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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Deutschland (Geschichte 1887, 1888).

Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Deutschland'

Anmerkung: Fortsetzung von [Geschichte.]

tember und der neue italienische Ministerpräsident Crispi im Oktober eine Konferenz mit Bismarck in Friedrichsruh, in welcher eine Verständigung über die schwebenden politischen Fragen erzielt wurde. Trotz der Stärkung ihrer Kraft durch diesen Dreibund trat die deutsche Politik überall, auch Frankreich und Rußland gegenüber, friedfertig auf und bemühte sich, alle Konflikte versöhnlich beizulegen, wenn auch der andre Teil durch Herausforderungen reizte und die deutsche Geduld auf harte Proben stellte. Der französische Polizeikommissar Schnäbele (s. d., Bd. 17), welcher eingestandenermaßen wiederholt Elsaß-Lothringer durch Bestechungen zum Landesverrat verleitet hatte und, als er auf Einladung der deutschen Polizei 20. April 1887 deutsches Gebiet betrat, auf Requisition des Reichsgerichts verhaftet wurde, ward 30. April freigelassen, obwohl die Pariser Presse sich in den pöbelhaftesten Schmähungen erging uud das französische Ministerium die Stellung eines Ultimatums an D. nur mit sieben gegen fünf Stimmen ablehnte, obwohl ferner die Prozesse wegen Landesverrats gegen Elsaß-Lothringer, welche von Frankreich bestochen waren, bei dem Reichsgericht zu Leipzig immer zahlreicher wurden. Als der Zar Alexander III., nachdem er den Besuch des Kaisers in Stettin während der Manöver unterlassen hatte, auf der Rückreise von Kopenhagen 18. Nov. 1887 den Besuch in Berlin abstattete, erbat sich der Reichskanzler eine Audienz bei demselben, um ihn über gewisse Ränke und Umtriebe mit gefälschten Papieren aufzuklären; danach sollte der Reichskanzler hinter dem Rücken Rußlands und im Widerspruch mit seinen offiziellen Depeschen in der bulgarischen Frage eine russenfeindliche Politik getrieben haben. Bismarck vermochte die Unechtheit der Schriftstücke, welche dem Zaren in Kopenhagen zugesteckt worden waren, und welche nachher (im Dezember) veröffentlicht wurden, nachzuweisen, und der Zar erklärte sich beruhigt und versicherte, daß er die Erhaltung des Friedens wünsche und weder einen Angriff auf D. und Österreich noch die Teilnahme an einer gegen sie gerichteten Koalition beabsichtige. Indes die Haltung seiner Regierung und die Äußerungen der Presse bewiesen, daß in Rußland eine höchst gereizte Stimmung gegen D. bestand, welche leicht zu einem Krieg führen konnte. Überdies wurden immer mehr Truppen und Kriegsvorräte an der deutschen und österreichischen Grenze Rußlands aufgehäuft.

