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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Deutschland (Geschichte 1887).

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Deutschland'

Anmerkung: Fortsetzung von [Geschichte.]

sache der Neuwahlen, der Ablehnung des Septennats, abzulenken und vielmehr die Absicht der Regierung, das Volk mit Monopolen zu belasten, als Ursache der Auflösung hinzustellen; übrigens hatte E. Richter 13. Jan. die Hoffnung verraten, mit der sich seine Partei schmeichelte: nämlich die Aussicht auf die baldige Thronbesteigung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, welchen sie als ihren Gönner und Gesinnungsgenossen ansah, so das; »die Zukunft und eine nicht allzu entfernte Zukunft ihr gehöre«. Das Zentrum geriet durch das Eingreifen des Papstes in eine eigentümliche Lage. Leo XIII. hatte schon 3. Jan. 1887 durch den Staatssekretär Jacobini das Zentrum auffordern lassen, für das Septennat einzutreten, weil es geeignet sei, den Frieden zu sichern, und die Regierung durch die Zustimmung des Zentrums den Katholiken wie auch dem heiligen Stuhl immer geneigter gemacht werden würde; die Führer des Zentrums sollten daher allen ihren Einfluß bei ihren Kollegen für die Annahme des Septennats einlegen und denselben versichern, »daß sie durch Unterstützung des Septennats dem heiligen Vater eine große Freude bereiten, und daß das für die Sache der Katholiken sehr vorteilhaft sein würde«. Windthorst und Franckenstein hatten aber das Schreiben Jacobinis ohne weiteres unterschlagen und nur wenigen Zentrumsmitgliedern mitgeteilt. Auch ein zweites Schreiben Jacobinis vom 21. Jan., welches 4. Febr. veröffentlicht und allen deutschen Bischöfen mitgeteilt wurde, deutete Windthorst auf dem ultramontanen Parteitag in Köln 6. Febr. in sophistischer Weise so um, als ob der Papst nur die Verdienste der Zentrumspartei anerkannt und seine Aktionsfreiheit in keiner Weise beschränkt habe. Die Kaplanspresse betrachtete das Eingreifen des Papstes für das Septennat als nicht vorhanden und gab die Wahlparole »Gegen das Septennat!« aus, und nur ein Bischof, Klein von Limburg, wagte den Wunsch des Papstes seiner Geistlichkeit zur Nachachtung zu empfehlen. Wenn auch die Führer des Zentrums und die Deutschfreisinnigen die auswärtige Lage für gänzlich ungefährdet und die Macht des Reichs für völlig ausreichend erklärten, so konnten doch das herausfordernde Auftreten Boulangers seit 14. Jan. und die Wühlereien der Franzosen in Elsaß-Lothringen über die Notwendigkeit, die Wehrkraft dauernd zu stärken, nicht täuschen, und die Nationalgesinnten boten 21. Febr. alles auf, um die Opposition zu schlagen. Und es gelang. Die Deutschfreisinnigen erlitten eine furchtbare Niederlage: von 67 Wahlkreisen behaupteten sie bei der ersten Wahl nur 11 und von diesen sogar 9 nur mit Unterstützung des Zentrums; bei den Stichwahlen 2. März glückte es ihnen mit Hilfe der Ultramontanen und Sozialdemokraten, noch 21 Sitze zu erobern, 447,702 Stimmen wurden 1887 weniger für sie abgegeben als 1884. Die kleine Volkspartei (5 Mitglieder) verschwand gänzlich, die Sozialdemokraten sanken von 24 auf 11 Mitglieder. Am glänzendsten siegte das Kartell im Königreich Sachsen, wo nur ein nicht Nationaler gewählt wurde, in Baden, Württemberg, Rheinhessen und der Pfalz. In Elsaß-Lothringen (s. d., Bd. 17) wurden dagegen nur Protestler gewählt. Die Deutschkonservativen waren 80 Mitglieder stark, die Reichspartei 41, die Nationalliberalen 101; letztere hatten insgesamt 1,658,158 Stimmen erhalten, mehr als das Zentrum und 661,125 mehr als 1884. Der Besitzstand des Zentrums wurde nur wenig verringert. Die nationalen Kartellparteien aber hatten nun eine Mehrheit von 44 Stimmen. Der Kaiser sprach seine hohe Freude über dies Ergebnis aus.

