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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Türkisches Reich

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Türkisches Reich (Geschichte: 15.-17. Jahrhundert).

zutreten und von der völligen Vernichtung des byzantinischen Reichs abzustehen. Erst als seine glänzenden Siege über die Christen bei Warna (10. Nov. 1444) und auf dem Amselfeld bei Kossowa (17.-20. Okt. 1448) die Herrschaft der Osmanen an der Donau dauernd begründet hatten, zugleich auch der südliche Teil der griechischen Halbinsel erobert worden war, konnte die wieder erstarkte Osmanenmacht unter Murads Nachfolger Mohammed II. (1451-81) sich gegen Konstantinopel wenden, das nach tapferer Verteidigung 29. Mai 1453 in die Hände der Türken fiel und zur Hauptstadt ihres Reichs erhoben wurde.

Höchste Macht und Blüte des Reichs.

Mohammed ordnete darauf die Angelegenheiten der zahlreichen unterworfenen Christen (Rajah) und ihres Klerus; dieselben wurden zwar nicht gewaltsam zum Islam bekehrt, vielmehr in der freien Ausübung ihrer Religion belassen, blieben aber doch der willkürlichen Gewalt der Türken preisgegeben, welche als herrschendes Kriegervolk die Hilfsmittel der eroberten Länder rücksichtslos zu ihrer Bereicherung und zur Verstärkung ihrer militärischen Kraft verwendeten und durch unaufhörliche Erweiterung ihres Machtgebiets sich selbst und dem Islam die Welt zu unterwerfen strebten. 1456 wurde der Peloponnes, 1460 das Kaiserreich Trapezunt, 1470 Albanien erobert, 1475 der Tatarenchan der Krim zur Unterwerfung gezwungen, 1478 die Moldau Polen entrissen und unter die Oberhoheit der Türkei gestellt. Mohammeds Nachfolger Bajesid II. (1481-1512), unter dem in der gewaltigen Machtentfaltung des Osmanenstaats ein Stillstand eintrat, da seine Kriegsunternehmungen gegen das Abendland wenig glücklich waren, hatte trotz der in der osmanischen Dynastie bereits üblichen Sitte, die Alleinherrschaft durch grausamen Verwandtenmord zu sichern, mit fortwährenden Aufständen zu kämpfen und ward, nachdem er einen Bruder (Dschem) und zwei Söhne hatte hinrichten lassen, von seinem jüngsten Sohn, Selim I. (1512-20), gestürzt und vergiftet. Selim besiegte 1514 den Schah von Persien, den er durch die Ermordung von 40,000 auf türkischem Boden lebenden Schiiten zum Kriege gereizt hatte, bei Tschaldyran, eroberte Armenien und den Westen von Aserbeidschân, dann nach Besiegung der Mamelucken 1517 Syrien, Palästina und Ägypten und wurde von den heiligen Städten Mekka und Medina als Schirmherr anerkannt, worauf er den Titel eines Kalifen annahm. Unter seinem Nachfolger Suleiman (Soliman) II. (1520-66) erreichte die türkische Machtentwickelung ihren Höhepunkt: er eroberte 1521 Belgrad, vertrieb 1522 die Johanniter von der Insel Rhodos, vernichtete 29. Aug. 1526 das ungarische Heer unter König Ludwig II. bei Mohács, drang 1529 bis Wien vor und vereinigte Ungarn, nachdem es seit 1533 unter dem siebenbürgischen Fürsten Johann Zápolya ein türkisches Vasallenreich gewesen, 1547 zur Hälfte mit seinem Reich. Die Venezianer mußten 1540 ihre Inseln im Ägeischen Meer und ihre letzten Besitzungen auf dem Peloponnes abtreten. Im Osten eroberte er durch einen siegreichen Krieg mit Persien (1533-1536) Georgien und Mesopotamien. Seine Flotten beherrschten das Mittelmeer bis Gibraltar und beunruhigten durch Raubzüge im Indischen Ozean die portugiesischen Kolonien. Die Barbareskenstaaten Nordafrikas erkannten seine Oberhoheit an. Er starb 1566 im Lager vor Szigeth in Ungarn. Mit ihm schloß die glänzende Reihe hervorragender Kriegsfürsten, welche die osmanische Dynastie auszeichnete und den großartigen Aufschwung der türkischen Macht ermöglichte. Dem türkischen Staatswesen galt nicht der Friede, sondern der Krieg als der normale Zustand; um in diesem die nötige Kraft zu entfalten, war in jenem ein rücksichtslos egoistischer, von allen Banden des Rechts und der Sitte befreiter Despotismus nötig, der aber allmählich ertötend wirkte. Die grausame Vertilgung aller hervorragenden, aber deshalb gefährlichen Mitglieder der Dynastie, die Serailerziehung und strenge Abschließung der jungen Prinzen vom öffentlichen Leben vernichteten die Kraft des Herrschergeschlechts. Das tapfere Kriegervolk verweichlichte in den Genüssen des Friedens, die Soldateska der Janitscharen wurde immer zügelloser.

