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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bakterien

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Bakterien (saprophytische und parasitische).

richtet sich nach der Größe und Beschaffenheit des zu kochenden Gegenstandes. Auch halbstündige Einwirkung trockner Hitze von 150° genügt in gewissen Fällen. (Näheres hierüber sowie über die chemischen Desinfektionsmittel vgl. Desinfektion, Bd. 17.) Die Entwickelungshemmung ist zwar ein Notbehelf, welchen wir anwenden, wo die Abtötung nicht ohne Schädigung des zu sterilisierenden Gegenstandes stattfinden könnte, aber dieser Notbehelf leistet in vielen Fällen alles, was man beanspruchen kann. Entwickelungshemmung wird erzielt durch Kälte oder durch chemische Mittel, welche zwar nicht stark genug sind, die B. zu töten, in deren Gegenwart aber doch die letztern sich nicht zu vermehren im stande sind. Die Entwickelungshemmung durch Kälte benutzt man z. B. beim Konservieren von Nahrungsmitteln; auch Chemikalien werden zum selben Zwecke verwendet (z. B. Zusatz von Salicylsäure zu Früchten, Konserven etc.). Bei Infektionskrankheiten läßt sich eine Abtötung der betreffenden pathogenen B. im Körper nicht erzielen, da die Abtötungsmittel in solcher Stärke angewandt werden müßten, wie sie der menschliche Organismus nicht ertragen würde; aber auch die Versuche, mit entwickelungshemmenden Mitteln die Infektionskrankheiten zu bekämpfen, haben lange zu keinen günstigen Resultaten geführt, und in dieser Richtung hat die Bakteriologie den anfänglich in sie gesetzten Hoffnungen bisher noch nicht entsprochen. Erst jüngst hat R. Koch auf dem zehnten internationalen medizinischen Kongreß in Berlin die Aussicht eröffnet, daß man der Tuberkulose vermittelst eines solchen entwickelungshemmenden Mittels werde beikommen können, und in seiner Mitteilung vom 12. Nov. 1890 hat er die Anwendungsweise seines Mittels gegen Tuberkulose bekannt gemacht (vgl. Tuberkulose). In Folgendem geben wir eine Übersicht der wichtigsten B.

