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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zollverein

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Zollverein.

Beschränkungen andrer Länder sollten entsprechend erwidert werden. Auf dieser Grundlage schloß Preußen nach dem Prinzip der Reciprozität mit mehreren Staaten (Dänemark, Großbritannien, Mecklenburg-Schwerin, Skandinavien, Brasilien und den Vereinigten Staaten Nordamerikas) Handelsverträge ab. In Deutschland machte sich inzwischen das Streben nach einheitlicher Regelung des deutschen Zollwesens immer mächtiger geltend. Fr. List trat für dieselbe im Namen des Deutschen Handelsvereins in einer Eingabe an den Bundesrat ein, während Nebenius in einer Denkschrift praktische Vorschläge zur Organisierung des Zollvereins machte. Preußen verlieh diesem Streben zunächst dadurch praktischen Ausdruck, daß es mit benachbarten, von seinem Gebiet eingeschlossenen Ländern (zuerst 1819 mit Schwarzburg-Sondershausen) Verträge abschloß, nach welchen die eingeschlossenen Landesteile mit dem preußischen Zollgebiet vereinigt und jenen Ländern nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl Anteile am Reinertrag der Zölle gewährt wurden. Hierauf folgte auf Grund des Vertrags vom 14. Febr. 1828 eine Zolleinigung mit Hessen-Darmstadt, nach welcher die einzelnen Regierungen Erhebung und Verwaltung der Zölle in ihren Gebieten selbständig, jedoch in gleichmäßigen Formen, besorgen und die Zollerträge nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer verteilt werden sollten, Bestimmungen, die fortan beibehalten worden sind. Bayern und Württemberg bildeten 18. Jan. 1828 einen süddeutschen Zollverein, der 1829 mit dem preußisch-hessischen einen Handelsvertrag abschloß. Ein dritter Verband, zwischen Sachsen, Hannover, Kurhessen, den meisten thüringischen Staaten, Braunschweig, Oldenburg, Nassau und Frankfurt a. M., konstituierte sich 24. Sept. 1828 als Mitteldeutscher Handelsverein, löste sich aber mit dem Anschluß Kurhessens an den preußischen Z. 25. Aug. 1831 wieder auf. Nach längern Verhandlungen kam 24. März 1833 eine Vereinigung des bayrisch-württembergischen mit dem preußisch-hessischen Verband zu stande; 30. März 1833 erklärte auch Sachsen seinen Anschluß, und im Mai folgte der inzwischen zu einem engern Bund vereinigte Handelsverein der acht kleinern thüringischen Staaten. So trat 1. Jan. 1834 der große preußisch-deutsche Z. zunächst auf die Dauer von acht Jahren ins Leben. Er umfaßte 18 Staaten mit etwa 7719 QM. und 23 Mill. Einw. In den folgenden Jahren traten ihm bei 1835 Homburg, Baden u. Nassau, 1836 Frankfurt a. M., 1838 Waldeck, 1841 und 1842 Lippe, Braunschweig und Luxemburg, nachdem Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Lippe sich 1. Mai 1834 zu einem besondern Z., dem sogen. Steuerverein, vereinigt hatten. So war denn, abgesehen von den durch die Verschiedenheit der innern Verbrauchssteuern noch bestehenden Beschränkungen, im allgemeinen Verkehrsfreiheit im Innern mit einem gleichmäßigen Tarif nach außen hergestellt. Dagegen litt der Z. an dem Übelstand der Vielköpfigkeit. Die periodisch zusammentretende Generalzollkonferenz, bestehend aus Bevollmächtigten der einzelnen Zollvereinsglieder, konnte nur solche Beschlüsse fassen, die einhellige Zustimmung fanden. Schon nach Ablauf der ersten achtjährigen Vertragsdauer 1842 konnte eine Erneuerung der Verträge nur nach langwierigen Verhandlungen durchgesetzt werden.

