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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wunde

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Wunde (Heilverfahren).

werden öfters die Schmerzen beim Empfang der W. gar nicht gespürt. Zur Beseitigung hochgradiger Wundschmerzen, z. B. bei chirurgischen Operationen, kann man Einatmungen von Chloroform, Einspritzungen von Morphium oder innerliche Narkotika, wie Chloralhydrat, anwenden. Äußerlich kann der Schmerz auch durch Aufpinseln von Kokainlösung oder durch Zerstäuben von Äther beseitigt werden. Die Blutung ist um so größer, je mehr und je größere Blutgefäße verletzt sind. Betreffs Stillung derselben s. Blutung. Das Klaffen der Wundränder beseitigt man bei kleinen Wunden dadurch, daß man Kollodium, englisches oder Heftpflaster über die W. zieht und die Ränder dadurch miteinander vereinigt. Bei größern Wunden vereinigt man die Ränder durch Nähte, wozu man als Fäden Seide, Metall- (Gold-, Silber-) Drähte, Roßhaar, Därme des Seidenwurms (fil de Florence) oder das resorbierbare Catgut nimmt.

Der normale Heilungsverlauf einer W. kann sich nun in zweierlei Weise gestalten: 1) Wenn man eine schnelle Heilung (reunio per primam intentionem) erstrebt, so reinigt man die W., vereinigt die Ränder und bedeckt sie mit einem Okklusivverband. Die Wundränder pflegen alsdann in den ersten Tagen ein wenig anzuschwellen, sehen gerötet aus und verursachen ein leicht brennendes Gefühl, gleichzeitig sondern sie ein wässerig-trübes Sekret ab. Die Zeichen der Schwellung, die übrigens gelegentlich völlig fehlen, schwinden bald, die Wundränder sehen schon nach wenig Tagen völlig verklebt aus, so daß man bald die etwa angelegten Nähte entfernen kann. Die W. vernarbt sich bald, und zwar sieht die Narbe anfänglich rot aus, was von der reichlichen Bildung feinster Blutgefäße in derselben herrührt, später veröden die letztern, und die Narbe erhält ein derbes, weißes Aussehen. 2) Wenn man allmähliche Heilung (reunio per secundam intentionem) anstrebt, so läßt man nach geschehener Blutstillung die klaffende W. nach zweckmäßiger Lagerung des Gliedes offen daliegen. In dem Grunde der W., die man zur Vermeidung äußerer Beschmutzung mit einem leichten Läppchen überdeckt, bilden sich kleine stecknadelkopfgroße Fleischwärzchen (Granulationen), welche aus der Tiefe hervorwachsen und allmählich die W. ausfüllen, während sich gleichzeitig von den Seiten her eine Überhäutung mit frisch gebildeter Epidermis über die W. ausbreitet. Das sich reichlich bildende Sekret läßt man in geeigneter Weise abfließen. Das Allgemeinbefinden bleibt ungestört. Diese Behandlungsart nennt man offene Wundbehandlung.

Im Gegensatz zu diesen normalen Arten der Wundheilung stehen diejenigen Fälle, in denen Entzündung und Eiterung der W. eintritt. Noch vor 1-2 Dezennien galten diese beiden letztern als normale Stadien im Wundverlauf, der sich demgemäß folgendermaßen darstellte. Gleich in den ersten Tagen tritt entzündliche Schwellung der Wundränder mit Absonderung eines eiterigen Sekrets ein. Während an einer Stelle die W. per primam heilt, bildet sich an einer andern eine eiternde Höhle, eiternde Unterminierungen mit Fistelbildungen etc. Gleichzeitig besteht Wundfieber, allgemeine Abgeschlagenheit, und der Patient wird stark angegriffen. Die Heilung erfolgte allmählich durch Granulationsbildung.

