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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Sizilien, Königreich beider

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Sizilien, Königreich beider (Geschichte bis 1860).

der Briganten so überhand, daß man ihre Zahl auf 30,000 schätzte und die Regierung, um sie etwas in Schranken zu halten, eine Bande gegen die andre dang. Die allgemeine Unzufriedenheit mit den bestehenden Zuständen wurde genährt von dem Geheimbund der Karbonari und ergriff auch die einem österreichischen General, Nugent, unterstellte Armee. Als daher 1820 die Kunde von der Revolution in Spanien erscholl, rief ein Leutnant in Nola, Morelli, 2. Juli 1820 die spanische Konstitution von 1812 aus, rückte mit seinem Dragonerregiment nach Neapel und erhielt auf seinem Marsch so große Verstärkung, daß man am Hof jeden Widerstand aufgab. Der König ernannte seinen Sohn, den Herzog Franz von Kalabrien, zum Prinzregenten, und dieser übertrug dem liberalen General Guglielmo Pepe den Oberbefehl über die Truppen und versprach die Einführung der spanischen Verfassung. Pepe forderte indes, daß der König selbst den Eid auf die Verfassung leisten solle, und Ferdinand that dies nicht nur 13. Juli, sondern fügte auch noch den Schwur hinzu, daß, wenn er lüge, Gott ihn in diesem Augenblick mit dem Blitz seiner Rache treffen möge. In Sizilien regten sich indes separatistische Gelüste, und das Volk in Palermo vertrieb 18. Juli den Statthalter, setzte eine provisorische Regierung ein und forderte bloße Personalunion mit Neapel. Zwar unterwarfen die neapolitanischen Truppen unter General Florestano Pepe die Insel bald wieder und nahmen 5. Okt. Palermo. Indes wurde die neue Regierung hierdurch geschwächt, und während in Neapel die Einführung der Verfassung 21. Jan. 1821 festlich begangen wurde, betrieb Metternich auf Bitten des Königs Ferdinand die Einmischung der Mächte. Auf dem Kongreß zu Laibach, wo Ferdinand selbst erschien und seinen Eid für erzwungen erklärte, beschlossen die Mächte im Januar 1821 die Intervention im Königreich beider Sizilien. Anfang Februar überschritt General Frimont mit 43,000 Österreichern die Grenze. Nach einem kurzen Gefecht bei Rieti (7. März) liefen die von Pepe befehligten neapolitanischen Truppen auseinander, und die Österreicher rückten 22. März in Neapel ein, wo ebenso wie auf der Insel Sizilien, wohin ein österreichisches Korps unter Wallmoden geschickt worden war, die alte Ordnung mit blutiger Strenge gegen die Urheber der Revolution hergestellt wurde. Ferdinand, der im Mai zurückkehrte, beseitigte alle liberalen Einrichtungen und erneuerte die frühere Mißwirtschaft.

Ferdinands Sohn Franz I. (1825-30) blieb während seiner kurzen Regierung dem System seines Vaters treu, während dessen Sohn Ferdinand II. (1830-59) anfangs manche nützlichen Reformen einführte und namentlich die Finanzen in trefflichen Stand brachte; Aufstände, zu denen die entsetzlich wütende Cholera auf Sizilien den Anlaß gab, boten die Gelegenheit, die völlige Verschmelzung der Insel mit dem Festland durchzuführen. Indes auch Ferdinand II. näherte sich mehr und mehr dem Regierungssystem seiner Vorgänger und erweckte dadurch wieder die allgemeinste Unzufriedenheit. Die Reformen, die Papst Pius IX. 1847 gab und versprach, riefen besonders auf Sizilien eine solche Erregung hervor, daß daselbst schon im Januar 1848 ein Aufstand ausbrach. Es war vergeblich, daß Ferdinand eine konstitutionelle Verfassung gab, die er übrigens bald wieder aufhob, und Palermo 14. Jan. bombardieren ließ. Sizilien sagte sich 13. April von den Bourbonen los und erwählte 11. Juli den Herzog von Genua, einen Sohn Karl Alberts von Sardinien, zum König. Indes die Neapolitaner behaupteten sich im Besitz der östlichen Hälfte der Insel, und als die Verhandlungen, welche während einer von Frankreich und England vermittelten Waffenruhe geführt wurden, kein Ergebnis hatten, begannen sie den Kampf im April 1849 von neuem und eroberten 14. Mai Palermo, womit Sizilien unterworfen war. Auch in Neapel hatte sich die Bürgerschaft gegen die Tyrannei des Königs erhoben, war aber 15. Mai 1848 durch die Schweizergarden und den entfesselten Pöbel bezwungen worden.

