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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Weib

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Weib (im Mittelalter und in der Neuzeit).

gen leben, und Sittsamkeit war ihr größter Schmuck. Es war dies offenbar die Folge ihrer sozialen Anerkennung als alleinige und ebenbürtige Genossin des Mannes, die sich im Altertum erst bei den Römern verwirklichte. Zur Erinnerung an Thaten einzelner Weiber, wie die Vermittelung zwischen Römern und Sabinern, die That der Clölia, die Errettung Roms durch Veturia, die Aufopferung der Kleinodien bei der Eroberung Roms durch die Gallier etc., wurden mehrere die Frauen ehrende Anordnungen vom Senat getroffen. Eigentümlich war dem römischen Leben die hohe Achtung der Frauenwürde, sowohl im jungfräulichen Stand, in welchem den Vestalinnen die höchsten, fast königlichen Vorrechte eingeräumt wurden, als in der Familie, wo sie zuerst als Erzieherinnen der Söhne und Töchter auftreten und in glänzenden Beispielen, wie die Mutter Coriolans, der Gracchen u. a., eine große Macht über ihre Söhne offenbaren, und endlich als Matronen, deren gesellschaftliche Stellung viele Vorzüge einschloß. Dennoch war das W. ursprünglich rechtlich unselbständig und blieb es auch. Es konnte niemals, selbst nicht in Privatangelegenheiten, ohne Kurator handeln, und als Ehefrau trat die Frau zu ihrem Mann ganz in das Verhältnis, in dem sie früher zu ihrem Vater gestanden hatte. Der nach Karthagos und Korinths Zerstörung einreißende Luxus änderte das Verhältnis der Weiber sehr zu ihren gunsten, noch mehr die Zeit der Kaiser; je weibischer die Männer wurden, desto selbständiger und von den Männern unabhängiger wurden die Frauen. Schon gegen das Ende der Republik begann aber völlige Sittenverderbnis derselben; sie überließen sich, das böse Beispiel der Männer nachahmend, nicht nur der schamlosesten Frechheit, sondern es wurden auch die unnatürlichsten Mordthaten, die blutigsten Entwürfe gegen das Vaterland oft von Weibern geleitet, wie die berüchtigten Namen einer Livia, Julia, Agrippina, Poppäa, Messalina, Faustina beweisen. In größter Achtung standen die Weiber bei den Galliern. Sie versöhnten oft Heere, die miteinander den Kampf beginnen wollten, und schlichteten Privatstreitigkeiten, obgleich, wie bei den Römern, der Mann volle Gewalt über die Frau hatte. Auch bei den Germanen standen die Frauen in besonderer Schätzung; das Volk legte ihnen, wie Tacitus sagt, »etwas Göttliches« bei. Sie wohnten nach patriarchalischer Weise mit Männern vermischt. Ihre Keuschheit betrachteten sie als ihren höchsten Schmuck, der meist die Brautgabe war, welche sie ihren Männern mitbrachten. Im Haus waren die Frauen Stellvertreterinnen der Männer; ihnen lag die Leitung der ganzen Wirtschaft ob, sie verteilten die Arbeiten unter Knechte und Mägde und sorgten mit denselben für den Tisch und die Kleidung der Männer. Im Krieg begleiteten die Weiber mit ihren Kindern die Männer, feuerten, auf der Wagenburg stehend, die Männer zur Tapferkeit an, pflegten die Verwundeten, erfrischten die Streiter und fochten selbst an ihrer Seite mit, und wenn alle Hoffnung auf Rettung verloren, so ermordeten sie sich häufig selbst, nachdem sie ihre Kinder erwürgt hatten, um sie nicht in fremde Sklaverei geraten zu lassen. Deshalb hielt der deutsche Mann auch sein W. hoch; nur selten hatte er zwei oder mehrere, und zwar war dies meist nur der Fall bei Fürsten, die sich mit andern mächtigen Stämmen verbinden wollten. Ein Hauptbeweis der Stellung des weiblichen Geschlechts liegt darin, daß das Wergeld bei dem Mord einer Frau verhältnismäßig sehr groß war. Auch nahmen die Frauen an allen öffentlichen Ergötzlichkeiten teil, wurden bei den wichtigsten öffentlichen Angelegenheiten zu Rate gezogen und standen überhaupt in dem Ruf, die Gabe der Weissagung zu besitzen (vgl. Velleda). Die Stellung der Frau im altdeutschen Recht folgt aus ihrer Unterordnung unter die Geschlechtsvormundschaft: ihrem Vater oder, nach Eingehung der Ehe, ihrem Mann steht ein Tötungs-, ein Züchtigungs-, ein Verkaufsrecht zu. Später hört das Recht, die Mündel in die Knechtschaft zu verkaufen, sowie das Tötungsrecht (bei Unkeuschheit) auf; die Frau tritt in die Vermögensfähigkeit ein, doch nur solange sie unverheiratet ist. Vor der Ehe fand zwischen Bewerber und Vater (als Vormund) der Brautkauf statt, bei dem ein Handgeld (später ein Ring) zum Zeichen des gültigen Vertragsschlusses gezahlt wurde (Verlobung); die Erfüllung dieses Vertrags ist die Trauung (später die kirchliche).

