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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Bulgarien (Geschichte 1885, 1866)

garische Kommission sollte demgemäß das organische Statut von Ostrumelien revidieren. Den Inhalt dieses Vertrags teilte die Pforte den Großmächten mit, und deren Bevollmächtigte traten in Konstantinopel zu einer zweiten Konferenz zusammen, um das Abkommen zu beraten und zu genehmigen. Rußland erhob aus Feindschaft gegen den Fürsten Alexander, der vergeblich in einem Tagesbefehl an die Truppen im Dezember 1885 durch rühmende Anerkennung der Verdienste der russischen Offiziere um die bulgarische Armee die Eifersucht und den Neid des Zaren und der russischen Generale wegen seiner glänzenden Erfolge zu beschwichtigen versucht hatte, dagegen Einspruch, daß das Generalgouvernement von Ostrumelien dem Fürsten Alexander persönlich übertragen werde, und verlangte, daß der jeweilige Fürst von B. Generalgouverneur werde und seine Wiederernennung nach fünf Jahren durch die Mächte zu geschehen habe. Die Großmächte stimmten 5. April 1886 diesem Vorschlag zu und auch die Pforte gab nach. Fürst Alexander erhob gegen denselben Einspruch und erklärte sich, falls er angenommen werde, der übrigen im Vertrag vom 2. Febr. enthaltenen Verpflichtungen für entbunden. Er fügte sich aber der Entscheidung der Konferenz als einem europäischen Machtspruch und nahm 25. April aus den Händen des türkischen Abgesandten Schakir Pascha den Ferman entgegen, der ihn zum Generalgouverneur von Ostrumelien ernannte. Die Vereinigung der türkischen Provinz Ostrumelien mit B. hätte staatsrechtlich eigentlich nur eine Personalunion sein können, aber thatsächlich wurden beide Länder zu einem Staat verschmolzen, indem die Truppen zu einem Heer vereinigt, ein gemeinschaftliches Budget aufgestellt, die Verwaltung einheitlich organisiert und eine gemeinschaftliche Nationalversammlung (Sobranie) gewählt wurde. In der Thronrede, mit welcher der Fürst 14. Juni diese Nationalversammlung in Sofia eröffnete, sagte er denn auch: »Mit Freuden erkläre ich heute vor Ihnen, daß die Einigung vollzogen ist, da eine allgemeine bulgarische das gemeinsame Vaterland betreffen, prüfen und darüber entscheiden soll«. Die Verhandlungen der Sobranie verliefen ganz ungestört; der Ministerpräsident Karawelow und der Präsident der Sobranie, Stambulow, handelten im Einverständnis, und der Regierung wurden die gewünschten Geldmittel unverkürzt gewährt.

In Rußland sah man mit mißmutigem Arger diese Erfolge des jungen Fürsten, der ohne den Beistand Rußlands, ja gegen den Willen desselben die Serben besiegt und B. geeinigt hatte und sich als ebenso tüchtigen Feldherrn wie gewandten Staatsmann bewährte. Die panslawistische Partei und auch die russische Regierung beschlossen daher, den Fürsten zu stürzen, in der Hoffnung, daß nach dessen Beseitigung B. sich wieder ganz dem Zaren unterwerfen werde. Es gelang, unter den Politikern und Offizieren eine Reihe von Leuten zu gewinnen, die, in ihrem Ehrgeiz gekränkt oder in ihren Erwartungen einträglicher Amter getäuscht, zu einer Verschwörung bereit waren. Schon seit dem Frühjahr 1886 wühlte Zankow, der noch im Februar der Vertreter des Fürsten bei der Pforte gewesen war, gegen die Regierung und verband sich endlich mit dem Metropoliten Klemens und einer Anzahl von Offizieren, die noch im serbischen Krieg sich durch Tapferkeit und Geschick ausgezeichnet hatten, zum Sturz des Fürsten. In der Nacht des 21. Aug. zwischen 1 und 2 Uhr wurde der Konak des Fürsten von aufrührerischen Offizieren, Kadet-

