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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wein

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Wein (Wirkung des Weingenusses).

höchste Vollendung erreicht der Champagner in 5 Jahren, macht dann aber nicht mehr so viel Schaum wie im Alter von 2-3 Jahren. Ein jedes französisches Champagnerhaus hat seinen eignen »Brand« oder seine »Marke«, welche durch leichtes Andrücken des Korks gegen das glühende Brandzeicheneisen hervorgebracht wird. Die Handelshäuser sind meist bereit, jede gewünschte Marke auf den Kork zu drücken, aber nicht so leicht wird man die Marke einer andern Firma nachahmen. Die Erhaltung des Champagners und namentlich seines Gehalts an Kohlensäure ist abhängig von der Güte des Korks, und die Flaschen müssen daher auch liegend aufbewahrt werden, damit der Kork nicht trockne und zusammenschrumpfe. Am besten eignet sich zum Aufbewahren ein kalter, nötigen Falls mit Eis versehener Keller. Aus solchem Keller schmeckt der Champagner stets am besten. Verfügt man nicht darüber, so kühlt man den W. in Eis; aber gewöhnlich thut man dabei zu viel. Erreicht der W. die Temperatur des Eises selbst, so sterben Geschmack und Blume ab. Zehn Minuten lang im Eis gedreht, ist hinreichend, um den Zustand hervorzubringen, welchen die Franzosen frappé nennen. Zum Einschenken bedient man sich dann eines Flaschenhalters oder Schenkgriffs, weil schon die Wärme der Hand einem guten Champagner schädlich wird. Guter Champagner übertrifft an Wohlgeschmack, köstlichem Parfüm und rascher Wirkung auf Geist und Gemüt alle übrigen Weine. Aber gar selten sind die Weinlesen, welche ein vorzügliches Produkt liefern (von 1845 bis 1857 gab es z. B. keine einzige). Die folgende Tabelle zeigt die Zusammensetzung einiger Champagner:

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Freie Säure pro Mille 5,3 5,9 7,6 7,8 6,2 5,6

Alkohol Proz. 8,4 9,5 8,7 8,4 9,8 8,4

Zucker - 8,2 4,3 7,9 0,1 7,5 5,4

Extrakt - 11,7 7,5 10,3 12,0 11,6 15,2

Spez. Gewicht 1,036 1,029 1,089 1,046 1,36 1,041

1. Sorte aus Châlons; 2., 3. und 4. Würzburger Mousseux, und zwar 2. für den Export nach Indien bestimmt, 3. von J. ^[Josef] Oppmann, 4. von Silligmüller, beide in Deutschland höchst beliebte Sorten; 5. von Soutaine u. Komp. in Reims; 6. Schaumwein einer renommierten rheinischen Fabrik, in welchem ein großer Teil des Zuckers durch Glycerin ersetzt war.

