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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Anthropologenkongreß

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Anthropologenkongreß (Münster 1890).

nach Balda hin, die zweite, übrigens weniger zu Höhlen geeignete, ist das Plateau von Brilon, die dritte die Mulde von Attendorn, die vierte die Insel von Warstein. Zwischen 30 und 40 Höhlen sind erschlossen, alle mehr oder weniger voneinander verschieden, manche ganz trocken, andre mit Tropfstein oder Schlamm und Tropfstein in wechselnden Verhältnissen erfüllt. Manche enthalten organische Reste, andre wieder nicht. Der Lehm in den Höhlen enthält keine nordischen Geschiebe, das vorkommende Geröll entstammt sämtlich den in der Nähe anstehenden Gesteinen, und die gefundenen Feuersteine sind bearbeitet ebenso wie die vereinzelt auftretenden Bernsteinstücke. Meist enthält der Lehm 8-9, selbst 14 Proz. phosphorsauern Kalk. Die organischen Reste umfassen 30-35 Säugetiere, 5-6 Vögel, einige Amphibien und Schnecken, sämtlich aus der Fauna der Gegenwart oder der ihr unmittelbar vorhergehenden Periode. So findet sich der Höhlenlöwe, die Höhlenhyäne, der Höhlenwolf und Höhlenbär, letzterer besonders häufig. Der Riesenhirsch ist zweifelhaft, ebenso Bos priscus, dagegen mit Sicherheit erkannt das große und kleine Renntier, Bos primigenius, Pferd, Nashorn, Elefant und Mammut. Hippotherium und Hippopotamus sind mehr als zweifelhaft. In den Höhlen der Lenne, dem erstbezeichneten Höhlengebiet, sind die genannten Tiere sämtlich vorhanden, in den übrigen nur teilweise und in wechselnden Verhältnissen. Reste menschlicher Thätigkeit, rohe Topfscherben, Holzkohle, bearbeitete Kieselschiefer, finden sich in verschiedenen Schichten, zuweilen gerade in den tiefsten, jedenfalls nie derart neben Mammutresten, daß man berechtigt wäre, eine gleichzeitige Existenz von Mensch und Mammut anzunehmen. Im Diluvium finden sich überhaupt keine Gegenstände aus der Hinterlassenschaft des Menschen, bez. scheint es, als wenn die hier und da gefundenen Geräte und Waffen erst nachträglich in die betreffenden Erdschichten hineingeraten sind; erst die jetzige geologische Epoche zeigt sichere Spuren des Menschen. Das Diluvium erfüllt einen großen Teil des Münsterschen Beckens und findet sich ferner am Teutoburger Wald, wo es bis 190 m aufsteigt. Von N. bis zur Lippe enthält es nordische Geschiebe, südlich dieses Flusses Rheingeröll. Die Tierreste des Diluviums umfassen in der Hauptsache die großen Pflanzenfresser des Diluviums. Sie sind sicher in jener Zeit dort gewesen und nicht nachträglich hineingeraten; die Knochen sind besser erhalten als die Knochen der Höhlentiere; merkwürdigerweise kommen sie gerade in den untersten Schichten zahlreich, in den mittlern spärlich, in den obersten gar nicht mehr vor. Dies deutet auf ein Aussterben, eine Vertreibung der Tiere, jedenfalls veranlaßt durch die Eisverhältnisse der Diluvialzeit. Aus den eben angedeuteten Verhältnissen der Geschiebe ergibt sich, daß das nordische Eis in der Vergletscherungsperiode mit den Gletschern der rheinischen Mittelgebirge etwa an der Lippe zusammengestoßen ist; diejenigen Tiere, welche nicht einen Ausweg nach der rheinischen Ebene fanden, gingen aus Mangel an Nahrung und Wärme zu Grunde.

Nach dem wissenschaftlichen Jahresbericht des Generalsekretärs Prof. Ranke - München erläuterte Landesbauinspektor Honthumb das Modell eines westfälischen Bauernhauses aus der Nähe von Osnabrück. Nach langem Suchen hatte er das betreffende Haus als ein den reinen Typus des schon mehr entwickelten niedersächsischen Hauses noch möglichst getreu wiedergebendes ermittelt, genau vermessen und in 0,05 der natürlichen Größe nebst allem Mobiliar und Inventar in den entsprechenden Materialien nachbilden lassen.

