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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wirtschaft

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Wirtschaft.

verbüßte. Hier schrieb er die »Fragmente zur Kulturgeschichte der Menschheit« (Kaisersl. 1835, 2 Bde.). Nach überstandener Strafe ward W. im Dezember 1835 nach Passau gebracht, um dort noch eine Kontumazstrafe zu erleiden, und sodann in Hof unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Er flüchtete jedoch Ende Dezember 1836 nach Frankreich und 1839 nach Thurgau, wo er die in Konstanz erscheinende »Deutsche Volkshalle redigierte u. die »Geschichte der Deutschen« (Stuttg. 1843-45, 4 Bde.; 4. Aufl., fortges. von Zimmermann, 1860-62) schrieb. 1847 ließ er sich in Karlsruhe nieder. In den preußischen Fürstentümern in die deutsche Nationalversammlung gewählt, starb er schon 26. Juli 1848 in Frankfurt. Von seinen »Denkwürdigkeiten« erschien nur der 1. Band (Leipz. 1843).

2) Johann Ulrich, Philosoph, geb. 17. April 1810 zu Ditzingen in Württemberg, studierte zu Tübingen Philosophie und Theologie, wurde Stadtpfarrer in Kleingartach, seit 1842 zu Winnenden, wo er 20. März 1879 starb. W., ursprünglich aus der Hegelschen Schule hervorgegangen, hat mit Weiße, Ulrici und I. H. Fichte die bekannte Theistenschule begründet, deren Organ, die »Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik«, er seit 1852 mit redigierte. In seinem ethischen Hauptwerk: »System der spekulativen Ethik« (Heilbr. 1841-42, 2 Bde.), hat Schleiermacher, in seinem metaphysischen: »Die spekulative Idee Gottes« (Stuttg. 1845), der spätere Schelling Einfluß auf W. ausgeübt; in seinen »Philosophischen Studien« (das. 1851) hat er es als die Aufgabe der Philosophie bezeichnet, zu der induktiven (Begriffe bildenden) Methode, über welche der Empirismus, u. der deduktiven (aus Begriffen ableitenden) Methode, über welche Hegel nicht hinausgekommen sei, eine produktive (Ideale verwirklichende) hinzuzufügen, welche den Realismus des erstern mit dem Idealismus des zweiten vereinige.

3) Max, Nationalökonom, Sohn von W. 1), geb. 27. Jan. 1822 zu Breslau, studierte die Rechte, widmete sich der journalistischen Laufbahn, gründete in Frankfurt a. M. das Wochenblatt »Arbeitgeber« als Organ für Nachfrage und Angebot von Arbeit, gehörte dem Vorstand des volkswirtschaftlichen Kongresses und des Nationalvereins an, war von 1865 bis 1873 Direktor des statistischen Büreaus der Schweiz und lebt jetzt als Mitarbeiter der »Neuen Freien Presse« u. Korrespondent des Londoner »Economist« in Wien. Er schrieb: »Grundzüge der Nationalökonomie« (Köln 1855-73, 4 Bde.; Bd. 1, 5. Aufl. 1881; Bd. 2, 4. Aufl. 1882; Bd. 3: »Handbuch des Bankwesens«, 3. Aufl. 1883); »Geschichte der Handelskrisen« (Frankf. a. M. 1858, 3. Aufl. 1883); »Die deutsche Nationaleinheit in ihrer volkswirtschaftlichen, geistigen und politischen Entwickelung« (das. 1859); »Deutsche Geschichte in der Periode der germanischen Staatenbildung« (das. 1862); »Allgemeine Beschreibung und Statistik der Schweiz (Zürich 1870 bis 1875, 7 Bücher); »Österreichs Wiedergeburt aus den Nachwehen der Krisis« (Wien 1876); »Kultur- und Wanderskizzen« (das. 1876); »Die Krisis der Landwirtschaft« (Berl. 1881); »Das Geld« (Leipz. 1884); »Ungarn und seine Bodenschätze« (Frankf. a. M. 1885); »Die Quellen des Reichtums« (Köln 1886); ferner »Ernste und frohe Tage aus meinen Erlebnissen und Streifzügen« (das. 1884). - Seine Gattin Bettina, geborne Greiner, geb. 7. Febr. 1849 zu München, machte sich durch die Novelle »Künstler und Fürstenkind« (Stuttg. 1876) und den Roman »Hohe Lose« (Leipz. 1883) u. a. bekannt. Sie ist der Wiener Korrespondent der Londoner »Daily News«.