Verfall des Reichs.

Selim II. (1566-74) war ein schwacher Fürst und ließ seinen Großwesir Sokolli regieren. Dieser entriß zwar den Venezianern Cypern, Zante und Kephalonia; dagegen wurde die türkische Flotte 7. Okt. 1571 bei Lepanto von den Christen besiegt. Murad III. (1574-95), welcher sich den Thron durch Ermordung von fünf Brüdern sicherte, und Mohammed III. (1595-1603), der 19 Brüder erdrosseln ließ, führten erfolglose Kriege gegen Österreich und Persien; letzterer verlor Tebriz und Bagdad und mußte Frankreich um Vermittelung des Friedens mit Österreich angehen. Achmed I. (1603-17) schloß 1612 mit den Persern einen ungünstigen Frieden. Sein Bruder Mustafa I. (1617-18) ward nach dreimonatlicher Herrschaft durch ein Fetwa des Muftis als blödsinnig abgesetzt, Achmeds Sohn Osman II. (1618-22), als er nach einem unglücklichen Feldzug gegen die polnischen Kosaken die Janitscharen, denen er die Schuld beimaß, vernichten wollte, von diesen ermordet und, nachdem Mustafa wieder als Sultan anerkannt, aber 1623 zum zweitenmal abgesetzt worden war, Osmans jüngerer Bruder, Murad IV. (1623-40), auf den Thron erhoben. Dieser eroberte im Kriege gegen Persien (1635-38) Eriwan, Tebriz und Bagdad wieder, züchtigte die Kosaken und legte den Venezianern einen nachteiligen Frieden auf; auch stellte er die Manneszucht wieder her und füllte durch strenge Sparsamkeit den Staatsschatz. Sein Bruder und Nachfolger Ibrahim (1640-48), ein feiger Wollüstling, unter dessen toller und blutiger Serailwirtschaft die von Murad gewonnenen Vorteile wieder verloren gingen, ward 1648 von den Janitscharen abgesetzt und erdrosselt und sein siebenjähriger Sohn Mohammed IV. (1648-87) auf den Thron erhoben.

Durch den Streit um die Vormundschaft ward das Reich der Auflösung nahegebracht: Zerrüttung der Finanzen, Meutereien der Janitscharen, Empörungen der Provinzialstatthalter, Niederlagen gegen die Venezianer (1656 in den Dardanellen) und Polen brachen über das Reich herein, bis Mohammed Köprili, 1656 zum Großwesir ernannt, durch blutige Strenge die Manneszucht in der Armee, den Gehorsam der Provinzen und die Ordnung der Finanzen herstellte und die Venezianer zurückschlug. Achmed Köprili eroberte im Kriege gegen Österreich Gran und Neuhäusel und behauptete, obwohl 1. Aug. 1664 bei St. Gotthardt geschlagen, diese Eroberungen im Frieden von Vasvár, unterwarf 1669 Kreta und zwang Polen im Frieden von Budziak 1672 zur Abtretung Podoliens und der Ukraine, welche türkischer Schutzstaat wurde, freilich nach Achmeds Tod (1676) durch einen neuen Krieg mit Polen und einen Krieg mit Rußland nebst Asow 1681 wieder verloren ging. Der neue Eroberungskrieg, den Achmeds Nachfolger Kara Mustafa 1683 gegen Österreich unternahm, verlief nach der vergeblichen