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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Spiritus

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Spiritus (aus zuckerhaltigen und stärkehaltigen Stoffen).

den Teilen, wo nicht der Gärraum besteuert wird, keine Verbreitung finden können. In Frankreich, wo ein andres Steuersystem herrscht, unter welchem es vorteilhaft ist, weniger gehaltreiche Flüssigkeiten zur Vergärung und Spiritusgewinnung zu benutzen, ist die Verwendung der Zuckerrüben zur Spiritusgewinnung in manchen Gegenden sehr verbreitet, vielfach in der Weise, daß man, je nach Handels- und Preisverhältnissen der Jahrgänge, die Rübenernten zur Zuckerfabrikation oder zur Spiritusbereitung benutzt. Als zuckerhaltiger Rohstoff kommt für Deutschland nur die Melasse in Betracht, aber auch diese wird jetzt vielfach vorteilhafter auf Zucker als auf S. verarbeitet. Aus Traubenwein werden namentlich im südlichen Frankreich die gesuchtesten Traubenbranntweine (Franzbranntweine) gewonnen, obwohl immer nur dann, wenn die Verwertung dieses alkoholreichern Produkts eine höhere als die des Weins ist (Rückstände von der Weinbereitung werden stets in ähnlicher Weise verarbeitet). Die Darstellung des zum Branntweinbrennen bestimmten Weins verlangt nicht dieselbe Sorgfalt wie die des Trinkweins, sie zielt auf möglichste Ausbeutung an Alkohol von reinem Geschmack; die Art des Abbrennens (s. unten) und der Aufbewahrung ist auf den Geschmack des Produkts von wesentlichem Einfluß. Die Rückstände der Weinbereitung liefern den Tresterbranntwein, die bei der Gärung abgeschiedene Hefe den Drusenbranntwein.

Aus zuckerhaltigen Stoffen werden in möglichst einfacher Weise Flüssigkeiten hergestellt, welche den gesamten Zucker des Rohmaterials in Lösung enthalten, worauf durch Zusatz von Hefe die Gärung eingeleitet wird, bei welcher der Zucker in Alkohol und Kohlensäure zerfällt. Melasse wird unter Zusatz von etwas Schwefel- oder Salzsäure und unter Erwärmung zu einer Flüssigkeit von 12-25 Proz. Gehalt verdünnt und bei geeigneter Temperatur mit der Hefe (Hefenmaische, Kunsthefe) versetzt. Zur Darstellung von Rum werden Rückstände von der Darstellung des Zuckers aus Zuckerrohr mit Wasser und Schwefelsäure oder Schlempe zu Flüssigkeiten von 14-16 Proz. Gehalt verdünnt und mit Hefe zur Gärung gestellt; bisweilen wird Zuckerrohrsaft zugesetzt. Von Obst oder süßen Früchten werden Äpfel und Birnen, Kirschen, Zwetschen, Brombeeren, Heidelbeeren, Holunderbeeren u. a. benutzt. Aus Äpfeln und Birnen wird durch Zermalmen oder Reiben, aus den andern Früchten durch teilweises Zerstampfen ein Brei hergestellt und dieser entweder ausgepreßt, oder, und zwar meistenteils, unmittelbar in Tonnen gefüllt, in denen die Masse bald in Gärung kommt. In manchen Gegenden, z. B. im Schwarzwald, bildet die Obstbrennerei eine eigentümliche ländliche Industrie, die von vielen Tausenden in kleinerm und größerm Maßstab betrieben wird; es werden aus den einzelnen Obstarten ebenso viele verschiedene und zum Teil sehr geschätzte Trinkbranntweine dargestellt, die durch ganz bestimmten Geschmack gekennzeichnet sind. Nachdem die Gärung begonnen, werden die Tonnen nach der erfahrungsmäßig besten Zeit dicht verschlossen und so lange an einem kühlen Ort aufbewahrt, bis die Reihe des Abbrennens an sie kommt; das Abbrennen dauert das ganze Jahr hindurch, so daß manches Obst ein Jahr, Zwetschen auch wohl zwei Jahre und mehr in der Tonne verbleiben; die Dauer dieser überaus langsamen Gärung ist von bestimmtem Einfluß auf die Eigenschaften, namentlich auf die Klarheit, des Erzeugnisses. Zuckerrüben liefern neben einem hohen Spiritusertrag von der Bodenfläche ein geschätztes Viehfutter als Rückstand. Nach Champonnois werden die Rüben auf einer Schneidemaschine in Stücke geschnitten, aus diesen wird der Saft durch Auslaugen mit säurehaltigem Wasser oder mit Schlempe gewonnen und mit Hefe oder mit Hefe enthaltendem, gärendem Rübensaft in rasch verlaufende Gärung versetzt. Nach Leplay wird der Saft nicht abgeschieden, sondern innerhalb der gleichfalls in Stücke geschnittenen Rüben dadurch in Gärung versetzt, daß man sie unter einem Zusatz von etwas Schwefelsäure in gärenden Rübensaft bringt. Im erstern Fall wird der Rübensaft, im letztern werden die Rübenschnitte als solche nach Vollendung der Gärung (also nach 1-2 Tagen) der Destillation behufs Abscheidung des Alkohols unterworfen.