Wirtschaft ist jede auf die Befriedigung von Bedürfnissen, demgemäß auf Erzeugung und Verwendung von Gütern gerichtete schaffende Thätigkeit des Menschen. Dieselbe gewinnt vorzüglich dadurch eine Bedeutung, daß der Mensch die Eigenschaften der Dinge der Außenwelt zu erkennen, diese Gegenstände auf ihre Brauchbarkeit für die Bedürfnisbefriedigung zu prüfen und zu vergleichen, daß er ferner auf Grund gesammelter Erfahrungen auf die Zukunft zu schließen und demgemäß bei allen wirtschaftlichen Handlungen an der Hand vernünftiger Erwägungen einen vorhandene Kräfte, Mittel und Bedürfnisse berücksichtigenden Wahlentscheid zu treffen vermag. Erfahrungsgemäß nehmen unsre Bedürfnisse mit steigender Kultur zu, während unsre wirtschaftlichen Kräfte ohne besondere Pflege derselben sich mindern. Hieraus erwächst für den Menschen die unabweisliche Forderung, nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, d. h. immer so zu wirtschaften, daß bei voller Befriedigung menschlich-sittlicher Bedürfnisse nicht allein unsre Bildung gesteigert, sondern auch unsre äußern ökonomischen Machtmittel (Kapital) vermehrt werden. Um dieses Ziel am vollständigsten zu erreichen, ist mit gegebenen Kräften möglichst viel zu leisten und ein bestimmter Zweck mit möglichst geringen Opfern zu erstreben. Hieraus ergeben sich bestimmte Regeln für die Wirtschaftlichkeit der Produktion und Konsumtion (s. d.). Es gibt so viel Wirtschaften, als Wirtschaftssubjekte ihre Bedürfnisse selbständig befriedigen. Dieselben weisen je nach Art, Zahl und rechtlicher Stellung der wirtschaftenden Persönlichkeiten, nach Art der Gegenstände, auf welche die wirtschaftliche Thätigkeit gerichtet ist, große Verschiedenheiten auf. Diese Thatsache in Verbindung mit der Möglichkeit, nach gewissen gemeinsamen Merkmalen Gruppierungen vornehmen zu können, gibt Veranlassung zur Unterscheidung von Wirtschaftsarten, deren Entstehung verursacht wurde durch Verschiedenheit der von Natur und Kultur gebotenen Kräfte und Mittel sowie durch die Ungleichheit der Neigungen zum Genuß, welche wieder teils gegebenen natürlichen Zuständen, teils der Kulturentwickelung zu verdanken ist. Dazu kommt, daß eine volle Befriedigung und steigende Gesittung nur bei geordnetem Zusammenleben der Menschen möglich ist. In dieser Thatsache liegt der unzerstörbare Keim aller Vergesellschaftung. In der Gesellschaft selbst können wir infolgedessen unterscheiden: die Einzel- (Individual-) W. und die W. von Gemeinschaften (Gemeinwirtschaft), welche in ihrer Gesamtheit als Einzelpersönlichkeiten erscheinen. Die W. von Gemeinschaften kann auf freiem Vertrag beruhen, der jederzeit wieder lösbar ist (sogen. freie Gemeinwirtschaften), oder die Gemeinschaft, bez. die ihren Zwecken dienende wirtschaftliche Thätigkeit beruht auf Zwang. Der Einzelne gehört der Gemeinschaft an auf Grund seiner Geburt, Niederlassung, Mangel einer positiven Willenserklärung, auf Grund von Besitzverhältnissen u. dgl. und hat demgemäß an der Lösung der Aufgaben der Gemeinschaft, insbesondere an deren Lasten, sich zu beteiligen. Solche Zwangsgemeinwirtschaften sind in erster Linie der Staat, dann die Gemeinde, ferner Gemeinschaften, welche bestimmte einzelne Zwecke verfolgen, wie Deichverbände, Meliorationsgenossenschaften, Zünfte, Zwangsinnungen etc. Bei diesen Zwangsgemeinschaften entspricht nicht immer die Leistung der Gegenleistung, welche meist einseitig durch eine zwingende Gewalt, nicht auf dem Weg freien Wettbewerbs bemessen und geregelt wird. Dann sind zu unterscheiden: die Privatwirtschaft, welche auf dem Boden des Privatrechts steht, und durch welche der Private (physische oder