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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Typhus

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Typhus (Fleck-, Lazarett-, Hunger-T.; Unterleibs-T.).

Fleckfieber) ist eine in ausgesprochenster Weise ansteckende Krankheit. Der Ansteckungsstoff ist in der Atmosphäre des Kranken enthalten und besitzt eine außerordentliche Beständigkeit, so daß er sich in schlecht gelüfteten Zimmern ein halbes Jahr lang halten kann, ohne seine Wirksamkeit zu verlieren. Der Ausbruch der Krankheit scheint 7-14 Tage nach erfolgter Ansteckung stattzufinden. Er ist um so ansteckender, in je größerer Zahl die Kranken in einem Zimmer beisammenliegen, und tritt namentlich an solchen Plätzen, an welchen eine große Anzahl von Menschen auf einen engen Raum zusammengedrängt ist, wie auf Schiffen, in Gefängnissen, in Lazaretten etc., auf (Schiffstyphus, Kerker-, Lazarettfieber). Hier scheinen die Ausdünstungen und Exkremente, die Beimischung ihrer Zersetzungsprodukte zu der eingeatmeten Luft, den Nahrungsmitteln und Getränken den wesentlichsten Faktor für die Entstehung des Typhusgifts abzugeben. In Gegenden ferner, wo ein großer Teil der Bevölkerung in Armut und Elend lebt, kommt der exanthematische T. endemisch vor. Besonders nach Mißernten und Teurungen steigert sich mit der Not auch die Häufigkeit der Typhusfälle, und es treten die verheerenden Epidemien des Hungertyphus auf. Ebenso sind belagerte Städte und schlecht versorgte Feldlager häufig der Sitz verheerender Typhusepidemien (Kriegstyphus). Das frühste Kindesalter und das Greisenalter bleiben gewöhnlich vom exanthematischen T. verschont, alle übrigen Lebensalter sind dafür gleich empfänglich. Hat jemand den exanthematischen T. einmal überstanden, so ist seine Disposition für eine neue Erkrankung derselben Art bedeutend abgeschwächt, doch keineswegs ganz getilgt. Der exanthematische T. war von Anfang des 16. bis zum Ende des 18. Jahrh. über alle Länder Europas verbreitet. Während der Kriege im Anfang dieses Jahrhunderts erreichte er seine größte Ausbreitung. Nach jener Zeit schien er auf dem Kontinent ganz verschwunden zu sein, erst in den 40er Jahren zeigte er sich wieder epidemisch in Oberschlesien etc. Gegenwärtig bildet er auf den britischen Inseln und in einzelnen Gegenden Mitteleuropas (Oberschlesien, Polen, russische Ostseeprovinzen) die endemische Form des T. Kleine Epidemien des exanthematischen T. werden überall von Zeit zu Zeit beobachtet und sind dann stets durch Einschleppung von andern Orten her hervorgerufen. Vor dem Ausbruch der Krankheit, in der Zeit der Inkubation, klagen die Kranken meist schon über leichtes Frösteln, Kopfweh, gestörten Schlaf, Appetitlosigkeit etc. Die eigentliche Krankheit beginnt mit einem einmaligen Schüttelfrost und Fiebersymptomen von großer Heftigkeit. Sofort fühlen sich die Kranken aufs äußerste matt und kraftlos, klagen über Schwere und Benommenheit des Kopfes, zuweilen auch über heftigen Kopfschmerz. Dazu gesellen sich Schwindel, Flimmern vor den Augen, Ohrensausen, Schwerhörigkeit, Schmerzen in den Gliedern, Zittern bei den Bewegungen der Arme und Beine. Die Kranken liegen meist schon sehr apathisch im Bett und haben leichte Delirien. Andre Patienten sind aufgeregt und kaum im Bett zu erhalten. Am 3.-5. Tag der Krankheit treten am Rumpf kaum linsengroße rote Flecke auf, welche sich mit dem Finger leicht wegdrücken lassen, aber sofort wiederkehren. Von diesem Exanthem, den Flecken, rührt der Name Fleck-, exanthematischer T. her. Dieselben vermehren sich, breiten sich gegen den Hals und die Gliedmaßen aus, bis endlich der ganze Körper, mit Ausnahme des Gesichts, von ihnen bedeckt ist. Sie verlieren sich erst gegen das Ende der zweiten Krankheitswoche, wobei das Fieber und die tiefe Benommenheit des Bewußtseins gleichzeitig abnehmen. Sie werden später blau-rot, lassen sich dann nicht mehr vollständig wegdrücken und gehen manchmal sogar in wirkliche Petechien, d. h. in kleine Blutergüsse in die Haut, über. Trotz der schweren Fieberbewegung ist der Ausgang in Genesung bei weitem der häufigste. Tritt der Tod ein, so erliegen die Kranken entweder in der zweiten Woche dem hohen Fieber, oder sie enden durch hinzutretende Lungenentzündung. Die Sektion ist im Gegensatz zu dem Unterleibstyphus ohne örtliche Befunde, nur Milz, Leber und Nieren zeigen die allen Infektionskrankheiten gemeinsamen Schwellungen.

