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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ameisenpflanzen

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Ameisenpflanzen

bildete sich, als er die von äußerst zahlreichen Ameisengalerien durchzogenen Knollen von Hydnophytum und Myrmecodia entdeckte, sehr wunderbare Vorstellungen über die Entstehung dieser Gewächse aus Ameisennestern. Erst Belt erkannte an einer Acacia-Art in Nicaragua, deren Hohlstacheln von Ameisen bevölkert werden, das richtige Verhältnis zwischen Pflanzen und Ameisen und fand, daß erstere außer einer Wohnstelle den Tieren auch Nahrung in Gestalt von Zuckersaft in den Blattnektarien oder von festen Nährstoffen in eigenartigen Blattdrüsen darbieten. Vielfach leben tropische Ameisenarten in pflanzlichen Hohlräumen, wie unter andern den Blattbasen von Bromeliaceen, in der Borke und im Holz von Bäumen, in der schwammigen Luftwurzelmasse von Epiphyten oder in den Hohlräumen von Stammteilen, ohne daß hieraus auf eine wirkliche Anpassung der ungleichen Lebewesen geschlossen werden darf. Von einer solchen kann erst dann gesprochen werden, wenn an der betreffenden Pflanze sich Einrichtungen vorfinden, welche nur in ganz augenscheinlicher Beziehung zu den Lebensgewohnheiten der Ameisen entstanden sein können. Ein solcher durch Fr. Müller u. Echimper beglaubigter Fall liegt bei mehreren Imbauba-Arten (Cecropia) vor, deren hohle, quergefächerte Stämme fast regelmäßig zahlreiche Ameisen beherbergen; beim Anstoßen eines Stammes kriecht eine gewaltige Schar derselben aus kleinen, rundlichen Öffnungen der obern Stengelglieder hervor, während die Poren an den untern Stammstücken durch Vernarbung geschlossen erscheinen. Diese "Ameisenpforten" sind es nun, deren Entstehung u. Baueigentümlichkeiten jeden Zweifel über ihre Bedeutung als Anpassungen widerlegen. Sie haben zunächst eine ganz bestimmte Lage am obern Ende einer flachen, senkrechten, durch den Druck einer frühern Knospe erzeugten Rinne oberhalb des Ansatzpunktes eines darunter befindlichen Blattes. Die betreffende Stelle bildet am unverletzten jungen Stengelglied (Fig. 1) eine ovale punktförmige Vertiefung a, welche einer stark verdünnten Partie in der Wand des Hohlstengels entspricht; später bildet dieselbe einen etwas breitern Kanal, der in der Mitte von einer dünnen Scheidewand (Diaphragma) durchschnitten wird. Merkwürdigerweise entbehrt letztere alle sonst in der Stengelwandung reichlich vorhandenen festen Gewebselemente, wie Kollenchym, Fasern, Gefäßbündel u. Hartzellen, die ein späteres Durchbohren an genannter Stelle erschweren würden, u. besteht vielmehr nur aus weichem Parenchym mit einigen Milchröhren; auch bleibt durch Zurücktreten der Kambialthätigkeit die der Scheidewand entsprechende Gewebepartie sehr dünn, so daß somit diese Stelle, an welcher später die Ameisen ganz regelmäßig eine Öffnung (Fig. 1b) beißen, bereits von seiten der Pflanze im voraus für diesen Zweck eingerichtet erscheint. Dazu kommt, daß die nicht von Ameisen bewohnten Cecropia-Arten, wie eine von Schimper am Berg Corcovado bei Rio de Janeiro beobachtete Art, welche durch einen glatten Wachsüberzug gegen die Blattschneiderameisen geschützt erschien, das geschilderte Grübchen nicht besitzen und dem entsprechend am Orte desselben einen mit dem übrigen Stamm durchaus übereinstimmenden Bau aufweisen. Außer Herberge bietet die Imbauba, den sie bewohnenden Ameisen auch Beköstigung dar, indem die Unterseite der Blattstielkissen eigentümliche, winzige, birn- oder eiförmige, lose an Haaren festgeklebte Körperchen (Fig. 2) erzeugt, die sehr reich an Eiweißstoffen und fettem Öl sind und nach ihrer Entfernung wieder ergänzt werden, so daß eine und dieselbe Stelle den Ameisen täglich die gewünschte Beute liefert. Diese von Fr. Müller entdeckten Körperchen entstehen nach Art von Schleim oder Harz führenden Drüsen, wie sie bisweilen am Gipfel junger Blattzähne auftreten, und sind im vorliegenden Fall dem besondern Zweck der Darbietung von Ameisenlockspeise angepaßt. Da

^[Fig. 1. Stammende der Imbauba (Cerropia adenopus).]

^[Fig. 2. Müllersche Körperchen von dem Blattstielpolster der Imbauba. Vergrößert.]

^[Fig. 3. Zweigstück von Acacia sphaerocephala mit durchbohrten Hohlstacheln.]