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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Arbeiterschutzkonferenz

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Arbeiterschutzkonferenz (Vorgehen der Schweiz seit 1881).

Vertreter der Schweiz in Paris, Berlin, Wien, Rom, London und Brüssel an, bei den betreffenden Regierungen sich darüber zu unterrichten, ob und inwieweit Geneigtheit zu einem internationalen Übereinkommen, betreffend die Arbeit in den Fabriken, vorhanden sei. Das Resultat dieses ersten Schrittes war sehr wenig erfreulich und aufmunternd. Die belgische Regierung gab auf wiederholte Anfragen gar keine Antwort, die deutsche Regierung erklärte, daß »sie sich nicht in der Lage sehen würde, zur Anbahnung einer internationalen Fabrikgesetzgebung mitzuwirken, weil sie es überhaupt nicht für thunlich erachtet, ihrerseits die gesetzliche Regelung dieser Materie durch Vertrag zu vinkulieren«; die englische Regierung meinte, da die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Ländern voneinander so sehr verschieden seien, erscheine es unausführbar, ein befriedigendes internationales Übereinkommen in Bezug auf die Fabrikgesetzgebung zu treffen; die französische Regierung vertrat den Standpunkt, daß sie in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung des Landes wenig geneigt sei, die Freiheit der Arbeit durch gesetzliche Bestimmungen einzuschränken und noch weniger sich in dieser Gesetzgebung durch internationale Verhandlungen die Hände binden lassen wolle. Nur die Regierungen von Italien und Österreich wiesen den Gedanken einer internationalen Konferenz nicht ohne weiteres zurück, beide verlangten aber, ehe sie sich über ihre Beteiligung an einer solchen äußern könnten, eine genaue Angabe des Programms der Verhandlungen; Österreich machte überdies eine eventuelle Zusage von der Gewißheit der Teilnahme aller großen Industriestaaten abhängig. Infolge dieses Verhaltens der auswärtigen Regierungen unterließ der Bundesrat weitere Schritte.

