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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Bulgarien (Geschichte seit 1883)

rumelien mit B. als eine vollzogene Thatsache anerkannte und sich als Fürst von Nord- und Südbulgarien »durch den Willen des allmächtigen Gottes und des Volkes« unterschrieb, auch 21. Sept. in Philippopel selbst die Regierung übernahm, erklärte das enttäuschte Rußland dies Verhalten ohne sein Vorwissen und seine Zustimmung für einen direkten Verrat an der Pflicht der Dankbarkeit und des Gehorsams, die B. und Fürst Alexander ihm schuldeten, und berief sämtliche russische Offiziere aus B. und Ostrumelien ab; Fürst Alexander, welcher Generalleutnant à la suite der russischen Armee war, wurde auf Befehl des Zaren aus den Listen derselben gestrichen, und alle Bemühungen der Bulgaren, welche sogar eine Gesandtschaft nach dem Sommeraufenthalt des Zaren bei Kopenhagen schickten, den Zorn desselben zu versöhnen, waren vergeblich. Was sie thun müßten, um die Gunst Rußlands wiederzugewinnen, wurde ihnen freilich auch nicht gesagt. Der Zar wollte noch keinen Krieg beginnen, um Rußlands Herrschaft auf der Balkanhalbinsel herzustellen, da er noch nicht hinreichend gerüstet war, auch einen Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich abwartete; bis Rußland aber im stande war, in B. thätig einzugreifen, wollte der Zar sich in keiner Weise binden. Die Pforte hatte anfangs die Absicht, Truppen in Ostrumelien einrücken zu lassen, um ihre Autorität herzustellen. Die Großmächte (außer Rußland) rieten ihr davon ab, und sie unterließ es. Den offenen Bruch des Berliner Vertrags von 1878 einfach anzuerkennen, konnten sich die Großmächte aber auch nicht entschließen; nur England, das von Rußland beschuldigt wurde, den Aufstand vom 18. Sept. 1885 angestiftet zu haben, riet, die Vereinigung Ostrumeliens mit B. anzuerkennen. Daher blieb eine im November 1885 in Konstantinopel abgehaltene Botschafterkonferenz resultatlos.

Die thatsächlich vollzogene Vereinigung Ostrumeliens mit B. erregte bei den beiden andern stets nach Vergrößerung begierigen Balkanstaaten, Griechenland und Serbien, Neid und Eifersucht; sie besorgten, daß der neue bulgarische Staat einst auch Makedonien an sich reißen könnte, nach welchem sie selbst schon längst ihre lüsternen Blicke geworfen hatten. Sie erklärten also das Gleichgewicht auf der Balkanhalbinsel für gestört und verlangten, wenn der neue Zustand in B. erhalten bleibe) auch für sich Vergrößerungen. Griechenland fühlte sich freilich zu einem kriegerischen Konflikt mit der Pforte, welchen es nicht hätte vermeiden können, nicht stark genug und mußte erst rüsten; inzwischen aber verstrich der günstige Augenblick, und schließlich mußte sich der griechische Minister Deligiannis im Mai 1886 den energischen Mahnungen der Mächte fügen und Frieden halten. Serbien aber, das Altserbien schon auf dem Berliner Kongreß vergeblich beansprucht hatte, forderte nun von B. dessen Abtretung, und da es sein rasch mobil gemachtes Heer für stark genug hielt, um die nicht vorbereiteten, durch den Austritt der russischen Offiziere, wie es meinte, desorganisierten bulgarischen Truppen zu vernichten, erklärte es, angebliche Grenzüberschreitungen zum Vorwand nehmend, 13. Nov. 1885 an B. den Krieg (serbisch-bulgarischer Krieg). In zwei Heersäulen überschritten die Serben 14. Nov. die bulgarische Grenze und rückten unter Befehl des Generals Horvatowitsch auf Widdin, unter General Jovanowitsch auf Sofia vor. Die unbedeutenden bulgarischen Streitkräfte, welche in aller Eile an die Grenze geworfen werden konnten, wurden von der serbischen Übermacht in den Gefechten von Zari-