2) Der Unterleibs- oder Darmtyphus (T. abdominalis) ist ebenfalls eine Infektionskrankheit, aber nur selten von Person zu Person ansteckend (kontagiös), während Übertragungen des Giftes durch Dejektionen und Wäsche besonders auf Krankenwärter, Wäscherinnen etc. in zahlreichen Fällen außer allem Zweifel gesetzt sind. Eine wichtige Rolle bei der Bildung des Typhusgifts spielen jedenfalls die Zersetzungen tierischer Substanzen und die Beimengung der Zersetzungsprodukte zu den Speisen, Getränken und zu der Luft. Das häufige Vorkommen des T. in dicht bevölkerten Städten, in welchen die Krankheit niemals vollständig erlischt, wohl aber von Zeit zu Zeit eine epidemische Ausbreitung erfährt, scheint meist auf der enormen Zersetzung und Verwesung zu beruhen, in welcher sich der Boden großer Städte wegen massenhafter Aufnahme von Auswurfstoffen befindet. Die Erzeuger des Typhusgifts sind, wie Klebs 1881 nachgewiesen, kleine, stäbchenförmige Spaltpilze (Bakterien), deren nähere Eigenschaften indes noch der Aufklärung harren. - Typhusepidemien pflegen vorzugsweise in feuchten Jahren während des Spätsommers, im Herbst und zu Anfang des Winters zu herrschen. Das Auftreten des T. steht in einer gewissen Wechselbeziehung zu den Schwankungen des Grundwasserstandes (s. Grundwasser). Erreicht infolge atmosphärischer Verhältnisse zu gewissen Zeiten das Grundwasser einen relativ hohen Stand, um später zu seiner normalen Tiefe zu fallen, oder fällt es anderseits einmal absolut sehr tief, so werden relativ große und dicke Schichten des mit organischen, in Zersetzung begriffenen Substanzen durchtränkten Erdreichs trocken gelegt. Infolgedessen tritt eine vermehrte Fäulnis dieser Stoffe ein; die gesundheitsschädlichen Produkte dieser Zersetzung mischen sich dem Trinkwasser bei und werden so als Typhusgift selbst den menschlichen Wohnungen zugeführt. Säuglinge und Greise erkranken sehr selten am T., das mittlere Lebensalter ist am meisten dazu disponiert. Die Zahl der am T. erkrankten Männer ist etwas größer als die der Frauen; kräftige und wohlgenährte Individuen erkranken um vieles leichter als schwächliche und schlecht genährte, und unter den ärmern Klassen der Bevölkerung ist die Krankheit etwas häufiger als unter den wohlhabenden. Schwangere und stillende Frauen sind vor dem T. fast absolut sicher. Nach dem einmaligen Überstehen der Krankheit erlischt mit seltenen Ausnahmen die Disposition zu neuer Erkrankung. Der eigentliche Sitz des Typhusprozesses ist der Darmkanal, besonders die untere Hälfte des Dünndarms. Die Schleimhaut des Dünndarms befindet sich in einem katarrhalischen Zustand. Die Drüsenapparate schwellen durch eine reichliche Zellenwucherung zu markig weichen, flachen Knoten an, in gleicher Weise beteiligen sich die Gekrösdrüsen. Die Milz ist in allen Fällen vergrößert bis