In der zweiten Sitzung sprach Prof. Nordhoff über eine Reihe wichtiger vorgeschichtlicher Funde aus Westfalen, die er vorlegte, und gedachte dabei einer neuerdings mehrfach aufgetauchten Ansicht, der zufolge die Hünengräber (Riesenbetten) erst nach der Römerzeit errichtet sein sollen. Zur Begründung dieser Ansicht, die schon um deswillen nicht sehr wahrscheinlich ist, weil bei so jugendlichem Alter jener Denkmäler wohl noch Überlieferungen über ihre Entstehung und Bedeutung im Volk aufzuspüren sein würden, wird angeführt, daß auffallenderweise die römischen Schriftsteller, welche über Deutschland berichten, der Hünengräber nirgends Erwähnung thun, obschon vielfach die Römerstraßen gerade mitten durch die Steinsetzungen hindurchführen, daß ferner aber neben ältern Gegenständen solche neuern Ursprungs, namentlich auch Eisengerät, in den Hünengräbern gefunden werden. Nach Tischler - Königsberg sind aber diese Begründungsversuche hinfällig. Zunächst charakterisieren sich die megalithischen Denkmäler in ihren Einschlüssen an keramischen Gegenständen und Steingeräten so augenscheinlich als der jüngern Steinzeit angehörig, daß die vereinzelten jüngern Gegenstände, die hin und wieder gefunden sein mögen, dagegen gar nicht in Betracht kommen. Die Denkmäler sind so oft (von den alten Schatzgräbern) durchwühlt, daß bei diesen Besuchen sehr wohl Geräte, Werkzeuge u. dgl. von den Schatzgräbern verloren, bez. zurückgelassen sein können. Daß die römischen Schriftsteller über die Hünengräber schweigen, erklärt sich leicht, da in damaliger Zeit überhaupt noch nicht eine so eingehende, umfassende und objektive Art der Reisebeschreibung üblich, zudem aber schon damals im Volksbewußtsein nichts mehr über Entstehung und Bedeutung der Steinmassen übriggeblieben war, also auch dieser Anreiz zur Aufmerksamkeit fehlte. Daß Römerstraßen durch die Riesenbetten gehen, mag durch die Lage mancher der letztern bedingt, oft aber auch Werk des Zufalls gewesen oder durch Kuriositätensucht veranlaßt worden sein, insofern die Erbauer die Steine möglicherweise aus der Nachbarschaft an die Straße versetzten.

Den zweiten Vortrag hielt Prof. Virchow - Berlin über kaukasische und kleinasiatische Prähistorie. Anknüpfend an die alte Anschauung, als hänge der Kaukasus zusammen mit der Wiege des Menschengeschlechts, als sei von ihm alle Kultur ausgegangen und auch die Bronzedarstellung habe von dort ihren Ausgang genommen, gedachte Redner neuerer Beobachtungen auf dem Gebiete des Bergbaues in der Gegend von Batum, dem alten Chaldäa, wo Werner Siemens ein Kupferbergwerk errichtet hat. Man ist dort auf ausgedehnte Halden, von altem Bergbau herrührend, gestoßen, aber auch dieser alte Bergbau war auf Kupfer beschränkt, und nirgends hat man eine Spur von Zinn, dem zweiten Bestandteil der antiken Bronze, gefunden, wenn nicht die Erzählung eines Aufsehers, er habe bei einem Streifzug ins Daghestan ein Stück Zinnerz gefunden, für bedeutungsvoll erachtet werden soll. Gegenwärtig kennt man Zinnerzlagerstätten nur in England und Ostindien, und es bleibt daher unklar, woher das Zinn zu der Bronze gekommen, da man doch kaum annehmen wird, daß von England Zinn nach dem Schwarzen Meer oder andern Stätten der Kupferverhüttung gebracht worden sei. Und das müßte doch für den Kaukasus der Fall gewesen sein, wenn dort wirklich Bronze gemacht worden wäre. Bei der Suche nach