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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Warschau

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Warschau (Beschreibung und Geschichte der Stadt).

produktenmarkt Warschaus mit dem Bazar und einer Menge kleiner Läden (das sogen. Eiserne Thor). Nach der Weichsel zu liegen große Fabriken: eine Eisenfabrik, eine Dampfmühle, Gasfabrik, chemische Fabriken, Sägemühlen, Asphaltfabriken etc. Von der schon erwähnten, mit schönen Villen gezierten Ujasdower Allee gelangt man zur Sternwarte und zum botanischen Garten, ausgezeichnet durch schöne Anlagen (berühmte Orchideensammlung). An ihn stoßen die kaiserlichen Parke von Lazienki und Belvedere, jener auf einer Insel in einem kleinen, durch Kunst geschaffenen See (einst Asyl Ludwigs XVIII. zur Zeit seines Exils), dieser auf einer Anhöhe malerisch gelegen. Eine schöne Orangerie, die Kaiser Alexander II. vom Fürsten Radziwill für 80,000 Rubel angekauft hat, ziert den Park. Jenseit desselben liegen vor der Stadt noch mehrere Schlösser von Privatleuten (Marcellin, Wierzbno, Willanowa). W. hat etwa 85 Kirchen und Kapellen, darunter 6 griechisch-katholische, eine lutherische und eine reform. Kirche, sowie mehrere Synagogen. Die Stadt zählt 1882: 3658 Grundstücke, welche der Herdsteuer und den damit zusammenhängenden Stadtabgaben unterliegen. Die Einnahmen aus der Besteuerung derselben ergeben 13¼ Mill. Rubel. Die Bevölkerung beträgt (1885) 454,298 Seelen, darunter mehr als ⅓ Katholiken und ⅓ Juden. Die industrielle Thätigkeit ist sehr ansehnlich. Maschinenbau, Tabaksindustrie, Leder-, Metallverarbeitung, Zuckerfabrikation werden in großem Maßstab betrieben. An Unterrichtsanstalten sind folgende vorhanden: eine Universität (mit Bibliothek von 200,000 Bänden, botanischem Garten, Sternwarte, speziellen Kabinetten und Sammlungen), 6 Gymnasien, ein Realgymnasium, das kaiserliche Marieninstitut (Töchterschule), 4 weibliche Gymnasien, 2 männliche Progymnasien, 3 weibliche Progymnasien, ein Lehrerseminar und 147 Privatschulen, eine Tierarzneischule, Zeichenschule, ein Taubstummen- und Blindeninstitut, eine Sonntags-Handelsschule, Handelsschule, einige Handwerkerschulen. Von Wohlthätigkeitsanstalten sind besonders die Große Wohlthätigkeitsgesellschaft (1814 gegründet, mit 80,000 Rub. jährlichen Einkünften), das Findelhaus und die Spitäler hervorzuheben. W. ist jetzt der Sitz eines Generalgouverneurs (zugleich Kommandeur des 4. Militärbezirks), des 5. und 6. Armeekorpskommandos, eines griechisch-orthodoxen Erzbischofs und eines römisch-katholischen Bischofs, eines Zivilgouverneurs, des Kurators des Warschauer Lehrbezirks, einer Oberrechnungs- und einer Gerichtskammer sowie eines deutschen Berufskonsuls. Vgl. »Obsor (Skizze) der Stadt W.«, 1878.

Geschichte. Die Stadt W. wird 1224 zuerst urkundlich erwähnt. Die Herzöge von Masovien residierten meist hier; mit ihrem Aussterben 1526 fiel Masovien und mit ihm W. an Polen zurück. Bereits um 1550 von König Siegmund II. August zur Residenz erhoben, war es seit der Zeit faktisch die

^[Abb.: Situationsplan von Warschau.]