I. Saprophytische Bakterien.

Bacillus prodigiosus ist ausgezeichnet durch die intensiv blutrote Farbe, welche die Kulturen annehmen. Er findet sich zuweilen auf Nahrungsmitteln ein, so aus Brot, Kartoffeln, Fleisch, Milch. Die Keime gelangen aus der Luft auf diese Substanzen und wachsen hier, indem sie sich ins Millionenfache vermehren, zu großen, roten Inseln heran. Der Bacillus prodigiosus ist ein Kurzstäbchen, d. h. kaum länger als breit; seine Länge beträgt etwa 0,001 mm. Er läßt sich auf jedem Nährmaterial züchten; das Eintrocknen hält er sehr lange aus. Eigenbewegung besitzt er nicht. Eigentümlich ist den Kulturen noch ein widerlicher Geruch nach Heringslake. Der Kartoffelbacillus interessiert besonders durch sein konstantes Vorkommen auf den Kartoffeln und durch seine ungewöhnlich große Widerstandsfähigkeit, vermöge welcher er in nicht ganz sorgfältig sterilisierten Kartoffeln angelegte Kulturen überwuchert und zerstört. Es gibt verschiedene Arten dieser Kartoffelbacillen; einer derselben beginnt erst bei 50-70° zu wachsen. Der Heubacillus findet sich in Luft und Wasser, im Staube, in den obern Bodenschichten und besonders regelmäßig im Heu; schon hieraus geht hervor, daß er im stande sein muß, in getrocknetem Zustande zu leben. Er bildet in der That sehr widerstandsfähige Sporen; die lebhaft beweglichen Stäbchen sind 0,006 mm lang. In der Luft besonders häufig vorkommend und für gewisse Gärungen von Bedeutung sind zu nennen die Sarcinen, Mikrokokken, welche sich durch eigentümliche Art der Zellteilung nach allen Richtungen auszeichnen, so daß immer eine Gruppe von solchen Organismen zusammen ein Bild liefert wie ein geschnürter Warenballen; ferner die Hefen. Sowohl Sarcinen- als Hefekulturen haben oft intensive, schöne Farbe: gelbe und orangegelbe Sarcine, rosa, schwarze, weiße Hefe. Die für die Biergärung wesentlichen Hefen sind einige Saccharomyces-Arten, insbesondere Saccharomyces cerevisiae. Die Brotgärung wird durch Saccharomyces minor vermittelt. Der Milchsäurebacillus, von Hueppe aus Milch isoliert, erzeugt, in keimfrei gemachte Milch gebracht, durch Spaltung des Milchzuckers Milchsäure und Kohlensäure. Er ist jedoch nicht der einzige Organismus, welcher die Milch sauer machen kann. Er bildet kurze, unbewegliche Stäbchen, welche an einem Ende Sporen hervorbringen, zwischen 10 und 45° gedeihen und die Nährgelatine nicht verflüssigen. Der Buttersäurebacillus (Clostridium butyricum), 0,003-0,01 mm lange, dicke, lebhaft bewegliche Bacillen, welche Sporen bilden. Sie erzeugen große Mengen von Buttersäure und sind streng anaerob. Oidium lactis, ein fast auf jeder Milch vorkommender Fadenpilz, hat auf die Milchgärungen keinen Einfluß. Bacillen der blauen Milch: Zuweilen stellt sich in Milchwirtschaften eine Krankheit der Milch ein, das Blauwerden; dabei bekommt die Milch, wenn sie beginnt sauer zu werden, auf der Oberfläche große, intensiv blaue Flecke, welche nach wochenlangem Stehen etwas mehr schiefergrau werden. Diese Erscheinung wird hervorgebracht durch spezifische Bacillen; dieselben sind 0,0014-0,004 mm lang und 0,0001 mm breit, langsam beweglich; sie wachsen bei Zimmertemperatur auf Gelatine und Kartoffeln; Sporenbildung findet nicht statt, dagegen vermögen die vegetativen Bacillen mehr als ein halbes Jahr an der Luft getrocknet lebensfähig zu bleiben; gegen Hitze sind sie weniger widerstandsfähig, sie werden schon in einer Minute abgetötet durch Erhitzung auf 80°. Bacillus violaceus kommt zuweilen im Trinkwasser vor; er ist ausgezeichnet durch einen schönen, intensiv dunkelvioletten Farbstoff, welchen die Kulturen bilden; eine besondere Bedeutung kommt demselben nicht zu; seine Anwesenheit im Wasser ist ungefährlich. Unter dem Namen Bacterium termo vereinigte man früher alle lebhaft beweglichen Bacillen, welche man in faulenden Flüssigkeiten fand; jetzt bezeichnet man mit diesem Namen eine der vielen zur Fäulnis in ursachlicher Beziehung stehenden Arten, welche sich durch Hervorbringung grünlicher Verfärbung der faulenden Flüssigkeiten, auch der Gelatine, auszeichnet und letztere verflüssigt. Alle vorstehend genannten B. färben sich leicht mit den in der Mikroskopie gebräuchlichen Anilinfarben.

II. Parasitische Bakterien.

Schon lange bevor es gelang, die B. durch Züchtung in Reinkulturen dem nähern Studium über ihre Bedeutung zugänglich zu machen, hatte man die Vermutung, daß dieselben zu den Infektionskrankheiten in gewissen Beziehungen stehen. Diese Annahme gewann zuerst Gestalt in der Geburtshilfe durch Semmelweis' Lehre von der infektiösen Natur des Kindbettfiebers, sodann in der Chirurgie bezüglich der Wundinfektionskrankheiten. Man sah aber noch lange die Fäulnis der Wund- etc. Sekrete als die eigentliche Ursache der Infektion an, und Listers antiseptische Wundbehandlung, welche den größten Fortschritt in der Chirurgie unsers Jahrhunderts bedeutet, richtete sich gegen die noch mehr geahnten als gekannten Wundinfektionsbakterien. Erst Kochs Untersuchungsmethoden haben Klarheit in die Frage nach dem Vorgang bei der Wundinfektion gebracht,