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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: *Eisenbahnhygiēne; *Eisenbahn-Personengeldtarife

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Eisenbahnhygiene - Eisenbahn-Personengeldtarife

ist, den direkten Verkehr zwischen einer Hauptstadt von nahezu 5 Mill. Einw. mit einer großen Anzahl volkreicher Industriestädte (Glasgow mit 800,000, Liverpool und Manchester mit 600,000, Birmingham mit 450,000 Einw. etc.) zu vermitteln. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit und das Bedürfnis, sehr viele schnelle und sehr kurze, leichte Züge mit besondern Endzielen und sehr wenig Zwischenstationen, sogar zum Teil mit gänzlichem Ausschluß der Mitnahme von Fahrgästen nach Zwischenstationen, einzurichten. Der von den Schnellzügen vollkommen ausgeschlossene Lokalverkehr ist dagegen sehr langsam. In Deutschland ist infolge der zerstreuten Lage und geringern Größe der Städte der Verkehr nach Endstationen nicht so hervorragend, daß eine vollständige Trennung des durchgehenden vom Zwischenverkehr gerechtfertigt erschiene. Hier sind deshalb die Schnellzüge bedeutend länger und schwerer und die Aufenthalte durch Zwischenstationen viel zahlreicher und zeitraubender, mithin notwendigerweise die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit geringer. Ferner haben alle diese Züge wegen der Insellage Englands keine Anschlüsse zu erreichen und abzuwarten und können deshalb mit der überhaupt möglichen Geschwindigkeit fahrplanmäßig fahren, während bei uns wegen der vielen Anschlüsse die Fahrpläne so eingerichtet sein müssen, daß unvermeidliche Verspätungen durch Vergrößerung der fahrplanmäßigen Geschwindigkeit womöglich wieder eingeholt werden können. Endlich kommen auch die in England im allgemeinen günstigern Steigungs- und Krümmungsverhältnisse bei der Fahrgeschwindigkeit in Betracht. Die Möglichkeit einer Steigerung der Fahrgeschwindigkeit ist auch in Deutschland vorhanden, so daß eine Strecke wie Berlin-Köln von nahezu 600 km Länge ohne weiteres in sieben Stunden gefahren werden könnte, wenn sich die wirtschaftliche Notwendigkeit ergäbe wie in England, zugunsten der Geschwindigkeit die Last und die Aufenthalte zu vermindern. Aber auch bei den jetzigen schweren Zügen und den häufigen Zwischenstationen ist wahrscheinlich eine schnellere Fahrgeschwindigkeit zu erreichen, wenn die Leistungsfähigkeit der Lokomotiven durch allgemeine Einführung des Compound- oder Verbundsystems erhöht wird. Begünstigt würde die Geschwindigkeitserhöhung auch durch einen schwereren Oberbau, besonders schwerere Schienen, wie sie seit kurzem nach Sandbergs Angaben unter dem Namen Goliath-Schienen in Belgien Verwendung und in allen Fachkreisen höchste Beachtung gefunden haben.

