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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Westfalen

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Westfalen (Provinz).

[Bevölkerung. Nahrungszweige.] Die Zahl der Einwohner beträgt (1885) 2,204,580 (109 auf 1 qkm), darunter 1,035,869 Evangelische, 1,145,632 Katholiken, 18,935 Juden etc. Fast ganz evangelisch sind die sechs nördlichen Kreise des Regierungsbezirks Minden und die Kreise Altena und Wittgenstein des Regierungsbezirks Arnsberg, fast ganz katholisch der Regierungsbezirk Münster mit Ausnahme des Kreises Mecklenburg, der südliche Teil des Regierungsbezirks Minden (Kreise Wiedenbrück, Paderborn, Büren, Warburg und Höxter) und die Kreise des Regierungsbezirks Arnsberg, welche ehemals das Herzogtum W. bildeten. Die Bewohner sind niederdeutscher Abkunft, und die allgemeine Sprache des Volkes ist plattdeutsch. Von der Gesamtfläche der Provinz kommen auf Ackerland, Gärten und Weinberge 42,3, auf Wiesen 7,8, auf Weiden 17,3, auf Forsten und Holzungen 28 Proz. Die größten Ackerflächen (über 55 Proz.) haben die Kreise Herford, Warburg und Minden des Regierungsbezirks Minden und die zwischen der Lippe, Möhne und Ruhr im Bereich des Tieflandes gelegenen Kreise des Regierungsbezirks Arnsberg; gering sind die Ackerflächen im westlichen und nördlichen Teil des Regierungsbezirks Münster und auf dem Bergland des Regierungsbezirks Arnsberg, wo in den beiden südlichen Kreisen (Siegen und Wittgenstein) nur 13-14 Proz. auf Ackerland kommen. Die Provinz liefert Getreide aller Art, aber nicht genügend für den eignen Bedarf, Hülsenfrüchte, Buchweizen, Gartengewächse, ausgezeichneten Flachs und Hanf, Obst etc. Berühmt ist der Kunstwiesenbau im Siegenschen. Einen ansehnlichen Umfang haben die nur geringen Ertrag abwerfenden Weideländereien in der Senne (Kreis Ahaus 47 Proz.) und die Waldungen des Schiefergebirges (Siegen 72 Proz.), die herrliche Laubholzbestände enthalten. Nach der Viehzählung von 1883 hatte die Provinz 120,646 Pferde, 527,605 Stück Rindvieh, 416,761 Schafe, 367,844 Schweine und 181,174 Ziegen. Die Pferdezucht, gefördert durch das westfälische Landgestüt zu Warendorf, blüht besonders in den fruchtbaren Kreisen des Hellwegs, ist dagegen im S. ganz unbedeutend. Die Rindviehzucht ist von hoher Bedeutung in den ebenen Kreisen des Regierungsbezirks Arnsberg, im ganzen Regierungsbezirk Münster und endlich im nördlichen Teil des Regierungsbezirks Minden. Die Schafzucht ist unbedeutend, die Schweinezucht im Tiefland wichtig; bekannt sind die westfälischen Schinken. Der Hauptreichtum der Provinz besteht in Mineralien, namentlich in Steinkohlen und Eisenerzen. Steinkohlen (1887: 21,528,741 Ton. im Wert von über 9⅓ Mill. Mk.) werden ganz besonders in den Kreisen Bochum, Dortmund, Hagen und Tecklenburg, Eisenerze (1887: 1,150,873 T. im Wert von über 7⅓ Mill. Mk.) im Schiefer- und Ruhrkohlengebirge und zwar vorzugsweise in den Kreisen Siegen und Olpe gewonnen. Außerdem gewinnt man Zinkerze (1887: 40,969 T. zu 1,108,788 Mk.), Kupfererze (37,754 T.), Bleierze, Quecksilber, Antimon, Schwefelkies (1887: 91,914 T.), Salz, Gips, Kalk- und Bausteine, Marmor, Dachschiefer, Töpferthon etc. Unter den Mineralquellen sind die zu Oeynhausen, Lippspringe, Driburg und Schwelm am bekanntesten. Die Hauptbeschäftigungen der Einwohner sind neben Landwirtschaft und Viehzucht Bergbau und Industrie. Der eigentliche Bauernstand ist in W. mehr als in einer andern der acht alten preußischen Provinzen vertreten, indem auf denselben