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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ungamabai; Ungarisch-Altenburg; Ungarisch-Brod; Ungarische Litteratur

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Ungamabai - Ungarische Litteratur.

kloster, (1881) 11,373 Einw., Seminar, Lehrerpräparandie, kath. Obergymnasium, Bibliothek, Waiseninstitut, Bezirksgericht, Oberforstamt, Mineralquelle und Porzellanerdegruben.

Ungamabai (Formosabai), weite, offene Bucht an der Küste Ostafrikas, am Nordende des Sansibar zugehörigen Küstenstrichs, im N. von Witu begrenzt, in der Tiefe derselben mündet der Tanafluß. Die U. bietet selbst für größere Seeschiffe bis nahe am Land guten Ankergrund und ist ein Stationspunkt der britischen gegen den Sklavenhandel in Ostafrika kreuzenden Fahrzeuge; 1867 wurden die an ihr liegenden Ortschaften von den Galla zerstört.

Ungarisch-Altenburg (Magyar-Óvár), Markt im ungar. Komitat Wieselburg, an der Leitha und der Kleinen Donau, Sitz des Komitats und Hauptort einer Domäne des Erzherzogs Albrecht, hat 2 Klöster, (1881) 3427 Einw. (meist Deutsche), eine landwirtschaftliche Akademie, Musterlandwirtschaft, Bierbrauerei, Dampfmühle und Bezirksgericht.

Ungarisch-Brod, Stadt in Mähren, an der Eisenbahn Brünn-Vlarapaß, Sitz einer Bezirkshauptmannschaft und eines Bezirksgerichts, an der Olsawa, mit Mauern und Graben umgeben, hat einen Dominikanerkonvent, ein fürstlich Kaunitzsches Schloß, eine Zuckerfabrik und (1880) 4435 Einw. (646 Juden).

