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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ungelt; Unger

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Ungelt - Unger.

richt nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint. Gegen den abwesenden Angeklagten ist eine Hauptverhandlung nur dann statthaft, wenn die strafbare Handlung mit Geldstrafe oder Einziehung bedroht ist, oder wenn es sich um eine Person handelt, die sich der Wehrpflicht entzogen hat. In solchen Fällen ist eine öffentliche Ladung notwendig. Gegen den abwesenden Angeklagten kann eine Beschlagnahme einzelner Vermögensstücke oder des ganzen Vermögens verfügt werden. Gegen einen ohne Entschuldigung ausgebliebenen Angeklagten wird ein Vorführungs- oder ein Haftbefehl erlassen. In seiner Abwesenheit darf nur dann verhandelt werden, wenn seine That mit Haft, Geldstrafe oder Einziehung bedroht ist, oder wenn sich der Angeklagte nach seiner Vernehmung aus der Hauptverhandlung entfernte, endlich auch in leichtern Fällen, wenn das Gericht ihn wegen allzu großer Entfernung seines Aufenthaltsorts vom Erscheinen entbunden hat. Im bürgerlichen Rechtsstreit besteht dagegen das System, daß von einer Partei, welche innerhalb der dazu gesetzten Frist oder in dem dazu bestimmten Termin eine Rechtshandlung nicht vornimmt, angenommen wird, sie verzichte auf ebendiese Rechtshandlung. Bei den gesetzlich bestimmten Notfristen, z. B. bei der Frist zur Einlegung der Berufung, tritt der Verlust des Rechtsmittels mit dem Ablauf der Frist von selbst ein. Außerdem ist ein besonderes Ungehorsams- (Kontumazial-, Versäumnis-) Verfahren und ein ausdrücklicher Antrag (Ungehorsamsbeschuldigung, Accusatio contumaciae) des Gegners erforderlich, um ein Versäumnisurteil (Verurteilung in contumaciam) gegen den Ungehorsamen herbeizuführen (s. Versäumnis). U. gegenüber einem rechtskräftigen Urteil hat die Einleitung der Zwangsvollstreckung (s. d.) zur Folge. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 318 ff., 470 ff., 229 ff.; Zivilprozeßordnung, § 209 ff., 295 ff.

Ungelt (später Umgelt), auch Unrecht, eine frühere Bezeichnung für Aufwandsteuern (insbesondere Steuer vom Kleinverkehr als Vorläufer der spätern Accise), bedeutet nach Lang ("Teutsche Steuerverfassung", 1795) eine außerordentliche Abgabe; von Hüllmann wird dieser Ausdruck auf die Unzufriedenheit der Steuerpflichtigen zurückgeführt.

Unger, 1) Johann Georg, Formschneider, geb. 1715 zu Goos bei Pirna, erlernte in letzterer Stadt die Buchdruckerkunst und trieb zugleich als Autodidakt die Holzschneidekunst. Seit 1740 in Berlin, befaßte er sich von 1757 an ausschließlich mit dem Formschnitt. Unter seinen Arbeiten ist eine Folge von fünf Landschaften hervorzuheben. U. erfand auch eine Druckpresse sowie eine Rammmaschine. Er starb 1788.

2) Johann Friedrich, Buchdrucker, Form und Stempelschneider, Sohn des vorigen, geb. 1750 zu Berlin, trat in die Fußstapfen seines Vaters und bildete sich zu einem der ausgezeichnetsten Männer seines Faches. Die von ihm erfundene Frakturschrift (Ungersche Schrift) hatte Ähnlichkeit mit der Schwabacher Schrift, war aber geschmackvoller. U. wurde 1800 Professor der Holzschneidekunst an der Berliner Akademie und wirkte in dieser Stellung für die künstlerische Wiederbelebung derselben. Er starb 1804.

