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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Spanien

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Spanien (Geschichte bis 1823).

neue nach der portugiesischen Grenze zurückziehen, und Madrid wurde zum letztenmal von den Franzosen besetzt; aber die Katastrophe in Rußland veränderte auch die Lage der Dinge in S. Soult wurde zu Anfang 1813 abberufen, Suchet räumte Valencia im Juli; schon 27. Mai hatte König Joseph Madrid für immer verlassen und sich mit der französischen Armee auf Vittoria zurückgezogen. Hier wurde dieselbe von Wellington 21. Juni 1813 gänzlich geschlagen. Die Franzosen zogen sich über die Pyrenäen zurück, und Wellington rückte 9. Juli in Frankreich ein. Spaniens Unabhängigkeit war hiermit hergestellt.

Die Reaktion unter König Ferdinand VII.

Die ordentlichen Cortes, welche im Oktober 1813 in Cadiz zusammengetreten waren, aber im Januar 1814 ihren Sitz nach Madrid verlegten, erließen, obwohl die Servilen (Konservativen) die Mehrheit hatten, 3. Febr. 1814 eine Einladung an Ferdinand VII., sich nach Madrid zu begeben und die Verfassung von 1812 zu beschwören; den Vertrag des Königs mit Napoleon I. (13. Dez. 1813 in Valençay abgeschlossen), der seine Herrschaft in S. herstellte, aber den französischen Einfluß sicherte, erkannten sie nicht an. Ferdinand betrat 24. März 1814 in Gerona den spanischen Boden und nahm 4. Mai von Valencia aus vom Thron Besitz, weigerte sich aber, die Verfassung anzuerkennen, nachdem General Elio mit 40,000 Mann sich ihm angeschlossen, und ließ 11. Mai die Cortes durch Truppen auseinander jagen. Dennoch begrüßte ihn das Volk mit Jubel, als er 14. Mai in Madrid einzog; denn er war als Gegner des verhaßten Godoy noch immer populär. Zwar versprach er in einem Manifest vom 24. Mai Amnestie und die Verleihung einer Verfassung; doch wurden diese Versprechungen nicht gehalten. Alle Offiziere bis zum Kapitän und alle Beamten bis zum Kriegskommissar herab, welche Joseph gedient hatten, wurden mit Weib und Kind auf Lebenszeit verbannt. Die Liberalen, wenn sie auch durch aufopfernde Vaterlandsliebe im Befreiungskampf sich ausgezeichnet hatten, wurden geächtet oder in den Kerker geworfen, zwei Generale, Porlier und Lacy, die für die Verfassung ihre Stimmen erhoben, hingerichtet. Jesuiten, Klöster und geheime Polizei wurden wiederhergestellt. Dabei fehlte es der Regierung doch an Stärke und Beständigkeit. Von 1814 bis 1819 lösten 24 Ministerien einander ab. Der König, unwissend, charakterlos, von launischer, feiger Despotenart, ließ sich ganz von einer gewissenlosen Kamarilla beherrschen, welche jeden durch die Zerrüttung des Staatswesens gebotenen und von den Großmächten dringend angeratenen Reformversuch vereitelte. S. war daher nicht im stande, die abgefallenen Kolonien in Amerika wieder zu unterwerfen, und verlor seinen ganzen Besitz auf dem Festland von Süd- und Mittelamerika; Florida in Nordamerika trat es 1819 für 5 Mill. Dollar freiwillig an die Union ab.