Ungarische Litteratur. Die Litteratur der Ungarn ist eine verhältnismäßig sehr junge. Ihre ununterbrochene Existenz und Entwickelung erstreckt sich kaum über einen Zeitraum von 110 Jahren; sie datiert eigentlich erst vom Jahr 1772, und ihre Geschichte bis zu diesem Jahr läßt sich in wenige Bemerkungen zusammenfassen. Als die Magyaren um 894 aus der südrussischen Ebene in Ungarn einbrachen, waren sie ein barbarisches Nomadenvolk ohne jegliche Litteratur, mit Ausnahme jener Lieder und Heldensagen, deren auch der wildeste Stamm nicht völlig entbehrt. Allein auch als sie in Ungarn seßhaft geworden waren, sich zum Christentum bekehrt und aus Deutschland, Byzanz und Italien eine ziemlich ansehnliche Kultur erhalten hatten, regte sich in ihnen noch wenig schöpferische litterarische Neigung. Alles, was von dem magyarischen Schrifttum bis zum 16. Jahrh., also binnen sieben Jahrhunderten des europäischen Daseins der Magyaren, auf uns gekommen ist, beschränkt sich auf eine "Grabrede" ("Halotti beszéd", das älteste Sprachdenkmal der Magyaren, aus dem Ende des 12. oder dem Anfang des 13. Jahrh.), auf ein Marienlied, auf ein Gebet aus dem 13. Jahrh., ein "Leben der heil. Margarete" (Tochter des Arpadenkönigs Bela IV.), eine verifizierte Biographie der heil. Katharina von Alexandria (mutmaßlich eine Übersetzung) und einige fragmentarische Bibelübersetzungen und Schriften theologischen Inhalts. Aus dem Ende des 14. oder dem Anfang des 15. Jahrh. stammt das älteste historische Lied über die "Geschichte der Eroberung Pannoniens durch die Magyaren". Einen blühenden Aufschwung nahm die magyarische Litteratur während der Reformationszeit. Im 16. Jahrh. treten uns auch zum erstenmal zwei etwas deutlicher individualisierte Poetenphysiognomien entgegen: die des Sebastian Tinódy (Geburtsjahr unsicher, starb um 1559), eines fahrenden Sängers, dessen Lieder Reimchroniken der Kämpfe Ungarns gegen die Türken bilden, und des Barons Valentin Balassa (1551-94), der über den Verfall Ungarns klagte, und dessen Gedichte, namentlich die jüngst entdeckten lyrischen "Blumengedichte", Feuer und Leidenschaft, Reichtum an Phantasie und Gewandtheit der Sprache bekunden. In demselben Jahrhundert gelangte die romantische Dichtung, die im Westen bereits ausgelebt hatte und gerade durch die unsterbliche Satire des Cervantes für ewige Zeiten eingesargt worden war, nach Ungarn, das so spät eine ganze Reihe von Romanen und Gedichten entstehen sah, in welchen die alten Ritter und Abenteuergeschichten des frühen Mittelalters zu einem wunderlich anachronistischen verspäteten Dasein wiedererwachten. Diese Litteratur, teils Nachahmung, teils Übersetzung ohne jeden Wert, ohne jede Originalität und ohne das geringste nationale Eigengepräge, war quantitativ nicht unansehnlich ("Geschichte der Gismunda", von Georg Enyedi; "König Voltér und Griseldis" von Peter Istvánfi; "König Argirus und die Feenjungfrau" von Albert Gergei; "Schöne Geschichte von der Freundschaft zweier edler Jünglinge", von Kaspar Veres; "Die schöne Magellone" und "Fortunatus", beide von Heltai [?] und zahlreiche andre), und ihre einzelnen Werke erhielten sich zum Teil bis in die Gegenwart als Volksbücher, die in schlechten, billigen Drucken auf allen Jahrmärkten feilgeboten werden. Bemerkenswert ist endlich die Originaldichtung des Peter Ilosway über den halbhistorischen magyarischen Riesen und Volkshelden "Niklas Toldi" (1574) und die "Geschichte von Szilágyi und Hajmási" (1571), der ebenfalls ein historisches Faktum zu Grunde liegt. Das 17. Jahrh. produzierte den ersten namhaften Kunstdichter Ungarns, den Grafen Nikolaus Zrinyi (1616-64), den Enkel des heldenmütigen Verteidigers von Szigetvár, dessen Hauptwerk, ein Epos in 15 Gesängen, "Obsidio Szigetiana" betitelt, die Verherrlichung der Waffenthat seines Ahns zum Gegenstand hat. Das Gedicht, das sich bemüht, Tassos "Befreites Jerusalem" nachzuahmen, zeigt trotz seiner rohen, keiner Nüancierung fähigen Sprache dennoch an vielen Stellen Kraft und Schwung. Zeitgenossen Zrinyis waren Baron Ladislaus Liszti (geboren um 1630, Todesjahr unbekannt), der ein Epos: "Cladis Mohachina", und Stephan Gyöngyösi (1620-1700), der das Gedicht "Die Venus von Murány" schrieb, beides Werke, welche (wie das ihnen zum Muster dienende Heldengedicht Zrinyis) Episoden aus der ungarischen Geschichte jener Zeit in oft banaler und handwerksmäßiger Weise behandeln. Neben diesen Dichtungen brachte das 17. Jahrh. zahlreiche theologische Streitschriften hervor, unter welchen die Werke des Gegenreformators Pazmány (s. d.) die weitaus bedeutendsten sind. So gelangen wir ins 18. Jahrh. Damals war es um das Geistesleben des magyarischen Stammes traurig bestellt; die Türkenherrschaft, erst 1699 endgültig beseitigt, hatte das Land als Einöde und in tiefster Barbarei zurückgelassen. Die wenigen Schulen, die diesen Namen verdienten, waren ausschließlich in den Händen der Geistlichkeit. Die Sprache der Verwaltung, der Rechtspflege, des Unterrichts war die lateinische, die Umgangssprache der höhern und mittlern Klassen die deutsche oder französische. Das magyarische Idiom besaß weder eine wissenschaftliche noch eine schöngeistige Litteratur; dennoch gab es auch in dieser Zeit einige nennenswerte Dichter und Schriftsteller in ungarischer Sprache. So den namhaften Lyriker Franz Faludi (1704-79), den Kirchenliederdichter Paul v. Ráday (1677-1733), den Sänger weltlicher Lieder Baron Ladislaus Amadé (1703-64) u. a. Auch blühte in dieser Zeit das magyarische Schuldrama. Allerdings übten diese litterarischen Erzeugnisse nur geringen Einfluß auf die breitern Schichten der Gesellschaft. Da erfolgte von andrer Seite ein kräftiger Reformversuch. Die Kaiserin Maria Theresia gründete (1760) die ungarische adlige Leibgarde, be-^[folgende Seite]