Der neue Reichstag wurde 3. März 1887 vom Minister v. Bötticher eröffnet. Er wählte v. Wedell-Piesdorf zum Präsidenten und den nationalliberalen Buhl zum ersten Vizepräsidenten; Franckenstein wurde nicht wieder gewählt, und da darauf der zum zweiten Vizepräsidenten gewählte Ultramontane v. Hertling die Wahl ablehnte, trat v. Unruhe-Bomst von der Reichspartei an seine Stelle. Schon 7. März begann die Beratung der von neuem eingebrachten Militärvorlage, und 9. März fand die entscheidende Abstimmung statt. Das Zentrum trug dem nationalen Gedanken und dem Wunsch des Papstes insoweit Rechnung, daß es sich mit Ausnahme von Reichensperger und 6 Mitgliedern, welche mit Ja stimmten, der Abstimmung enthielt. Von den Deutschfreisinnigen waren nur 23 anwesend, welche gegen das Septennat stimmten. Die Regierungsvorlage wurde schließlich mit 223 gegen 48 Stimmen angenommen und 12. März als Gesetz verkündet. Seine Ausführung, vollständig vorbereitet, folgte auf dem Fuß und war bis 1. April 1887 vollendet; die Garnisonen an der West- und Ostgrenze wurden ansehnlich verstärkt. Darauf wurde auch das Reichsetatgesetz für 1887/88, welches vor der Auflösung 14. Jan. nicht erledigt worden war, und welches der Schatzsekretär Jacobi von neuem einbrachte, ebenso rasch durchberaten und hierbei endlich die Errichtung einer Unteroffizierschule in Neubreisach, welche die Regierung seit 1881 immer vergeblich beantragt hatte, genehmigt. Da aus strategischen Rücksichten eine Vervollständigung des deutschen Eisenbahnnetzes notwendig war, auch die Festungen verstärkt und die Bewaffnung verbessert und ergänzt werden mußten, so wurde im April dem Reichstag noch ein Nachtragsetat vorgelegt, dessen Höhe, 172 Mill., welche durch eine Anleihe aufgebracht werden sollten, allerdings anfangs überraschte, aber vom Kriegsminister 25. April gerechtfertigt und 20. Mai bewilligt wurde. Die Ausgaben für das Reichsheer für das Jahr 1887/88 stiegen damit auf fast 580 Mill., 204 Mill. mehr als bisher, und um die erhöhten Ausgaben bestreiten zu können, beantragte die Reichsregierung nochmals die Einführung einer Verbrauchsabgabe von Branntwein für ganz D., von welcher sie sich eine bedeutende Vermehrung der Reichseinnahmen versprach, und eine neue Zuckersteuervorlage, welche den Zucker ebenfalls mit einer Verbrauchsabgabe belegte und die Ausfuhrvergütung regelte; beide Vorlagen wurden 17. und 18. Juni (auch von der Mehrheit des Zentrums) angenommen und hierauf die Session des Reichstags geschlossen, wobei Minister v. Bötticher dem Reichstag auf Befehl des Kaisers, der 22. März unter glänzenden Festlichkeiten seinen 90. Geburtstag gefeiert hatte, dessen Dank und Anerkennung dafür ausdrückte, daß er durch seine Beschlüsse der vaterländischen Wehrkraft und den Finanzen des Reichs diejenige Stärke und Festigkeit gegeben habe, welche die Vorbedingungen für den Frieden und die Entwickelung seiner Werke bildeten. Auch den Erwartungen des Volkes hatte der Reichstag durch seine Thätigkeit entsprochen und zur Beruhigung der Kriegsbefürchtungen wesentlich beigetragen.

Die äußere Stellung des Reichs wurde nicht wenig dadurch befestigt, daß 13. März 1887 das Bündnis Deutschlands und Österreichs mit Italien, welches schon 1883 abgeschlossen worden war, erneuert und fester geknüpft wurde, so daß fortan der Dreibund der mitteleuropäischen Mächte, D., Österreich und Italien, ein gewaltiges Bollwerk des Friedens gegen Osten und Westen bildete. Kalnoky hatte im Sep-

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 238.