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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Tauben

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Tauben (Taubenzucht, Brieftauben).

Witterung einigermaßen schützende Einrichtung, Fütterung zur Zeit des Nahrungsmangels (Wicken, Gerste und andre Sämereien), reines Trinkwasser und alter Kalkmörtel, allenfalls das Unschädlichmachen eines boshaften Taubers ist im allgemeinen alles, was das Gedeihen des Feldflüchters verlangt. Weit schwieriger ist Haltung und Züchtung der Rassetauben. Geräumige, für die verschiedenen Rassen geeignete, den Mäusen und Raubtieren unzugängliche, warme und reinlich gehaltene Schläge, passende Nester, reine Luft, gesunde Nahrung, oft erneuertes Trinkwasser sind unerläßliche Vorbedingungen. Sorge für Pfleger (Ammen) solcher Rassen, welche ihre Jungen nicht selber füttern können (Kurzschnabeltümmler, Berber, Kröpfervarietäten, Karriers). Stete Beaufsichtigung der brütenden und atzenden Paare etc.; richtige Paarung, eine nicht leicht zu erwerbende Kunst.

Die wichtigsten Krankheiten der T. sind: diphtherische Schleimhautentzündung (Geflügeltyphoid), Unverdaulichkeit oder Schwerverdaulichkeit, Darmkatarrh (Durchfall), der Katarrh der Nase oder der Luftsäcke, durch Schimmelpilze hervorgerufene Lungenentzündung, Verstopfung des Kropfes, Rachitis, Vergiftungen durch Bleipräparate, Geflügelpocken (Gregarinen-Epithelium). Von den Hautleiden haben das Schmarotzertum der Vogelmilben und Flöhe sowie der Kopfgrind und das allgemeine Ausfallen der Federn das meiste Interesse. Vgl. Prütz, Die Krankheiten der Haustauben (Hamb. 1886). Die sogen. feinen Rassen sind viel häufiger Krankheiten ausgesetzt als die gewöhnlichen. Zur Vermeidung von Erkrankungen sorge man für gute Ventilation, vermeide Überfüllung, Zugluft, zu große Hitze und Kälte des Schlags, gebe nur bestes und reichliches, aber nicht überreichliches Futter, im Sommer täglich dreimal frisches, reines Wasser und halte auf peinlichste Reinlichkeit des Schlags, der Nester und aller Utensilien; im Sommer tägliche Reinigung des Schlags. Man vermeidet durch diese Vorbeugemittel die ganze Reihe von meist gefährlichen Krankheiten der Atmungs- und Verdauungsorgane, der rheumatischen und andrer Übel. Auf Erkrankung darf man schließen, wenn die Flügel schlaff herabhängen, der Schnabel geöffnet, die Zunge und die Mundhöhle trocken oder mißfarbig sind, ein Ausfluß aus Schnabel und Nase vorhanden, die Augen entzündet, die Exkremente zu dünn, grünlich oder zu konsistent und selten sind oder gänzliche Verstopfung eingetreten ist. Die erkrankten Tiere sind sofort von den gesunden zu trennen und abgesondert und warm zu halten. Wenn es sich nicht um besonders wertvolle Tiere handelt, ist von meist lange dauernden und erfolglosen Kurversuchen lieber abzusehen; Käfige und sonstige infizierte Räumlichkeiten sind zu desinfizieren, die gestorbenen oder getöteten Kranken zu verbrennen oder tief zu vergraben.