Aber in der Schweiz fand in den folgenden Jahren der Gedanke einer internationalen Regelung des Arbeitsverhältnisses und der sanitären Einrichtung der Fabriken in immer weitern Kreisen Anhänger. Auch in andern Staaten war inzwischen die Frage der staatlichen Fürsorge für die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen in den Vordergrund des öffentlichen Interesses getreten, und der Nationalrat beschloß 27. Juni 1887 wiederum eine Motion (der Nationalräte Decurtius und Favon), welche den Bundesrat einlud, sich mit andern Staaten zur Erzielung gleichartiger gesetzlicher Vorschriften über den Schutz minderjähriger Personen, Beschränkung der Frauenarbeit, Sonntagsruhe und den Normalarbeitstag in Verbindung zu setzen. Der Bundesrat ließ durch den Antragsteller Decurtius über die Frage ein besonderes Memorial (datiert vom 12. Febr. 1889): »La question de la protection ouvrière internationale«, ausarbeiten und lud mittels Rundschreibens vom 15. März 1889 an sämtliche europäische Industriestaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich-Ungarn, Portugal, Rußland, Schweden und Norwegen, Spanien) diese ein, im September 1889 eine in Bern abzuhaltende, keinen diplomatischen Charakter tragende Konferenz durch Delegierte zu beschicken, um folgende Gegenstände zu beraten: 1) Verbot der Sonntagsarbeit, 2) Festsetzung eines Minimalalters für die Zulassung von Kindern in fabrikmäßigen Betrieben, 3) Festsetzung eines Maximalarbeitstags für jugendliche Arbeiter, 4) Verbot der Beschäftigung von jugendlichen und weiblichen Personen in besonders gesundheitsschädlichen und gefährlichen Betrieben, 5) Beschränkung der Nachtarbeit für jugendliche und weibliche Personen, 6) Art und Weise der Ausführung allfällig abgeschlossener Verträge, und diejenigen Punkte festzusetzen, deren Ausführung durch internationales Übereinkommen als wünschenswert zu bezeichnen wäre. Es wurde in dem Rundschreiben ausdrücklich bemerkt: Wenn sich die Konferenz über diese Punkte oder einzelne derselben geeinigt hätte, so würden die Resultate den Regierungen als unverbindliche Vorschläge zu unterbreiten sein. Falls der einen oder andern Regierung nur ein Teil dieser Vorschläge genehm wäre, könnten besondere internationale Übereinkommen, betreffend einzelne Fragen, jeweilen von denjenigen Staaten in Aussicht genommen werden, welche hinsichtlich deren Lösung übereinstimmen. Die Vereinbarungen würden nicht den Sinn haben, die nationalen Gesetze zu ersetzen, sondern die kontrahierenden Teile verpflichten, in ihrer einheimischen Gesetzgebung gewisse Minimalforderungen durchzuführen; denjenigen Staaten, welche weiter gehen wollten, bliebe dies selbstverständlich unbenommen. Die Aufgabe der ersten Konferenz sollte aber nur sein, durch Verhandlungen der Delegierten festzustellen, ob es möglich sei, zu internationalen Vereinbarungen auf dem Gebiet der Arbeiterschutzgesetzgebung zu gelangen. Wenn sich diese Möglichkeit ergebe, sollte es die Aufgabe späterer diplomatischer Konferenzen sein, solche Vereinbarungen zu beraten und abzuschließen. Das Vorgehen der Schweiz hatte diesmal einen günstigern Erfolg als 1881. Belgien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Österreich-Ungarn nahmen die Einladung ohne Vorbehalt an. Großbritannien und Italien erklärten, die Konferenz beschicken zu wollen, machten aber bezüglich des Programms, resp. (Italien) bezüglich der über die bestehende Gesetzgebung hinaus zu übernehmenden Verpflichtungen Vorbehalte. Rußland gab einen ablehnenden Bescheid. Spanien bestätigte nur den Empfang des Rundschreibens, Dänemark, Deutschland, Schweden und Norwegen zögerten mit ihrer Antwort. Die Annahme der Einladung durch einen Teil der Staaten sicherte das Zustandekommen einer Konferenz, aber es traten dann politische Ereignisse (der Konflikt der Schweiz mit Deutschland wegen des Falles Wohlgemuth) ein, welche den schweizerischen Bundesrat veranlaßten, von der Veranstaltung der Konferenz im September 1889 abzusehen und die Konferenz auf das Frühjahr 1890 zu verschieben. Der Aufschub wurde in einem besondern Rundschreiben vom 12. Juli 1889 noch damit motiviert, daß es wünschenswert sei, der Konferenz ein detaillierteres Programm vorzulegen, um ein besseres Resultat der Verhandlungen zu ermöglichen. Nachdem der Konflikt mit Deutschland beigelegt und das detailliertere Diskussionsprogramm entworfen war, erging an die vorgenannten Staaten (außer Rußland) durch Rundschreiben vom 28. Jan. 1890 die Einladung zu einer 5. Mai d. J. in Bern zu eröffnenden Konferenz. Das dem Rundschreiben beigelegte Diskussionsprogramm enthielt folgende Fragen:

I. Verbot der Sonntagsarbeit. 1) In welchem Umfang ist die Sonntagsarbeit zu beschränken? 2) Welches sind die Betriebe oder Betriebsprozesse, bei welchen ihrer Natur nach ein Unterbruch oder Aufschub der Arbeit unzulässig und daher die Sonntagsarbeit zu gestatten ist? 3) Sind in diesen Betrieben in Bezug auf die Sonntagsruhe der einzelnen Arbeiter Maßnahmen zu treffen?

II. Festsetzung eines Minimalalters für die Kinder in fabrikmäßigen Betrieben. 1) Ist für die Zulassung von Kindern in fabrikmäßigen Be-^[folgende Seite]