Das Aroma des Champagners entsteht wohl zum Teil durch die Einwirkung der Kohlensäure auf die Weinbestandteile, besonders auf den Alkohol, und rührt vielleicht von Kohlensäureäther her. Den Druck der Kohlensäure im W. bestimmt man während der Fabrikation mittels eines Manometers (Aphrometers), welches sich leicht auf der Flasche anbringen läßt. Mit Hilfe dieses Apparats wurde konstatiert, daß eine Mousse mit 4-4½ Atmosphären noch verkäuflich ist; mit 4½-5 Atmosphären nennt man sie eine schöne Mousse, mit 5⅓-6 eine sehr starke; bei 7-8 Atmosphären Druck springen fast sämtliche Flaschen. Beim Öffnen der Champagnerflasche treibt die in dem leeren Raum unter dem Pfropfen (in der Kammer) befindliche Kohlensäure letztern mit Gewalt heraus. Faßt die Kammer etwa 15 ccm, so enthält sie bei einem Druck von 5⅓ Atmosphären 82 ccm Kohlensäure. Beim Abfliegen des Korks bleiben nur 15 ccm zurück, und die entweichenden 67 ccm verursachen den Knall. Sobald aber der Druck von dem W. genommen ist, vermag dieser nicht mehr die Kohlensäure gelöst zu halten, und ein großer Teil derselben entweicht in Bläschen. Unter dem gewöhnlichen Atmosphärendruck, d. h. also im offenen Glas, kann ein kühler W. auf die Dauer 1⅓ Volumen Kohlensäure zurückhalten; denn so groß ist das Lösungsvermögen des Alkohol- und Wassergemisches, welches den W. bildet, für die Kohlensäure unter den genannten Verhältnissen. Es dauert aber sehr lange, bis der W. so weit an Kohlensäure verarmt. Die Zähigkeit der Flüssigkeit läßt die Kohlensäure sehr langsam entweichen, und fortwährend sieht man von den kleinsten Unebenheiten, von fast unsichtbaren Stäubchen in der Spitze der kegelförmigen Champagnergläser die Kohlensäurebläschen aufsteigen (pétillement); jeder rauhe Körper befördert die Entwickelung des Gases, und ein eingetauchtes Stück Biskuit bringt heftiges Schaumwerfen hervor. Auf die Zunge wirkt aber nur die noch gelöste Kohlensäure, und je behutsamer man den W. eingießt, um so größern Genuß gewährt er. Alles Künsteln mit demselben ist eine Thorheit. Um die Unbequemlichkeiten dieser Darstellungsweise des Champagners zu vermeiden, benutzt man bisweilen ein großes, starkes, längliches Gefäß von glasiertem Eisenblech, welches einige Hektoliter W. faßt, luftdicht verschlossen werden kann und oben und unten mit einem Hahn versehen ist. In diesem Gefäß verläuft die Nachgärung des mit Zucker versetzten Weins, und allmählich lagert sich am Boden die Hefe ab, die dann mit einemmal durch den untern Hahn ausgespritzt werden kann. Der ganz fertige Schaumwein wird aus diesem »Önophor« mittels derselben Vorrichtungen auf Flaschen gefüllt wie Mineralwasser, d. h. indem man den obern Hahn mit einem andern, zehnmal größern Apparat in Verbindung bringt, in welchem Kohlensäure entwickelt wird. Nach Angabe eines Manometers läßt man dann aus dem Gazostateur so viel Kohlensäure in den Önophor treten, daß trotz des Abfüllens der Druck stets derselbe bleibt. Mancher Champagner ist nichts andres als ein süßes Weingemisch, in welches man mit den Apparaten der Mineralwasserfabriken Kohlensäure gepreßt hat.

Weingenuß, Gastronomisches.

Was den W. als Getränk betrifft, so kommt hier in erster Linie der Alkoholgehalt in Betracht; doch weicht die Wirkung des Weins so sehr von der des reinen Alkohols ab, daß man unbedingt auch den übrigen alkohol- und ätherartigen Weinbestandteilen eine bedeutende Rolle zuschreiben muß. Der Weingenuß belebt vorherrschend die Phantasie. Die Steigerung derselben Kraft, welche Bilder erzeugt, hat eine Erleichterung der Ideenassociation und eine Schärfung des Gedächtnisses zur Folge. Auch die Sinne werden in ihrer Thätigkeit gefördert, die Eindrücke werden schnell und klar wahrgenommen, und das Urteil wird leichter gebildet. Alle willkürlichen Muskelbewegungen erfolgen leicht, die Stimme wird voller und kräftiger, Müdigkeit und Abspannung verschwinden, und es entsteht ein Gefühl von Wohlbehagen und Lust, das auch die geistigen Verstimmungen, Sorge, Gram und Furcht, verscheucht (Moleschott). Nach Cabanis sind die Menschen in den Weinländern im allgemeinen heiterer, geistreicher und geselliger; sie haben mehr Offenheit und Zuvorkommenheit in ihrem Betragen. Im Streit brausen sie leicht auf, aber sie tragen selten nach, wenn sie geärgert wurden, und ihre Rache ist nicht tückisch. Infolge seines Alkoholgehalts teilt der W. die physiologischen Wirkungen des Branntweins, und wenn ein mäßiger Weingenuß namentlich ältern Leuten durchaus zuträglich ist, so wirkt ein häufiger und dabei (wenn auch nur wenig) übermäßiger Weingenuß