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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Vire - Virginia.

daß fast in allen Nachbarländern ähnliche Erhebungen vorgenommen wurden. Er schrieb auch: »Über einige Merkmale niederer Menschenrassen am Schädel« (Berl. 1875); »Beiträge zur physischen Anthropologie der Deutschen, mit besonderer Berücksichtigung der Friesen« (das. 1876). 1879 beteiligte er sich an den Ausgrabungen Schliemanns in Hissarlik (»Zur Landeskunde der Troas«, Berl. 1880; »Alttrojanische Gräber und Schädel«, das. 1882); 1881 besuchte er den Kaukasus und veranstaltete daselbst ausgedehnte anthropologische Untersuchungen (»Das Gräberfeld von Koban im Lande der Osseten«, Berl. 1883). Im Februar bis Mai 1888 bereiste er mit Schliemann Ägypten und Nubien sowie den Peloponnes; bekannt sind seine Untersuchungen der Königsmumien im Museum von Bulak und deren Vergleichung mit den entsprechenden Königsbildern. Im Anschluß an diese anthropologischen und prähistorischen Arbeiten betrieb er die Begründung eines »deutschen Museums der Trachten und des Hausgeräts« in Berlin. Sehr thätig war V. auch für die Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse im Volk. Er gehörte lange zu der Lehrerschaft des Berliner Handwerkervereins und gibt seit 1866 mit v. Holtzendorff eine »Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge« heraus, für welche er selbst über Pfahlbauten und Hünengräber, über Nahrungs- und Genußmittel, über Menschen- und Affenschädel etc. schrieb. Seine »Cellularpathologie« (4. Aufl., Berl. 1871) ist in die meisten lebenden Sprachen übersetzt worden. Sie bildet den 1. Band der »Vorlesungen über Pathologie«, welchem sich »Die krankhaften Geschwülste« als 2.-4. Band (1863-67) anschließen. Mit mehreren deutschen Ärzten gab er das »Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie« (Erlang. 1854-62, 3 Bde.) heraus. Außerdem schrieb er: »Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medizin« (Frankf. 1856; 2. Ausg., Berl. 1862); »Vier Reden über Leben und Kranksein« (das. 1862); »Sektionstechnik« (3. Aufl., das. 1883); »Untersuchungen über die Entwickelung des Schädelgrundes« (das. 1857); »Lehre von den Trichinen« (das. 1865, 3. Aufl. 1866); »Über den Hungertyphus« (das. 1868); »Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiet der öffentlichen Medizin und der Seuchenlehre« (das. 1879, 2 Bde.); »Über die nationale Entwickelung und Bedeutung der Naturwissenschaften« (das. 1865); »Die Aufgabe der Naturwissenschaften in dem neuen nationalen Leben Deutschlands« (das. 1871); »Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat« (das. 1877); »Die Erziehung des Weibes« (das. 1865); »Gedächtnisrede auf Joh. Müller (das. 1858), auf Schönlein« (das. 1865); »Goethe als Naturforscher« (das. 1861); »Über die Weddas von Ceylon« (das. 1881); »Die Anstalten der Stadt Berlin für die öffentliche Gesundheitspflege« (mit Guttstadt, das. 1886) etc.

Vire (spr. wihr), Arrondissementshauptstadt im franz. Departement Calvados, malerisch auf einem Felsen über dem Küstenfluß V. und an der Eisenbahn Paris-Granville, Sitz eines Gerichtshofs und eines Handelsgerichts, hat Reste alter Befestigungen, mehrere sehenswerte Kirchen, einen Uhrturm, ein Collège, eine Bibliothek, Baumwoll- und Wollspinnerei, Tuch- und Papierfabrikation, Gerberei, Handel und (1886) 2234 (als Gemeinde 6736) Einw. Dabei das hübsche Thal Vaux de V.

Virement (franz., spr. wir'mang, V. de parties), das Ab- und Zurechnen der Kaufleute, auch das Überweisen einer Schuldpost an Dritte; im Staatshaushalt die (oft ungesetzliche) Übertragung einer Summe von einem Titel des Budgets auf einen andern.

Virescentia (lat.), Vergrünung, s. Anamorphose.