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brod, Dragoman, Trn und Bresnik mit leichter Mühe zurückgeworfen, und schon 17. Nov. standen die Serben vor den Schanzen von Sliwnitza, welche Major Gutschew mit 8000 Mann besetzt hielt; die Hauptmasse des bulgarischen u. ostrumellschen Heers, in welchem die Stellen der ausgeschiedenen russischen Offiziere durch junge Hauptleute und Leutnants hatten besetzt werden müssen, befand sich noch in Ostrumelien, wohin Fürst Alexander sie zur Abwehr einer befürchteten türkischen Okkupation geführt hatte. Obwohl die Befestigungen von Sliwnitza vortrefflich waren und, etagenförmig sicherhebend, den Verteidigen ein mehrfaches Feuer ermöglichten, die Serben auch von der geringen Zahl der bulgarischen Truppen nichts, wußten, griff General Jovanowitsch die bulgarischen Stellung dennoch in der Fronte an, statt die entblößte linke Flanke zu umgehen, und 17., 18. und 19. Nov. entspannen sich heftige Kämpfe, in denen die Bulgaren die Schanzen behaupteten. Inzwischen hatte Fürst Alexander die bulgarischen und ostrumelischen Truppen, soweit es ging, mit der Eisenbahn, dann in Gewaltmärschen von Ostrumelien nach Sliwnitza geführt und die dortigen Streitkräfte so verstärkt, daß Angriffe, welche Jovanowitsch nun auf die linke Flanke der Bulgaren unternahm, abgeschlagen werden konnten. Am 22. Nov. brach sodann Oberstleutnant Nikolajew mit der ostrumelischen Miliz aus den Schanzen von Sliwnitza hervor und schritt zum Angriff auf die Serben bei Dragoman; dieselben wurden hier und bei Zaribrod zurückgeworfen, und 24. Nov. überschritt das gesamte bulgarische Heer unter dem Fürsten selbst siegreich die serbische Grenze und rückte auf Pirot vor, das nach heißen Kämpfen 27. und 28. Nov. um dic umliegenden Höhen erobert wurde. Die serbische Armee war nicht nur geschlagen, sondern wegen Mangels an Patronen auch fast wehrlos. Nur durch das Dazwischentreten Österreichs wurde Serbien gerettet. Der österreichische Gesandte in Belgrad, Graf Khevenhüller, erschien in Pirot und erklärte dem Fürsten Alexander, daß, wenn er weiter in Serbien vorrücke, die österreichischen Truppen in Serbien einmarschieren und den serbischen Truppen zu Hilfe kommen würden. Da der Fürst von keiner Seite auf Beistand rechnen konnte, vielmehr mit der Feindseligkeit Rußlands und der immer noch drohenden Intervention der Pforte rechnen mußte, überdies die militärische Ehre Bulgariens durch den Verlauf des Kriegs glänzend gewahrt war, so erteilte er den Befehl zur Einstellung der Feindseligkeiten, worauf unter Vermittelung der Mächte 21. Dez. ein Waffenstillstand abgeschlossen wurde; beide Teile räumten das feindliche Gebiet, die Bulgaren Priot, die Serben die Gegend von Widdin, das sie vergeblich angegriffen hatten. Die Friedensunterhandlungen wurden 4. Febr. 1886 in Bukarest eröffnet, führten aber erst 2. März zum Abschluß, da Serbien alle möglichen Schwierigkeiten erhob, obwohl die Mächte die nicht unbillige Forderung Bulgariens, daß Serbien ihm eine Kriegsentschädigung zahle, ablehnten, und durch Erlangung einiger Vorteile seine Niederlage zu bemänteln suchte. Im wesentlichen stellte der Friede von Bukarest den Stand der Dinge vor dem Krieg her.

Mit der Pforte schloß der Fürst 2. Febr. 1886 einen Vertrag, wonach das Generalgouvernement von Ostrumelien dem Fürsten Alexander durch einen kaiserlichen Ferman, der nach Ablauf der gesetzlichen Periode von fünf Jahren erneuert werden könnte, übertragen, ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen der Türkei und B. geschlossen und einige Grenzdistrikte an die Türkei abgetreten wurden; eine türkisch-bul-