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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Voß

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Voß.

ren die fortgesetzten dichterischen Bestrebungen, die besonders freudig gediehen, seitdem V. im Idyll eine seiner Natur, seinen Erinnerungen und Lebenszuständen gleich gemäße Form gefunden hatte, welcher er sich fortan mit Vorliebe bediente. Eine Reihe früherer Versuche war schon in Göttingen und Wandsbeck entstanden. »Der siebzigste Geburtstag« erschien im »Musenalmanach für 1781«, »Des Bräutigams Besuch« (das zuerst veröffentlichte Bruchstück der »Luise«) in dem auf 1783. In seiner Idyllendichtung umgab V. die nüchterne und oft unschöne norddeutsche Wirklichkeit mit all der Verklärung, welche aus der eingehenden Schilderung häuslichen Behagens und liebevoller häuslicher Zustände hervorgehen konnte. Die Form erwuchs ihm aus seinen Homerischen Studien, und die lebendige Wirklichkeit und Gegenständlichkeit seiner Idylle, die frohe Zuversicht des Dichters auf das Gedeihen des Schönen, Wahren und Guten im Sinn seines beschränkten Rationalismus ergriffen die Zeitgenossen so, daß den Idyllen und namentlich dem größern Gedicht »Luise« (Königsb. 1795) ein reicher Beifall zu teil ward. Der Dichterruf V.' gründete sich aber nicht allein auf diese Idylle und seine sonstigen »Gedichte« (deren Gesamtausgabe von 1802 Goethe in der »Jenaer Litteraturzeitung« liebevoll eingehend besprach), sondern vor allem auch auf seine Meisterschaft der Übertragung. Nachdem V. Vergils vierte Ekloge mit einem Kommentar, als Probe des Ganzen, herausgegeben, folgten 1797 Vergils »Eklogen« (neue Ausg., Altona 1830, 2 Bde.), 1793 die Auswahl Ovidscher »Verwandlungen« (2. Aufl. 1829) und 1799 der ganze Vergil verdeutscht, doch ohne Kommentar. Im Herbst 1802 ging V. seiner Gesundheit wegen mit einem Gnadengehalt von 600 Thlr. nach Jena, wo er, von Schütz und Griesbach wiederholt aufgefordert, jene viel besprochene Rezension der Heyneschen »Ilias« in der »Allgemeinen Litteraturzeitung« (Maiheft 1803) erscheinen ließ. Vergebens suchte ihn Goethe in Jena festzuhalten; V. folgte im Sommer 1805 einem Ruf an die Universität zu Heidelberg, wo er den verdeutschten Horaz (Heidelb. 1806, 2 Bde.; 2. Aufl. 1820), Hesiod und Orpheus (das. 1806), die Übersetzung des Theokrit, Bion und Moschos (Stuttg. 1808) und Tibull (Tübing. 1810) sowie eine kritische Bearbeitung des Tibull und Lygdamus nach Handschriften (Heidelb. 1811), die Übersetzung des Aristophanes (Braunschw. 1821, 3 Bde.) sowie des Aratos (Heidelb. 1824), des Homerischen »Hymnus an Demeter« (das. 1826) und des Properz (Braunschw. 1830), mit seinen Söhnen Heinrich und Abraham eine Übersetzung des Shakespeare (Leipz. 1819-30, 9 Bde) herausgab und in Opposition gegen Creuzer seine »Antisymbolik« (Stuttg. 1824) schrieb, deren zweiten Teil nach seinem Tod sein Sohn Abraham (1826) herausgab. Er rief darin zur Wachsamkeit gegen überspannte Lobredner der heidnischen Mystik auf und hatte noch kurz vor feinem Tode die Freude, an Lobeck einen wohlausgerüsteten Waffengenossen zu gewinnen. Fast gleichzeitig entbrannte der Kampf über Katholizismus, Pfaffentum und Junkertum, welchen V. durch feinen Aufsatz im »Sophronizon« über den Abfall seines Freundes Fritz Stolberg von der protestantischen Kirche veranlaßt hatte. Bis zu seinem Ende als entschlossener und kräftiger Streiter standhaltend, starb V. 29. März 1826 in Heidelberg. V. höchstes Verdienst um die deutsche Litteratur lag in seiner unübertroffenen Verdeutschung des Homer, durch welche er den griechischen Epiker zum unverlierbaren Eigentum und einer der Grundlagen der deutschen allgemeinen Bildung machte. Als selbständiger Dichter vermochte er eine gewisse Herbheit und trotzige Beschränktheit seiner Natur, einen nüchtern-lehrhaften Grundzug seiner Bildung nur unter der Zusammenwirkung besonders günstiger Umstände zu überwinden; in allem aber, was »eine tieffühlende, energische Natur durch treues Anschauen, liebevolles Beharren, durch Absonderung der Zustände, durch Behandlung eines jeden Zustandes in sich als eines Ganzen schaffend hervorbringen kann« (Goethe), erscheint er gehaltvoll und bedeutend. Die Verbindung einer Bestrebungen für die deutsche Litteratur mit seinen philologischen Arbeiten verführte ihn nicht zum Dilettantismus. In mehreren Zweigen der Altertumswissenschaft verdanken wir V. die Anbahnung ganz neuer Wege, und besonders gebührt ihm das Verdienst, in seinen Untersuchungen über die älteste Geographie die Zeiten und Momente der geographischen Kenntnisse unterschieden, die Quellen gesichtet und eine Fülle von Aufschlüssen über den Verkehr und die Produktion der alten Länder gegeben sowie in der Behandlung der Mythologie auf eine strenge Methodik mit Beweis und kritischer Sichtung der Mythenmassen gedrungen zu haben. Der Ernst und die Tüchtigkeit, die ihn beseelten, interessieren auch bei minder gelungenen Leistungen. In seinen letzten Übertragungen, namentlich in denen des Aristophanes und vor allen in der der Schlegelschen entgegengesetzten Shakespeare-Übersetzung, waltete eine zur Manier gesteigerte künstliche Monotonie, deren erste Ansätze übelwollende Kritik dann freilich selbst aus den gelungenen Homer- und Vergilübersetzungen herausfinden konnte. Die Übersetzungen V. aus neuern Sprachen verdankten zumeist dem Bedürfnis seiner bedrängten Jugendjahre ihre Entstehung, so: d'Alemberts »Versuch über den Umgang der Gelehrten und Großen« (Leipz. 1775); Blackwells »Versuch über Homers Leben und Schriften« (das. 1776); Shaftesburys »Philosophische Werke« (zugleich mit Hölty, das. 1776-79, 3 Bde.); »Tausendundeine Nacht«, nach der französischen Übersetzung Gallands (Brem. 1781-85, 6 Bde.). Von V.' »Sämtlichen Werken« erschienen mehrfache Ausgaben (Leipz. 1853, 5 Bde.; Berl. 1869, 5 Bde.; neue Aug. 1879), seine »Luise« und die »Idylle« gab K. Gödeke mit einer vortrefflichen Einleitung (Leipz. 1869) heraus. Vgl. Paulus, Lebens- und Todeskunden von J. H. V. (Heidelb. 1826); »Briefe von J. H. V. nebst erläuternden Beilagen« (hrsg. von seinem Sohn Abraham V. [s. unten 5], Halberst. 1829-33, 3 Bde.); Herbst, J. H. Voß (Leip. 1872-76, 2 Bde.).