Unter den geflügelten Feinden der T. sind Taubenfalke, Habicht und Sperber die gefährlichsten; gegen Katzen, Marder, Iltis, Wiesel, Ratten und Mäuse kann man die Schläge von vornherein schützen; gegen die parasitischen, zum Teil verderblichen Insekten hilft sorgfältigste und oft wiederholte Reinigung der Schläge, Nester etc., tägliche Wegnahme des Mistes, Bestreuung des Bodens mit Asche, Tabaksstaub, des Gefieders mit persischem Insektenpulver, Einreiben mit verdünntem Anisöl. Der Nutzen der wirtschaftlichen Taubenrassen wiegt den Schaden bedeutend auf. Junge und Alte liefern eine gesunde, leichtverdauliche Speise für Kranke und Genesende und bilden im Sommer oft die einzige Fleischkost auf dem Land oder einen einträglichen Marktartikel. Die Gewinnung des Düngers, dessen Wert für Garten- und Feldbau man höher schätzen gelernt hat, ist im Orient einziger Zweck der Taubenhaltung (rings um Ispahan zählt man über 3000 Taubentürme). Franzosen und Italiener ziehen ihn zu gärtnerischen Zwecken dem Guano vor. Den angeblichen Schaden an Sämereien, gerade zur Saatzeit, hat man auf Grund genauester Untersuchungen (Snell hat jahrelang Körner und Vogelwickensamen in Kropf und Magen gezählt [in einer jungen Taube 3582], die T. auf seine Äcker gelockt und die besten Getreideernten erhalten) als großen Vorteil erkannt. de Vitey und Befroy erachten die Zerstörung der gegen 50,000 Taubentürme in Frankreich durch die Revolution von 1789 als Nationalunglück. Der wirkliche Schade an Mehl- und Ölfrüchten zur Zeit der Ernte kommt dagegen nicht in Betracht.

Brieftauben.

Als Stammeltern der Brieftaube gelten der Karrier und die von ihm zunächst gezüchtete Drachentaube, dann die Feldtaube, das Möwchen und der Tümmler. Man unterscheidet wohl 3 oder 4 mehr oder minder ausgeprägte Brieftaubenrassen, namentlich die Antwerpener (Fig. 23), die Lütticher (Fig. 24) und die Brüsseler, welche aber in neuester Zeit wieder weitergebildet wurden, so daß gegenwärtig eine große Mannigfaltigkeit vorhanden ist. Eine gute Brieftaube muß aufrechte Haltung, langen Hals, breite Brust, breite und lange Schwingen, große Muskelkraft in den Flügeln und blaue oder dunkle Farbe besitzen; ungeduldiges, stürmisches Benehmen gelten als besonders gute Zeichen. Zu ihrem Dienst muß die Brieftaube angelernt werden. Während man durch die den Brieftauben gereichte Nahrung auf Erhöhung des Flugvermögens durch Stärkung der Muskeln wirkt, Fettbildung aber unterdrückt, nimmt man mit den Tieren Flugübungen vor, die ihren Orientierungssinn und ihr Gedächtnis stählen und allmählich immer weiter ausgedehnt werden. Natürlich lernen die Tiere nur eine bestimmte, immer dieselbe bleibende Richtung mit Sicherheit durchfliegen, d. h. sie müssen im stande sein, den Weg nach ihrer Heimatsstation von einer Außenstation selbst bei Nacht und ungünstiger Witterung (Nebel, Regen) zurückzulegen; nicht aber kann man von ihnen das Fliegen von mehreren Außenstationen aus verlangen oder gar, daß sie nach einer andern als der Heimatsstation fliegen, denn nur die Sehnsucht nach der Heimat, als ein diesen Tieren von der Natur gegebener Instinkt, macht sie für obige Zwecke geeignet. Deshalb werden auch die T. verschiedener Flugrichtungen stets getrennt gehalten. Die Geschlechter sondert man voneinander nach der ersten, spätestens zweiten Brut, um eine neue Begattung der T. zu verhindern, welche die Täubin durch Entwickelung des Eies im Körper reiseuntüchtig machen würde, und ferner auch, um die Begierde zur Paarung und damit den Drang zu heben, der alten Heimat zuzufliegen. Im Schlag macht man durch Lattenverschlüsse Abteilungen, deren jede einzelne freie Bewegung nach dem Flugloch und Ausflugkasten gestattet, die untereinander aber nur durch verschließbare Schiebethüren und Lauflöcher am Boden in Verbindung stehen.

Das Einüben der T. für eine bestimmte Tour beginnt vom Mai ab, nach Beendigung des Brutgeschäfts, mit Entfernungen von 7-8 km und steigt allmählich bis zu 200 km, wobei aber die T. erst dann in weiterer Entfernung aufgelassen werden, wenn sie die Tour vom ersten Auflaßort in geradester Richtung und kürzester Frist zurücklegen. Die Geschwin-^[folgende Seite]