mit Grundstücken von 8-80 Hektar etwa 57 Prozent von der Fläche des Grundbesitzes überhaupt entfallen, doch sind im SW. der Provinz Bergbau und Hüttenbetrieb vorherrschend. Eisen- und Stahlwaren werden hauptsächlich in der ehemaligen Grafschaft Mark, also in den Kreisen Hagen (Enneper Straße), Bochum, Dortmund, Iserlohn und Altena, außerdem im Kreis Siegen fabriziert. Die Hauptsitze für die Fabrikation von Messing- und Bronzewaren sind Iserlohn und Altena, für die von Zinn- und Britanniawaren Lüdenscheid, von Nadeln Iserlohn, von Draht und Drahtwaren Altena. Die Leinwandindustrie hat in W. einen ihrer Mittelpunkte für das Deutsche Reich, und besonders treten hierin die Kreise Bielefeld, Herford und Warendorf hervor; daselbst ist auch die Bleicherei bedeutend. Bielefeld gewinnt für die Fabrikation von fertiger Wäsche und von Geweben aus Jute an Wichtigkeit. Die Baumwollindustrie ist vorzüglich in der westlichen Hälfte des Regierungsbezirk Münster vertreten, die Papierfabrikation, von höchster Wichtigkeit, vielfach aber nur Stroh- und Packpapier liefernd, in der Landschaft zu beiden Seiten der untern Lenne, die Glasfabrikation in den Waldungen der Egge, im Steinkohlengebirge etc., die Gerberei und Lederindustrie im Kreise Siegen. Andre Fabrikate sind: Seilerwaren, Segeltuch, feine Fleischwaren (Gütersloh), Pulver, Pottasche, Zucker, Seife, Holzwaren, Fayence, Marmorwaren (Kreis Olpe), Zigarren (Vlotho, Bünde) etc. Neuerdings nimmt auch die Töpferei im Münsterland bedeutenden Aufschwung. Der Handel der Provinz besteht in der Ausfuhr von Leinwand, Baumwollwaren und Naturprodukten, als: Steinkohlen, Eisen, Holz, westfälischen Schinken, Würsten etc. Die vorzüglichsten Handelsstädte sind: Bielefeld, Dortmund und Iserlohn. Schiffbare Flüsse (Weser, Ems, Ruhr, Lippe), gute Landstraßen und zahlreiche Eisenbahnen befördern den Verkehr ungemein. Die wichtigsten Staatsbahnlinien, soweit sie die ganze Provinz durchziehen oder auch nur zu einem Teil berühren, sind: Münster-Emden, Münster-Gronau, Wanne-Haltern-Bremen, Münster-Rheda, Soest-Hamm-Münster, Dortmund-Hamm, Welver-Dortmund, Herne-Dortmund, Oberhausen-Herne, Hochfeld-Bochum-Langendreer, Soest-Nordhausen, Altenbeken-Warburg, Hannover-Löhne-Hamm, Löhne-Rheine, Schwerte-Kassel, Ruhrort-Dortmund-Holzwickede, Essen-Herne, Witten-Dortmund, Schwelm-Soest, Schwelm-Dortmund, Hagen-Voerde, Hagen-Lüdenscheid und Hagen-Betzdorf. Privatbahn ist die Linie Dortmund-Gronau-Enschede. Für die geistige Bildung sorgen die Akademie zu Münsters mit zwei Fakultäten, einer katholisch-theologischen und einer philosophischen, 21 Gymnasien, 2 Progymnasien, 11 Realgymnasien, 5 Realprogymnasien, 2 Gewerbeschulen, 6 Lehrer- und 2 Lehrerinnenseminare, 4 Taubstummenanstalten, 2 Blindenanstalten etc. Für die Verwaltung ist die Provinz, deren Hauptstadt Münster ist, in 3 Regierungsbezirke geteilt: Münster mit 11, Minden mit 11 und Arnsberg mit 21 Kreisen. In Münster befinden sich das Provinzialschulkollegium, eine Generalkommission und die Provinzialsteuerdirektion, in Dortmund ein Oberbergamt; die Staatsbahnen assortieren von den Direktionen zu Elberfeld, Hannover und Köln (rechtsrheinisch). Für die Justiz bestehen ein Oberlandesgericht zu Hamm und die Landgerichte zu Arnsberg, Bielefeld, Dortmund, Hagen, Münster und Paderborn in W. und zu Duisburg und Essen für den gerichtlich hierher gehörigen Teil der Rheinprovinz. Die katholischen Kirchen und Geistlichen stehen unter den Bistümern Münster und Paderborn, die evangelischen unter dem Konsistorium zu Münster.