Durch die modernen Entdeckungen auf dem Gebiet der Bakteriologie in den letzten 20 Jahren sind wir in den Stand gesetzt, die Ursachen dieses ungünstigen Wundverlaufs zu erkennen und zu bekämpfen, wenn auch zugegeben werden muß, daß die Listersche Wundbehandlung in empirischer Weise den exakten bakteriologischen Forschungen vorangeeilt ist. Man weiß heutzutage, daß sich überall in der Luft wie an allen Gegenständen Keime der niedrigsten Organismen finden, die, wenn sie auf eine W. oder deren Sekret fallen, daselbst eine Zersetzung bewirken, welche zur Bildung gewisser deletärer Stoffe (sepsis, septische Stoffe) führt. Finden sich nun diese Stoffe in einer W. stagnierend, so daß sie von den Geweben aufgenommen werden können, so wirken sie zuerst örtlich entzündungserregend, es bildet sich eine Schwellung, Ödem, in höherm Grad Eiterinfiltration aus, die zur Zersetzung aller dieser Teile führen kann. Ferner gelangen eitererregende Bakterien durch den Lymph- und Blutstrom in den Körper, und es erfolgt eine Allgemeininfektion (Wundfieber, Faulfieber, septisches Fieber, Pyämie). Um nun einen Wundverlauf ohne diese ungünstige Komplikation (»aseptisch«) zu gestalten, wendet man folgende Mittel an: 1) Reinigung und Desinfektion der W. Dies geschieht durch Abwaschen und Abrasieren der Umgebung der W., nachdem zuvor der Operateur selbst und seine Gehilfen sich durch Waschen der Hände, Ausbürsten der Nägel gereinigt haben. Zum Desinfizieren gebraucht man Lösungen antiseptischer (fäulniswidriger) Mittel (s. d.), wie Karbolsäure, Sublimat, Salicylsäure, Borsäure etc., welche mittels eines Irrigators über die W. gespült werden. Nachdem hierdurch die W. aseptisch gemacht ist, wird 2) zur Ableitung des Wundsekrets ein ebenfalls aseptischer Drain (kleines, durchlöchertes Röhrchen aus Kautschuk) in den nach abwärts geneigten Wundwinkel gelegt und 3) zum Schutz der W. gegen von außen eindringende Fäulniskeime dieselbe durch einen Okklusivverband aus antiseptischen Verbandstoffen bedeckt und mit Bindentouren komprimiert. Die heute gebräuchlichen Verbandstoffe sind besonders entfettete Watte und Mullkompressen, welche durch Tränkung mit einem der genannten antiseptischen Mittel und nachfolgendes Trocknen haltbar antiseptisch gemacht sind. Ebenso werden mit Jodoform getränkte Stoffe viel angewendet. Der ursprüngliche Listersche Verband (das Prototyp des antiseptischen Verbandes) bestand darin, daß man auf die desinfizierte W. zunächst ein Stück Wachstaft legte, um ein Verkleben der W. mit den Verbandstoffen zu verhindern, hierauf kam eine achtfache Schicht von karbolisierter Gaze und über das Ganze karbolisierter Gummistoff. Die große Masse von Gaze sollte das Sekret aufsaugen und seine Zersetzung verhindern. Dies erreicht man heute in einfacherer und billigerer Weise dadurch, daß man nur direkt auf die W. antiseptische Watte oder Gaze auflegt und diese mit Säcken aus Gazezeug umgibt, die mit einem gut aufsaugenden Stoff locker angefüllt sind, z. B. mit Torf, Asche, Moos, Holzwolle, Sägespänen u. dgl., nachdem dieselben in trocknem Zustand mit einem Antiseptikum versetzt sind. Derartige Verbände können 8-10 Tage ohne Wechsel liegen bleiben und sind besonders für Feldzugszwecke äußerst praktisch, da man die Verwundeten mit einem derartigen Verband vom Schlachtfeld fort ohne Gefahr in mehrtägigen Reisen nach der Heimat evakuieren kann, ohne daß ein Verbandwechsel nötig wäre. Der Hauptpunkt in der ganzen modernen Wundbehandlung ist peinlichste Sauberkeit der W., des Operateurs und des ganzen Operationsmaterials.

Eine oberflächliche Hautwunde bedeckt man nach Vereinigung der Wundränder, ohne Drainage, mit trocknem antiseptischen Stoff (Jodoformgaze), es