Eine höhere Stellung in der Familie und dann auch in der Gesellschaft und im Staat kam in Wirklichkeit erst mit dem Christentum zum Durchbruch, indem namentlich unter dem Einfluß des Marienkultus die Vorurteile und die Mißachtung schwanden und einer gerechtern Wertschätzung des Weibes als Trägerin milder Sitten Platz machten. Zwar hatten schon, wie oben gesagt, die Germanen im W. etwas Göttliches gefunden, und ihre Achtung grenzte an Verehrung. Allein das Christentum gab dem W. in der menschlichen Gesellschaft seinen rechten Wert und stellte überall, wo es Eingang fand, die Frau wenigstens vor Gott dem Mann gleich. So blieb denn auch noch im Mittelalter hohe Achtung der Frauen ein hervorstechender Charakterzug der Völker germanischen Stammes. Sie zu schützen, war ein nicht geringer Teil der Ritterpflicht, und Beleidigung gegen Frauen zog Unehre und Verlust der ritterlichen Würde nach sich. Die romanischen Völker achteten ursprünglich das W. nur gering; später wurde es in ritterlicher Sentimentalität bei ihnen fast unsittlich vergöttert. Der durch die Mauren und Franzosen verbreitete chevalereske Minnedienst (Chevalerie), der nur zu oft die Grenzen des Erlaubten überschritt, fand in Deutschland und England einen wenig empfänglichen Boden. Mit dem Emporblühen des gesunden Bürgertums trat alsdann das W. von der Prunkhöhe des Rittertums in die ihm angemessene Häuslichkeit zurück. Daher fand die von Frankreich aus im 17. und 18. Jahrh. sich verbreitende Galanterie (s. d.), jenes unwahre Gemisch von Eitelkeit und Frivolität, in Deutschland keinen Anklang. Die vornehmern deutschen Frauen erreichten denn auch im 18. Jahrh. ihre französischen Vorbilder weder in ihren geistigen Koketterien noch in Intrigen und in sittlicher Verdorbenheit, wogegen den deutschen Bürgerfrauen von je ein sittiges und züchtiges Wesen nachgerühmt wurde. In sozialer Hinsicht ist den Frauen bei allen zivilisierten Nationen gegenwärtig eine Gleichberechtigung mit dem männlichen Geschlecht zugestanden, und nur ihre Rechtsmündigkeit sowie ihre Stellung im Staat pflegt in den Gesetzen noch beschränkt zu sein (s. Frauenfrage). Vgl. Virey, Das W., physiologisch, moralisch und litterarisch dargestellt (deutsch, Leipz. 1827); Thulié, La femme (Par. 1885); Corre, La mère et l'enfant dans les races humaines (das. 1882); Ploß, Das W. (2. Aufl. von Bartels, Leipz. 1888); J. ^[Jules] Michelet, Die Frau (deutsch, 2. Aufl., das. 1875); Virchow, Über die Erziehung des Weibes für seinen Beruf (Berl. 1865); Weinhold, Die deutschen Frauen im Mittelalter (2. Aufl., Wien 1882); Klemm, Die Frauen, kulturgeschichtliche Schilderungen (Dresd. 1854-^[BINDESTRICH!]