Die Reaktion, welche in Neapel und Sizilien auf die Erhebung folgte, war schlimmer als anderswo; 22,000 Menschen wurden wegen politischer Vergehen bestraft; seine liberalen Minister schickte der König auf die Galeeren. Seine Herrschaft artete in einen reinen Militärdespotismus aus, so daß Frankreich und England, durch Briefe Gladstones auf die Zustände im Königreich aufmerksam gemacht, dem König die Verleihung einer Verfassung anrieten und, als ihre Vorstellungen nichts fruchteten, ihre Gesandten abberiefen (Oktober 1856). Während der Geheimbund der Camorra den Staat unterwühlte, suchten eine revolutionäre und eine muratistische Partei die Herrschaft der Bourbonen zu stürzen. 1856 versuchte ein Baron Bentivegna in Sizilien einen Aufruhr, und 1857 landete der sardinische Dampfer Cagliari mit politischen Flüchtlingen an der Küste Neapels, um das Volk zur Empörung aufzurufen; beide Unternehmungen mißlangen. Doch wagte der König nicht, in Neapel zu bleiben, sondern bezog das Schloß Caserta, wo er von zahlreichen Truppen bewacht wurde. Nach seinem Tod (22. Mai 1859) folgte sein junger, einseitig erzogener und völlig unerfahrener Sohn Franz II., der nicht im stande war, in liberale Bahnen einzulenken, und trotz aller Bemühungen des russischen und des französischen Gesandten sich weigerte, sich mit Sardinien zu einer Einigung Italiens zu verbinden. Schon ein Jahr nach seinem Regierungsantritt brach vor dem unwiderstehlichen Einheitsdrang der Italiener sein morscher Thron zusammen. Am 11. Mai 1860 landete Garibaldi in Marsala auf Sizilien, und schon 6. Juni war Palermo in seiner Gewalt. Zu spät stellte nun Franz II. die Verfassung von 1848 her, ernannte ein liberales Ministerium und erklärte sich zu einer Amnestie und zu einer Allianz mit Sardinien bereit. Im August betrat schon Garibaldi in Kalabrien den Boden des Festlandes, 6. Sept. verließ der König Neapel, um sich mit dem treugebliebenen Teil des Heers, 40,000 Mann, hinter den Volturno zurückzuziehen, und 7. Sept. hielt Garibaldi seinen Einzug in die Hauptstadt; am 21. Okt. 1860 begann die Abstimmung des Volkes, das mit überwältigender Mehrheit (1,732,000 Ja gegen 11,000 Nein) sich für den Anschluß an Sardinien und die Vereinigung mit dem Königreich Italien entschied. Die Eroberung des Königreichs vollendeten die sardinischen Truppen, welche nach der Einnahme von Capua (2. Nov.) die Neapolitaner zum Rückzug nach Gaeta zwangen, das nach tapferer Verteidigung durch die junge Königin Maria, eine bayrische Prinzessin, 13. Febr. 1861 kapitulierte. Die Citadelle von Messina ergab sich 10. März, Civitella del Tronto 20. März; seitdem bildete das Königreich beider Sizilien einen Bestandteil des Königreichs Italien. Die entthronte Königsfamilie, welche keinen ernstlichen Versuch zu ihrer Wiederherstellung machte, und von der einzelne Mitglieder sich sogar mit Italien versöhnten, zog sich nach Rom zurück. Der jetzige Kronprinz von Italien ist 1869 in Neapel geboren und erhielt daher den Titel eines Prinzen von Neapel.