Die von der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene Reichsverfassung bestimmte in § 33: »Das Deutsche Reich soll Ein Zoll- und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze, mit Aufhebung aller Binnengrenzzölle, und es bleibt der Reichsgewalt vorbehalten, auch nicht zum Reiche gehörige Länder und Landesteile mittels besonderer Verträge dem deutschen Zollgebiet anzuschließen«. Blieb auch die Reichsverfassung unausgeführt, so verfolgte doch Österreich den angeregten Gedanken weiter und stellte 1849 und 1850 wiederholt das von Preußen stets abgelehnte Verlangen, daß die Herstellung einer Zolleinigung zwischen Österreich und Deutschland als Bundesangelegenheit betrieben werden solle. Nachdem es 1850 seine sämtlichen Binnenzölle aufgehoben und einen neuen Zolltarif veröffentlicht hatte, welcher das österreichische Zollsystem im wesentlichen dem des Zollvereins gleichstellte, lud es die Regierungen des Zollvereins zur Beratung eines Zoll- und Handelsvertrags in Wien ein. Inzwischen aber hatte Preußen nach langen Verhandlungen mit dem Steuerverein 7. Sept. 1851 einen Vertrag über die Vereinigung des letztern mit dem Z. (sogen. Septembervertrag) abgeschlossen, welcher 1. Jan. 1854 ins Leben treten sollte, und in welchem Hannover besondere Vergütungen (in der amtlichen Sprache Präzipuum genannt) zugestanden wurden, da der Verbrauch mehrerer der am höchsten besteuerten Artikel im Steuerverein ein beträchtlich höherer als im Z. sei. Hiernach konnte Preußen auf die Vorschläge Österreichs in betreff hoher Einfuhrzölle auf Fabrikwaren in einem österreichisch-deutschen Z. nicht mehr eingehen, und es lehnte daher die Einladung zur Wiener Konferenz ab. Die übrigen zollverbündeten Regierungen, über Preußens Vorgehen verstimmt, berieten auf Ministerialkonferenzen in Bamberg und Darmstadt (Darmstädter Konferenz vom 6. April 1852) den Plan eines mitteleuropäischen Zollvereins mit Österreich, worauf Preußen den Zollvertrag für Ende 1853 kündigte. Der Austrag der Streitigkeiten wurde durch den Handels- und Zollvertrag zwischen Österreich und Preußen vom 19. Febr. 1853 herbeigeführt, welcher die gänzliche Zolleinigung zwischen Österreich und Deutschland vorbereiten sollte. Die wichtigsten Bestimmungen desselben sind: Aufhebung aller Handelsverbote im gegenseitigen Verkehr, ausgenommen für Tabak, Salz und Schießpulver; gegenseitige Zollfreiheit für rohe Naturerzeugnisse beider Gebiete und Zollermäßigung auf die gewerblichen Erzeugnisse derselben nach einem vereinbarten Tarif (Zwischenzolltarif); Ausgangsabgaben sind im wechselseitigen Verkehr nur auf die im Vertrag bezeichneten wenigen Artikel zulässig; der Zwischenverkehr wurde wesentlich erleichtert, Österreich sollte das preußische Zollverfahren einführen, die Grenzzollämter beider Staaten sollten zusammengelegt werden. Die Dauer des Vertrags wurde vorläufig bis 31. Dez. 1865 festgesetzt und der Beitritt aller Staaten vorbehalten, die 1. Jan. 1854 oder später zu dem Z. mit Preußen gehören oder mit Österreich zollverbündet sein würden. Auf dieser Grundlage wurden 4. April zu Berlin von den Bevollmächtigten sämtlicher Staaten des bisherigen Zoll- und Steuervereins die Verträge über die Erneuerung des Zollvereins auf 12 Jahre, die Aufnahme des Steuervereins in denselben u. den Beitritt zu dem preußisch-österreichischen Zoll- und Handelsverein unterzeichnet. Sonach umfaßte der Z. das gesamte nichtösterreichische Deutschland mit Ausnahme der drei Hansestädte, von Liechtenstein, Mecklenburg u. Schleswig-Holstein. Bremen schloß sich durch Vertrag vom 26. Jan. 1856 dem Z. als mittelbares Glied insofern an, als in der Stadt ein zollvereinsländisches Hauptzollamt und eine Niederlage für Zollgüter errichtet wurden.