppen der Türkei den serbischen Boden verlassen.

Trotz dieser Erfolge bildete sich gegen die Herrschaft der Obrenowitsch eine Verschwörung, welche von der Familie Karageorgiewitsch angestiftet wurde, und der sich einige mit der vorsichtigen Haltung der Regierung unzufriedene, panslawistisch gesinnte Serben anschlossen. Am 10. Juni 1868 wurde Fürst Michael im Park von Topschider ermordet. Das erste war, da bei der Kinderlosigkeit des Fürsten die Skuptschina über die Wahl eines Nachfolgers gehört werden mußte, die Einsetzung einer provisorischen Regierung, die Mobilisierung der Armee und die Proklamierung des Kriegszustandes in S. Im Volke gab sich alsbald eine große Erbitterung gegen die Mörder zu erkennen; die wegen mutmaßlicher Teilnahme an der That Verhafteten konnten nur mit Mühe vor der Bevölkerung geschützt werden. Gerade der gewaltsame Versuch, die Obrenowitsch zu verdrängen, steigerte die Anhänglichkeit der Bevölkerung Serbiens an dieses Haus in hohem Grad, so daß die Skuptschina den einzigen noch lebenden Obrenowitsch, den 14jährigen Milan, als Milan IV. zum Nachfolger des Fürsten Michael ausrief. Die Großmächte sowohl als die Pforte stimmten dem bei. Der Minister des Innern, Miloikowitsch, übernahm mit dem Justizminister die Vormundschaft über den jungen Fürsten, während die Regentschaft aus Blatznawatsch, Ristitsch und dem Senator Gawrikowitsch ^[richtig: Gawrilowitsch (= Jovan Gavrilovic, 1796-1877)] bestand. Doch war die Macht der Regierung gering, und die Parteien bekämpften sich hartnäckig in der Skuptschina und in der Presse; fortwährend wechselten die Ministerien, auch nachdem Milan selbst die Regierung übernommen.

Gleichzeitig mit dem Aufstand in der Herzegowina begann die Omladina wieder ihre panslawistischen Agitationen mit durchschlagendem Erfolg, gewann den Minister Ristitsch für sich und erlangte die Zusicherung russischer Hilfe. Hierauf eröffnete S. 1. Juli 1876 den Krieg mit der Türkei, der ihm Bosnien, Milan die Königskrone verschaffen sollte. Rußland schickte auch Geld und zahlreiche Freiwillige; die serbische Armee ward unter Befehl des russischen Generals Tschernajew gestellt, zeigte sich aber der Aufgabe nicht gewachsen. Die Serben wurden vom türkischen Gebiet wieder verdrängt; im Thal der Morawa bei Alexinatz kam es im September und Oktober zu heftigen Kämpfen, die Ende Oktober mit der völligen Niederlage der Serben endeten. Die Eroberung des Landes durch die Sieger wurde nur durch den Einspruch Rußlands verhindert, das der Türkei einen Waffenstillstand (1. Nov.) aufnötigte. Am 1. März 1877 wurde zwischen der Türkei und S. der Friede abgeschlossen und der Stand der Dinge vor dem Krieg hergestellt. Beim Ausbruch des russisch-türkischen Kriegs im April 1877 traf S. sofort wieder Anstalten zum Beginn des Kriegs. Doch der ungünstige Verlauf des russischen Feldzugs im Sommer bewog es zu einer beobachtenden Haltung, bis der Fall von Plewna (10. Dez.) die Serben ermutigte, in Bulgarien einzufallen, wo sie im Januar 1878 Nisch eroberten. Im Frieden von Santo Stefano erlangte S. nicht bloß die Anerkennung seiner Unabhängigkeit, sondern auch eine beträchtliche Gebietserweiterung, welche durch den Berliner Kongreß, auf dem S. durch Ristitsch vertreten war, sogar noch vergrößert wurde, nämlich die Gebiete von Nisch, Pirot und Leskowatz; doch mußte es unbedingte Gleichheit aller Konfessionen zugestehen sowie einen entsprechenden Teil der türkischen Staatsschuld übernehmen und in die Verpflichtungen eintreten, welche die Pforte in Bezug auf Eisenbahnbau Österreich gegenüber eingegangen war. Am 1. Aug. 1878 ward die serbische Unabhängigkeit proklamiert, und Milan nahm als souveräner Fürst den Titel "Hoheit" an.

Dieser glänzende Erfolg, der zu den militärischen Leistungen der Serben in grellem Widerspruch stand, steigerte das Ansehen und den Einfluß der von Ristitsch geleiteten russenfreundlichen chauvinistischen