*Eisenbahnhygiēne. Die Unterbringung der beim Bau der Eisenbahnen zahlreich zusammenströmenden, nicht ortsangehörigen Arbeiter erfordert sorgsame Berücksichtigung hygienischer Forderungen und erfolgt am besten in Baracken. Die in Eisenbahnwerkstätten beschäftigten Arbeiter sind keinen andern Gefahren ausgesetzt als Arbeiter der gleichen Kategorie überhaupt. Um so eigenartiger liegen die Verhältnisse bei den Eisenbahnbeamten (vgl. Eisenbahnberufskrankheiten, Bd. 5). Abgesehen von der anstrengenden Beschaffenheit des Eisenbahndienstes findet vielfach eine Schädigung der Beamten durch zu lange Ausdehnung der Dienstzeit statt, unter welcher auch die Sicherheit des Betriebs leidet. Abhilfe ist in neuerer Zeit durch die Verstaatlichung vieler Eisenbahnen geschaffen. In England sichert die Railway servants act von 1877 die Eisenbahnbeamten vor ungebührlicher Ausnutzung. Dem Interesse des reisenden Publikums (und des Fahrpersonals) dienen in erster Reihe die zahlreichen Sicherheitsmaßregeln, welche in Bezug auf den Bahnkörper, das rollende Material und den Betrieb getroffen sind, und deren Wirksamkeit durch beständige Überwachung möglichst zu sichern gesucht wird. In Bezug auf den Signaldienst ist das häufige Vorkommen von Farbenblindheit zu beachten. Im Sommer ist die überfüllung der 3. und 4. Wagenklasse zu vermeiden, weil bei ungenügender Lüftung Ohnmachten und Hitzschlag vorkommen können. Im Winter sind alle Wagen zu heizen, leider aber ist ein ausreichendes Heizsystem bis jetzt nicht bekannt. Bei Heizung mit Koks und Kohlen ist vor allem darauf zu sehen, daß keine Verbrennungsgase in das Koupee gelangen. Den Vorzug verdient im allgemeinen die Dampfheizung, wenn sie vom Koupee aus regulierbar ist. Bei Mantelöfen kann eine Luftzuführung angebracht werden, doch ist die Luft nicht unten, unmittelbar über dem Bahndamm, aufzusaugen, sondern über den Wagen an staubfreier Stelle. Überheizungen sind besonders nachteilig, zumal bei der Anbringung der Heizvorrichtung unter den Sitzen. Für Ventilation ist in der Regel nicht besonders zu sorgen, da auch bei geschlossenen Thüren und Fenstern hinreichender Luftwechsel stattfindet. Nur in Rauchkoupees sind Vorrichtungen zur Abführung des Rauchs erforderlich. Dringend zu verlangen sind Einrichtungen, welche keinen Reisenden nötigen, unfreiwillig Tabaksrauch einzuatmen. Die Beleuchtung muß vor allen Dingen eine ruhige, gleichmäßige sein, die Flammen dürfen nicht flackern. Endlich erscheinen ausreichende Klosetteinrichtungen als unabweisbare Forderung. Neuere hygienische Bestrebungen beziehen sich auf häufige und regelmäßige Reinigung und Desinfektion der Personenwagen. Über die Zulassung von Kranken bestehen bei den meisten Eisenbahnen zweckmäßige Vorschriften.

*Eisenbahn-Personengeldtarife weisen die Beträge nach, welche für die Beförderung der Reisenden und des Gepäcks derselben zwischen den verschiedenen Eisenbahnstationen erhoben werden. Die ungleiche Bemessung der Einheitssätze, welche diesen Tarifen zu Grunde liegen, beruht teils auf den Abweichungen in den Anlagekosten der einzelnen Bahnen und den allgemeinen Preisverhältnissen der einzelnen Länder, teils auf der Verschiedenartigkeit der Leistungen der Eisenbahnen selbst in Bezug auf Fahrgeschwindigkeit, Ausstattung der Personenwagen und Beförderung des Gepäcks (Freigepäck). In Bezug auf die Fahrgeschwindigkeit, welche von der Stärke des Schienengestänges, den Krümmungen und Steigungen desselben abhängig ist, stehen die deutschen den fremdländischen, insbesondere den englischen, Eisenbahnen noch immer nach (vgl. Eisenbahnfahrgeschwindigkeit, Bd. 17). Die Ausstattung der Personenwagen ist dagegen bei den deutschen Eisenbahnen, zumal in der 1. und 2. Wagenklasse, eine weit bessere und bequemere als auf dm meisten Eisenbahnen des Auslandes, insbesondere Frankreichs und Italiens. Das Reisegepäck wird auf den amerikanischen und englischen Bahnen fast durchweg unter Gewährung eines bedeutenden Freigewichts (meist 100 kg), aber ohne Abfertigung mittels Gepäckscheins und unter sehr beschränkter Haftverbindlichkeit der Eisenbahnen befördert, während auf den europäischen Bahnen Freigepäck nur in geringerm Umfang (bis zu 50 kg) oder, wie auf den süddeutschen und schweizerischen Bahnen, gar nicht gewährt wird, dagegen durchweg eine die sichere Beförderung mehr als das englische und amerikanische Verfahren gewährleistende Abfertigung auf sogen. Gepäckscheine und eine weitgehende Haftverbindlichkeit für den Fall des Verlustes oder der Beschädigung üblich ist.