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ten und Soldaten umstellt, welche in denselben eindrangen und den Fürsten durch Drohungen zwangen, eine Erklärung zu unterschreiben, daß er, überzeugt, daß sein Verbleiben auf dem Thron der Verderb Bulgariens sein würde, abdanke. Bei Tagesanbruch wurde er nebst seinem Bruder Franz Joseph von Battenberg von mehreren Offizieren und bewaffneten Soldaten nach Lompalanka gebracht und auf einem Donaudampfer eingeschifft, der ihn nach Neni führte. Hier wurde der Fürst 25. Aug. auf Befehl der russischen Behörden freigelassen und begab sich mit der Eisenbahn nach Lemberg, wo ihn die Nachricht ereilte, daß in B. eine Gegenrevolution stattgefunden habe. Die Verschwornen hatten 21. Aug. eine provisorische Regierung gebildet, an deren Spitze Klement, Zankow und Grüjew standen, und welche sich unter den Schutz Rußlands stellte. Aber der größte Teil des bulgarischen Volkes und Heers war über die verräterische Gewaltthat vom 21. Aug. entrüstet und verweigerte der Regierung den Gehorsam. In Tirnowa stellte sich Stambulow, in Philippopel Oberst Mutkurow an die Spitze der Erhebung; der letztere zog mit den ostrumelischen Truppen gegen Sofia und verjagte 24. Aug. die provisorische Regierung. Stambulow übernahm selbst die oberste Leitung, übertrug Mutkurow den Befehl über die Truppen und ernannte Nadoslawow zum Ministerpräsidenten. Die neue Regierung rief den Fürsten 25. Aug. zurück, und dieser folgte am 28. von Lemberg aus dem Nuf. Er betrat den bulgarischen Boden 29. Aug. wieder in Rustschuk, wo er von der provisorischen Regierung und dem Voll mit großem Jubel empfangen wurde. Auch der russische Konsul war beim Empfang in Rustschuk zugegen, und durch diesen ließ sich Alexander zu dem Glauben verleiten, daß der Zar einer Versöhnung nicht abgeneigt sei und den Fürsten Dolgorukij nach B.senden wolle, um eine Verständigung herbeizuführen. Er richtete daher 30. Aug. an den Zaren ein unterwürfiges Telegramm, welches mit den Worten schloß: »Da Rußland mir die Krone gegeben, so bin ich bereit, dieselbe in die Hände seines Souveräns zurückzugeben«. Der unversöhnliche Zar antwortete telegraphisch mit unverhüllter Grobheit: »Ich kann Ihre Rückkehr nach B. nicht gutheißen, da ich verhängnisvolle Konsequenzen für das Land voraussehe, das schon so sehr geprüft ist. Ich werde mich jeder Einmischung in den traurigen Zustand der Dinge enthalten, welchem B. wieder überliefert ist, solange Sie dort bleiben werden. Ew. Hoheit werden zu würdigen wissen, was Sie zu thun haben.« Diese Depesche erreichte den Fürsten auf seiner Fahrt nach Sofia, wo er 3. Sept. unter glänzenden Ovationen von der Bevölkerung und den Truppen begrüßt wurde. Doch gab er schon 4. Sept. einer Versammlung der Offiziere seinen Entschluß kund, angesichts der feindseligen Haltung Rußlands abzudanken. Alle Bemühungen seiner Anhänger, ihn zum Bleiben zu bewegen, waren fruchtlos. Nachdem er eine aus Stambulow, Mutkurow und Karawelow bestehende Regentschaft eingesetzt hatte, erließ er 7. Sept. eine Proklamation, in welcher er, »von der schmerzlichen Wahrheit überzeugt, daß seine Abreise aus B. die Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen B. und Rußland erleichtern werde«, seinen Verzicht auf den bulgarischen Thron erklärte, und reiste über Lompalanka nach seiner Heimat ab.

Die Regentschaft ernannte Radoslawow zum Ministerpräsidenten und berief zum 13. Sept. die kleine Sobranie, welche in ihrer Antwort auf die Eröffnungsrede der Regentschaft 16. Sept. den Streich vom