Die Gewaltthätigkeit und der Hochmut der unfähigen Regierung erstickten die frühere Anhänglichkeit an das Königtum, und erbitterte Feindschaft gegen dasselbe oder gleichgültiger Pessimismus traten an ihre Stelle. Besonders in dem durchaus vernachlässigten Heer wuchs die Unzufriedenheit und kam unter den für die Überfahrt nach Amerika bestimmten Truppen zum Ausbruch: 4 Bataillone unter dem Oberstleutnant Riego proklamierten 1. Jan. 1820 zu San Juan die Verfassung von 1812 und setzten auf der Isla de Leon eine Regierungsjunta ein, die einen Aufruf an das spanische Volk erließ. Mehrere Provinzen schlossen sich der Empörung an, angesehene Generale, wie O'Donnell und Freire, vereinigten sich mit Riego, als derselbe auf Madrid marschierte. Als auch in Madrid das Volk sich erhob, beschwor der König 9. März die Verfassung von 1812, hob die Inquisition auf und berief die Cortes zum 9. Juli 1820. Die Liberalen hatten in denselben die Mehrheit, und einer ihrer Führer, Arguelles, ward Präsident des Ministeriums. Doch traten sie gemäßigt auf, suchten die zügellose Freiheit der Zeitungen und Klubs durch ein Preß- und Vereinsgesetz zu beschränken und begnügten sich, die Majorate, Fideikommisse und Klöster (bis auf 14) aufzuheben und die Besteuerung der Geistlichkeit (148,290 Personen, ohne die Nonnen, darunter bloß 16,481 eigentliche Pfarrer) durchzuführen. Der erbittertste Feind der neuen Regierung war der König selbst, der im geheimen Einverständnis mit mehreren reaktionären Schilderhebungen in der Provinz, so der "apostolischen Junta", war und alle positiven Maßregeln der Minister und der Liberalen in den Cortes nach Möglichkeit vereitelte, wodurch der Einfluß der Exaltados (Radikalen) wuchs; die extremste Partei derselben, die Descamizados, forderte durch ihre Zügellosigkeit eine Reaktion heraus. Die Anarchie wurde noch durch die Finanznot vermehrt, der auch die Einführung einer direkten Steuer und der Verkauf der Nationalgüter nicht abzuhelfen vermochten; die Schuldenlast stieg auf 14 Milliarden. Als die Exaltados bei den Wahlen für die neuen Cortes, die 1. März 1822 eröffnet wurden, die Mehrheit erlangten, wählten sie Riego zum Präsidenten und überschwemmten das Land mit einer Masse von Reformgesetzen, die bei der Stimmung der Masse nie verwirklicht werden konnten.

Nachdem ein vom Hof angestifteter Versuch der Garden, 7. Juli 1822 vom Prado aus Madrid zu überrumpeln, vom Volk vereitelt worden war, wandte sich der König im geheimen an die Heilige Allianz um Hilfe gegen die Revolution. Auf dem Kongreß zu Verona (Herbst 1822) wurde eine bewaffnete Intervention in S. beschlossen, welche Frankreich auszuführen übernahm. Die Gesandten von Frankreich, Österreich, Rußland und Preußen forderten von der spanischen Regierung und den Cortes die Herstellung der königlichen Souveränität und verließen, als dies 9. Jan. 1823 abgelehnt wurde, den spanischen Hof. Im April rückte die französische Interventionsarmee, 95,000 Mann unter dem Herzog von Angoulême, über die Grenze. Die schlecht organisierten Streitkräfte der Spanier leisteten geringen Widerstand. Von einer Erhebung des Volkes gegen die Franzosen war nichts zu spüren, da diesmal die Geistlichkeit für sie war und ihren Vormarsch unterstützte. Schon 11. April flüchteten die Cortes mit dem König aus Madrid, wo der Herzog von Angoulême 24. Mai unter dem Jubel des Volkes einzog und eine Regentschaft unter dem Herzog von Infantado einsetzte, die sofort das Werk der Restauration mit Verfolgung der Liberalen begann. Überall erhob sich das Volk, vom Klerus aufgehetzt, für den absoluten König; die meisten spanischen Generale kapitulierten mit den Franzosen. Diese schlossen Cadiz, wohin sich im Juni die Cortes mit dem König zurückgezogen hatten, zu Wasser und zu Land ein, eroberten das Außenfort Trocadero (31. Aug.), bombardierten die Stadt (23. Sept.) und bereiteten alles zum Sturm vor, als die Cortes 28. Sept. dem König die absolute Gewalt zurückgaben und sich auflösten; die meisten Mitglieder und Beamten der liberalen Regierung, über 600 Personen, flüchteten ins Ausland, bevor die Franzosen 3. Okt. Cadiz besetzten. Auch die letzten von den Libe-^[folgende Seite]