Vireszieren (lat.), grünen, gedeihen.

Viret (spr. wirä), Peter, Reformator von Genf und Lausanne, geb. 1511 zu Orbe im Waadtland, verkündigte, während seiner Studien zu Paris für die Reformation gewonnen, das Evangelium in seiner Heimat und wurde 1536 Pfarrer in Lausanne. Infolge eines Streits über die Kirchenzucht 1559 vom Rat abgesetzt, wurde er Prediger in Genf, 1562 zu Nîmes, 1563 in Lyon. Die letzten Jahre seines Lebens brachte er in Navarra als Lehrer der Akademie in Orthez zu, wo er 1571 starb. Seine Hauptschrift heißt »Institution chrétienne« (Genf 1569, 3 Bde.). Vgl. K. Schmidt, Farel und V. (Elberf. 1860).

Virey (span.), Vizekönig, Statthalter.

Virga (lat., »Rute«), ein Zeichen der Neumenschrift, s. Neumen.

Virgatumgehen, altes Sommerfest der Volksschulen, bei welchem die ganze Kinderschar nach dem Wald geführt wurde, um sich mit Spielen zu vergnügen und die Ruten (lat. Virga) zu schneiden, welche zur Aufrechterhaltung der Zucht nötig waren. Das V. hat sich in vielen Gegenden bis zum vorigen Jahrhundert erhalten und wurde im Jahr oft wiederholt; es stellte im Mittelalter einen Ersatz der regelmäßigen Ferien dar, die erst im 16. Jahrh. aufkamen.

Virgenes (Cabo de las V., Virgin Cape), steiles, 50 m hohes Kap an der Küste Patagoniens an der östlichen Einfahrt zur Magelhaensstraße.

Virgilius, Dichter, s. Vergilius.

Virginal, s. v. w. Spinett (s. Klavier, S. 816).

Virgines ecclesiasticae (V. canonicae, lat.), Jungfrauen, welche den Schleier nahmen, unverehelicht in ihren Familien lebten und im Fall der Verarmung aus dem Kirchenvermögen erhalten wurden.

Virginia (spr. werdschínía, abgekürzt Va.), nordamerikan. Freistaat, grenzt im O. an das Atlantische Meer, im S. an Nordcarolina und Tennessee, im W. an Kentucky und Westvirginia, im N. an Maryland. Der Beschaffenheit der Oberfläche nach zerfällt das Land in vier Hauptteile: in die zwischen dem Ozean und der Chesapeakebai gelegene niedrige Halbinsel (East Shore); in das niedrige, im Bereich der Ebbe und Flut liegende Küstengebiet (Tide Water Region), welches das Meer entlang landeinwärts in einer Breite von 150 km sich ausdehnt; in das Hügelland (Piedmont Region), welches zwischen dem Küstengebiet und dem Blue Ridge (»blauen Rücken«) liegt, und in das sogen. Great Valley, zwischen dem Blue Ridge und den die Grenze bildenden Alleghanies. Diese Gebirgsgegenden Virginias sind ausgezeichnet durch schöne Landschaften und Naturmerkwürdigkeiten, durch reizende Thäler und üppig bewaldete Berge. Bekannt sind zahlreiche Tropfsteinhöhlen, unter welchen Weyer's Cave die größte ist, und vom Gipfel des 1741 m hohen Otter Peak eröffnet sich eins der großartigsten Panoramen. Auch heiße und kalte Mineralquellen sind häufig. Der Potomac bildet die Grenze gegen Maryland; sein wichtigster Nebenfluß, der Shenandoah, durchströmt das sogen. Große Thal. Der Rappahannock, der York und der Jamesfluß ergießen sich in die Chesapeakebai und sind bedeutende Strecken aufwärts für größere Fahrzeuge schiffbar. Die im südwestlichen Teil des Staats entspringenden Flüsse ergießen sich in den Tennessee. Die Küste ist flach und arm an guten Häfen. Der beste Hafen ist der von Norfolk an der Flutmündung des Jamesflusses. Das Klima bietet bedeutende Unterschiede dar: im Küstengebiet ist zwischen der Sommer- und