Die Thronrede, mit welcher v. Bötticher 24. Nov. 1887 die neue Session des Reichstags eröffnete, schloß daher auch mit den etwas düstern Worten: »Die auswärtige Politik des Kaisers ist mit Erfolg bemüht, den Frieden Europas, dessen Erhaltung ihre Aufgabe ist, durch Pflege der freundschaftlichen Beziehungen zu allen Mächten, durch Verträge und durch Bündnisse zu befestigen, welche den Zweck haben, den Kriegsgefahren vorzubeugen und ungerechten Angriffen gemeinsam entgegenzutreten. Das Deutsche Reich hat keine aggressiven Tendenzen und keine Bedürfnisse, die durch siegreiche Kriege befriedigt werden könnten. Die Verfassung sowohl als die Heereseinrichtungen des Reichs sind nicht darauf berechnet, den Frieden unsrer Nachbarn durch willkürliche Angriffe zu stören. Aber in der Abwehr solcher und in der Verteidigung unsrer Unabhängigkeit sind wir stark und wollen wir mit Gottes Hilfe so stark werden, daß wir jeder Gefahr ruhig entgegensehen können«. Diese Verstärkung der Wehrkraft sollte das Landwehr- und Landsturmgesetz bewirken, dessen Entwurf dem Reichstag vorgelegt wurde; dasselbe stellte ↔ das 1868 aufgehobene zweite Aufgebot der Landwehr wieder her, das alle gedienten Mannschaften (Landwehrleute ersten Aufgebots und Ersatzreservisten) vom 32. - 39. Jahr umfaßte, während die nicht ausgebildeten Ersatzreservisten dem ersten Aufgebot des Landsturms zugewiesen wurden, das zweite Aufgebot des Landsturms alle Mannschaften vom 39. - 45. Jahr enthielt. Die Kriegsstärke des deutschen Heers wurde durch die neue Formation um ½ Mill. Streiter vermehrt. Die Stimmung im Reichstag hatte sich so geändert, daß außer den Sozialdemokraten sich keine Partei grundsätzlich gegen die neue Vorlage erklärte, welche an einen Ausschuß zu geheimer Beratung überwiesen wurde. Da während des Winters die Kriegsrüstungen Rußlands in seinen Westprovinzen immer bedrohlicher wurden, so sahen sich D. und Österreich veranlaßt, 3. Febr. 1888 das zwischen ihnen 7. Okt. 1879 abgeschlossene Bündnis zu veröffentlichen, um zu beweisen, daß dasselbe nur ein Verteidigungsbündnis sei für den Fall, daß Rußland eins der beiden Reiche angreife oder eine andre Macht (Frankreich), welche angreife, sei es in Form einer aktiven. Kooperation, sei es durch militärische Maßnahmen, welche den Angegriffenen bedrohen, unterstütze, daß aber in diesen Fällen die Verbündeten einander mit ihrer ganzen Kriegsmacht beizustehen und den Frieden nur gemeinsam und übereinstimmend zu schließen hätten. Das Bündnis mit Italien wurde nicht veröffentlicht, lautete aber wohl ähnlich, nur daß hier Frankrerch als die Macht, von der der Angriff ausgehen könne, angeführt war.

Unter dem Eindruck dieser Veröffentlichung, welche großes Aufsehen hervorrief, begann 6. Febr. 1888 im Reichstag die zweite Beratung des Wehrgesetzes; mit ihr wurde verbunden die erste Lesung eines neuen Gesetzentwurfs über Aufnahme einer Anleihe von 278 Mill., durch welche für die verstärkte Kriegsmacht der Mehrbedarf an Kriegsmaterial sofort beschafft werden sollte. Die Beratung eröffnete Bismarck mit einer großen Rede, in welcher er einen höchst interessanten Überblick über die auswärtige Politik Preußens und Deutschlands in den letzten 40 Jahren gab, zwar augenblicklich jede Kriegsbefürchtung für ungegründet erklärte, aber hervorhob, daß bei der geographischen Lage Deutschlands, das drei Angriffsfronten hatte und zwar gegen die kriegerischte und unruhigste Nation, die Franzosen, und gegen Rußland, wo früher nicht vorhandene kriegerische Neigungen groß geworden seien, das Reich militärisch so stark sein müsse, daß es auch jeder Koalition mit Ruhe entgegensehen könne; auch die ältere Landwehr und der Landsturm müßten die besten Waffen haben, dann werde D. im Osten und Westen, an jeder Grenze eine Million guter Soldaten haben und noch eine Million im Hinterland, und dieses gewaltige Heer werde Offiziere und Unteroffiziere besitzen, wie sie weder Frankreich noch Rußland an Tüchtigkeit und Menge aufbringen könne. »Wir wollen nach wie vor den Frieden mit unsern Nachbarn. Frankreich gewährt uns bei diesen Bemühungen keine Sicherheit auf Erfolg, wenngleich ich nicht sagen will, daß es nichts hilft; wir werden nie Händel suchen, wir werden Frankreich nie angreifen. Wir haben in den vielen kleinen Vorfällen, welche die Neigung unsrer Nachbarn, zu spionieren und zu bestechen, verursacht hat, immer eine sehr gefällige und freundliche Beilegung herbeigeführt, weil ich es für ruchlos halten würde, um solcher Lappalien willen einen großen nationalen Krieg zu entzünden. Da heißt es: der Vernünftigere gibt nach. Ich nenne also vorzugsweise Rußland, und da habe ich dasselbe

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 239.