3) Franz, Botaniker und Paläontolog, geb. 30. Nov. 1800 auf dem Gut Amthof bei Leutschach in Steiermark, studierte zu Graz, Wien und Prag zuerst die Rechte, dann Medizin, praktizierte seit 1827 als Arzt in Stockerau bei Wien, seit 1830 als Landesgerichtsarzt zu Kitzbühel in Tirol, ward 1836 Professor der Botanik an der Universität Graz, 1850 Professor der Pflanzenphysiologie in Wien, bereiste 1852 Nordeuropa, später den Orient und lebte seit 1866 im Ruhestand auf seinem Landgut bei Graz, wo er 13. Febr. 1870 starb. Er erwarb sich zuerst wesentliche Verdienste um die Paläontologie, wandte sich aber später mehr der Physiologie und Phytotomie zu und förderte namentlich die Lehre von den Zellen und dem Protoplasma. Er schrieb: "Über den Einfluß des Bodens auf die Verteilung der Gewächse" (Wien 1836); "Über den Bau und das Wachstum des Dikotyledonenstamms" (Petersb. 1840); "Über Kristallbildungen in den Pflanzenzellen" (das. 1840); "Grundzüge der Anatomie und Physiologie der Pflanzen" (das. 1846); "Anatomie und Physiologie der Pflanzen" (Wien 1855); "Grundlinien der Anatomie und Physiologie der Pflanzen" (das. 1866); "Synopsis plantarum fossilium" (Leipz. 1845); "Chloris protogaea, Beiträge zur Flora der Vorwelt" (das. 1841-1847); "Genera et species plantarum fossilium" (Wien 1850); "Iconographia plantarum fossilium" (das. 1852); "Sylloge plantarum fossilium" (das. 1860); "Die Urwelt in ihren verschiedenen Bildungsperioden" (das. 1851, 3. Aufl. 1864); "Versuch einer Geschichte der Pflanzenwelt" (das. 1852); "Geologie der europäischen Waldbäume" (Graz 1870). Außerdem veröffentlichte er: "Wissenschaftliche Ergebnisse einer Reise in Griechenland und den Ionischen Inseln" (Wien 1862); "Die Insel Cypern" (mit Kotschy, das. 1865); "Botanische Briefe" (das. 1852); "Botanische Streifzüge auf dem Gebiet der Kulturgeschichte" (das. 1857-67, 7 Tle.). Vgl. Reyer, Leben und Wirken des Naturhistorikers Franz U. (Graz 1871); Leitgeb, Franz U., Gedächtnisrede (das. 1870).

4) Friedrich-Wilhelm, Jurist und Kunsthistoriker, geb. 8. April 1810 zu Hannover, studierte in Göttingen die Rechte, trat dann bei dem Amt Hannover in den praktischen Justizdienst und ward 1838 als Amtsassessor nach Göttingen versetzt, worauf er sich 1840 als Privatdozent in der juristischen Fakultät habilitierte. Seine Anstellung als Sekretär der Universitätsbibliothek (1845) war die Veranlassung, daß er seine Lehrthätigkeit aufgeben mußte. Erst 1858 begann er wieder Vorlesungen und zwar über Kunstgeschichte in der philosophischen Fakultät, was 1862 seine Ernennung zum außerordentlichen Professor und Direktor der akademischen Gemäldesammlung zur Folge hatte. Er starb 22. Dez. 1876 in Göttingen. Als juristischer Schriftsteller hat er auf dem Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte Hervorragendes geleistet. Sein bedeutendstes Werk ist die "Geschichte der deutschen Landstände" (Hannov. 1844, 2 Tle.). Außerdem sind zu nennen: "Die altdeutsche Gerichtsverfassung" (Götting. 1842); "Des Richtes Stig" (das. 1847); "Römisches und nationales Recht" (das. 1848). Von seinen kunstgeschichtlichen Schriften sind hervorzuheben: "Die Perspektive" (Götting. 1856); "Die bildende Kunst" (das. 1858); "Übersicht der Bildhauer- und Malerschulen seit Konstantin d. Gr." (das. 1860); "Die Bauten Konstantins d. Gr. am Heiligen Grab zu Jerusalem" (das. 1863); "Correggio in seinen Beziehungen zum Humanismus" (Leipz. 1863).

5) Joseph, hervorragender österreich. Jurist und Staatsmann, geb. 2. Juli 1828 zu Wien, studierte daselbst und habilitierte sich 1852 als Privatdozent, ging 1853 als außerordentlicher Professor des Zivilrechts nach Prag, von wo er 1857 wieder nach Wien berufen ward. Lebenslängliches Mitglied des Herrenhauses, gehörte er vom November 1871 bis Februar 1879 zum Kabinett Adolf Auersperg als Minister ohne Portefeuille, in welcher Eigenschaft er durch sein ausgezeichnetes Rednertalent die Regierung so geschickt