4) Julius von, Roman- und Lustspieldichter, geb. 28. Aug. 1768 zu Brandenburg, avancierte in der preußischen Armee bis zum Leutnant, nahm 1798 einen Abschied, bereiste Deutschland, Frankreich, Schweden und Italien und lebte dann in Berlin, wo 1832 an der Cholera starb. Für die Bühne schrieb er unter anderm: »Lustspiele« (Berl. 1807-18, 9 Bde.); »Neuere Lustspiele« (das. 1823-27, 7 Bde.); »Fünfundzwanzig dramatische Spiele nach deutschen Sprichwörtern« (das. 1822) und »Trauerspiele« (das. 1823). Außerdem erschienen von ihm »Kleine Romane« (Berl. 1811-15, 10 Bde.). Seine Romane wie seine Lustspiele sind ohne Kunstwert, besitzen aber kulturhistorisches Interesse, insofern sie ein treues Abbild der Frivolität und innern Verkommenheit geben, wie sie vor 1806 in allen Schichten der Berliner Bevölkerung eingerissen war.

5) Heinrich, ältester Sohn von V. 3), geb. 29. Okt. 1779 zu Otterndorf, studierte in Halle unter Wolf Philologie, wirkte 1804-1806 als Lehrer am Gym-^[folgende Seite]