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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Branntweinsteuer

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Branntweinsteuer (Deutschland, Österreich).

kurz also aller Kartoffel- und Maisbranntwein, eine Reinigung erfahren sollte, bevor er in den freien Verkehr tritt. Den Grad und die Art der Reinigung sowie die »etwa erforderlichen Beihilfen« sollte der Bundesrat rechtzeitig bestimmen. Zum Zwecke der Vorbereitung solcher Bestimmungen war gleich nach Erlaß des Gesetzes das Reichsgesundheitsamt mit diesbezüglichen Erhebungen betraut worden. Das Ergebnis derselben war der Antrag des Bundesrats, den Reinigungszwang vorläufig fallen zu lassen. Es stellte sich nämlich heraus, daß entgegen der allgemeinen Meinung nicht der Kartoffelbranntwein, soweit er sich im Verkehr befindet, sondern Korn- und Fruchtbranntwein in höherm Grade fuselhaltig ist; es wurde weiter darauf hingewiesen, daß der Trinker einen gewissen Fuselgehalt fordert und zweifellos nach erfolgter Reinigung dem gereinigten Sprit Fuselöle wieder zugesetzt werden würden. Endlich wurde auch geltend gemacht, daß ein allgemein anerkanntes und auch vom Kleinbrenner zu handhabendes Rektifikationsverfahren nicht existiere. Der Kleinbrenner werde also unter dem Reinigungszwang künftig genötigt sein, seinen Branntwein, für den er in seiner Umgegend bisher Konsumenten zu relativ guten Preisen gehabt habe, den Großspritfabriken behufs Reinigung zu übergeben und auf den lokalen, ihm bisher vorteilhaften Umsatz zu verzichten. Aus diesen Gründen wollte der Bundesrat von einer Ausführung jener gesetzlichen Bestimmung Abstand nehmen und beantragte beim Reichstag ihre formelle Außerkraftsetzung. Der Reichstag erteilte diese Zustimmung ohne Widerstreben, und ein Gesetz vom 7. April 1889 spricht die Ungültigkeit des § 4 des Reichsgesetzes vom 14. Juni 1887 aus.

Verordnungen des Bundesrats vom 15. Dez. 1887 und 21. Juni 1888 beschäftigen sich mit der Denaturierung des Branntweins behufs gewerblicher Verwendung und gewähren Erleichterungen. Die Kosten der Denaturierung stellen sich nunmehr auf 1½-2 Mk. für 1 hl Spiritus.

Die Einwirkungen des Gesetzes auf die Brennerei lassen sich zur Zeit noch nicht übersehen. Die Frist ist zu kurz, um ein Urteil zu ermöglichen. Bisher hat die Brennerei aus dem Gesetz allerdings nicht den Vorteil gezogen, den sie sich und den ihr der Gesetzgeber daraus versprach. Der Spirituspreis blieb die ganze Zeit über ein derartig niedriger, daß von einem entsprechenden Gewinn für die Brenner nur in wenigen Fällen die Rede sein konnte. Aber es besteht Aussicht, daß dieses Verhältnis zu gunsten des Brenners sich ändere. Vorzüglich hat bisher die kleine Korn- und Kartoffelbrennerei geklagt. Sie gibt an, das ihr zugeteilte Kontingentquantum sei zu gering, um die Arbeit noch halbwegs rentabel zu machen, und die gewährten steuerlichen Begünstigungen wogen die aus der Produktionsbeschränkung erwachsende Erhöhung der Produktionskosten nicht auf.

Hinsichtlich des Branntweinverbrauchs ist festgestellt, daß der Branntwein gegenwärtig in stärkerer Verdünnung verabreicht wird als vor Erlaß des Reichsgesetzes, und daß der Spiritusverbrauch mindestens um so viel abgenommen hat, als der Alkoholgehalt des Trinkbranntweins gegenwärtig weniger beträgt als früher (nach den Angaben der Direktivbehörden 6-15 Proz.). Ein Nebenprodukt der Brennerei im allgemeinen, in vielen einzelnen Brennereien jedoch Hauptgegenstand der Erzeugung, ist die Preßhefe, welche 1888/89 in einer Menge von 17-18 Mill. kg hergestellt worden ist, wovon aber wenig nur in reinem Zustand, die meiste mit einem Zusatz von Kartoffelmehl zum Verkauf gelangt.

Die Zahl der Brennereien im Betrieb, die von ihnen verarbeiteten Stoffe und ihre Spirituserzeugung werden für 1888/89 wie folgt angegeben:

Länder Zahl Brennereien im Betrieb davon mit Verarbeitung mehliger Stoffe Spirituserzeugung Hektoliter absoluten Alkohols

Preußen 6744 5289 2222731

Bayern 6562 1288 131102

Königreich Sachsen 592 586 152922

Württemberg 9446 1501 20473

Baden 19509 844 46056

Großherzogtum Hessen 291 143 11114

Mecklenburg 47 47 32610

Thüringen 103 95 7038

Oldenburg 36 36 6065

Braunschweig 32 30 16780

Anhalt 40 37 33321

Lübeck 2 2 1302

Bremen 45 44 2741

Hamburg 11 11 29182

Elsaß-Lothringen 22192 39 13624

Überhaupt 1888/89: 65652 9992 2727061

1887/88 48415 11652 3058025

An Materialien wurden hauptsächlich zu Branntwein verarbeitet:

1888/89 1887/88

Tausende metr. Zentner

Kartoffeln 16990 20094

Getreide 3280 3048

Melasse 253 276

Weintreber 442 346

Kernobst 236 29

Brauereiabfälle 156 159

Hefebrühe 123 140

Steinobst 321 84

Der Ertrag der B. war in den Betriebsjahren

1888/89 1887/88

I. Maischbottichsteuer 28606278 Mk. 34305928 Mk.

II. Materialsteuer 607954 329952

III. Verbrauchsabgabe zum Satze von

a) 50 Pf. pro Liter 69284971 72878727

b) 70 Pf. pro Liter 55511391 15831283

IV. Zuschlag zur Verbrauchsabgabe 6256669 5195041

Zusammen: 160267263 Mk. 128540931 Mk.

In Österreich hat sich das neue Branntweinsteuergesetz noch weniger bewährt als in Deutschland. Das Gesetz, welches im übrigen nur eine mehr oder minder getreue Kopie des deutschen ist, war doch in einem wesentlichen Punkte von demselben abgewichen. Das Kontingent war nämlich nicht ein Stück unter dem voraussichtlichen künftigen Verbrauch, sondern knapp an der vermeintlichen Grenze desselben angesetzt worden. Nun hat aber der Konsum eine viel stärkere Reduktion erfahren, als vorausgesetzt war. Im ersten Jahr waren hierfür zweifellos auch Momente bloß vorübergehender Natur wirksam, wie daß große, teilweise unversteuert übernommene Vorräte aus den Jahren vor Einführung der höhern Steuer in die neue Kampagne übergingen, dann die geänderte Praxis der Schänken, welche nicht mehr wie früher sich Vorräte anlegen, um durch längeres Lagern eine Verbesserung in der Qualität des Branntweins herbeizuführen, sondern knapp nur das kaufen, was sie benötigen, um auf diese Weise der Notwendigkeit zu entgehen, große Beträge (jetzt infolge der hinaufgesetzten Steuer viel höhere als früher) zu investieren und durch Calo des versteuerten Branntweins weitere Einbußen zu