Verarbeitung stärkehaltiger Rohstoffe.

Die Verarbeitung der stärkemehlhaltigen Rohstoffe ist in Deutschland von größter volkswirtschaftlicher Bedeutung. Hauptmaterial ist die Kartoffel, welche für große Länderstrecken mit sandigem Boden das hauptsächlichste Landesprodukt bildet, aber bei ihrem niedrigen Preis hohe Transportkosten nicht erträgt. Die Umwandlung in ein teureres, verhältnismäßig weniger Gewicht besitzendes und daher Frachtkosten leicht ertragendes Produkt erscheint um so vorteilhafter, als dabei ein Nebenprodukt, die Schlempe, entfällt, welche ein höchst wertvolles Futtermittel für Milchtiere ist. Hierin liegt begründet, daß die Spiritusfabrikation selten als selbständige Großindustrie auftritt, sondern ein landwirtschaftliches Gewerbe bildet, welches eine große Viehhaltung ermöglicht, so daß der ärmere Boden stark gedüngt werden kann und bei der intensiven Bearbeitung, welche die Kartoffel erfordert, so wesentlich verbessert wird, daß auch der Getreidebau sich lohnend erweist. Hierbei ist nun aber zu beachten, daß die Kartoffeln zur Verzuckerung des Stärkemehls des Malzes und ebenso zur Erzeugung des nötigen Gärmittels der Gerste in solchem Verhältnis bedürfen, daß man auf die Kartoffelernte von je zwei oder drei die Gerstenernte von einem Morgen Landes nötig hat. Es muß also die erforderliche, zum Gerstenbau geeignete Landoberfläche zur Verfügung stehen, oder es muß Gerste von außen eingeführt (gekauft) werden. Dazu kommt in neuerer Zeit die Aufnahme des Maiskorns in den Brennereibetrieb und eine solche Hebung der Verkehrsmittel, daß gegenwärtig große Mengen Kartoffeln nach entfernten Ländern transportiert werden. Die Beurteilung der Spiritusindustrie muß also gegenwärtig wesentlich anders lauten als ehemals. Von Getreide werden vorzugsweise Roggen und Mais (bei uns hauptsächlich als Zusatz zu Kartoffeln), außerdem auch Gerste und zuweilen Weizen und Reis auf S. verarbeitet. Wie in der Bierbrauerei werden diese Rohstoffe in der Weise mit Malz behandelt, daß durch die in letzterm enthaltene Diastase das Stärkemehl in Dextrin und Zucker verwandelt wird. Abweichungen ergeben sich aber insofern, als bei der Bierbrauerei Dextrin erhalten bleiben soll, während die Spiritusfabrikation eine möglichst vollständige Vergärung bezweckt. Das bei der Verzuckerung des Stärkemehls durch Malz neben Zucker (Maltose) gebildete Dextrin ist in der Zeitspanne, welche in der Praxis der Brennerei für die Alkoholgärung eingehalten wird, als direkt unvergärbar zu betrachten, und doch vergärt es, indem nach der Zersetzung der Maltose durch die Hefe die aus dem Verzuckerungsprozeß noch aktiv zurückgebliebene Diastase nunmehr auch das Dextrin in gärungsfähigen Zucker verwandelt. Es ist mithin sehr wesentlich, in der Maische noch Diastase für die