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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: China

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China (Handel).

wie unbekannt bleiben konnte. Von wilden, wahrscheinlich schiffbrüchigen Philippinen, möglicherweise gleichzeitig lutschuischen, japanischen und karolinischen Elementen ausgehend, hatte sich auf der Insel seit Jahrhunderten eine Urbevölkerung gebildet, die den Chinesen bereits im 12. Jahrh. durch Raubzüge nach dem nahen Festland unter dem Namen Bisêyeh (Bisaya?) bekannt wurde. Aber erst im 17. Jahrh., als bereits Spanier und Holländer darum kämpften, wurde C. auf den wertvollen Besitz aufmerksam, der, anfänglich von dem Führer einer vom Reiche abtrünnigen Seeräuberkolonie als Ausgangspunkt seiner feindlichen Angriffe ausersehen, erst im J. 1682 dem chinesischen Reiche einverleibt wurde. Im J. 1874 von den Japanern und 1884 von den Franzosen angegriffen, zog die bis dahin als Anhängsel an die Provinz Fukien vernachlässigte Insel die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich. Der Wunsch, dieses den feindlichen Angriffen ganz besonders ausgesetzte Gebiet zu befestigen und mit chinesischen Elementen zu bevölkern, mag die Erhebung Formosas zu einer selbständigen Provinz veranlaßt haben. Wegen der nimmer endenden Kämpfe mit den Urbewohnern im Innern wie auch wegen der nötigen Verteidigungsmaßregeln gegen etwanige Angriffe zur See ist ein militärischer Gouverneur zum Regenten der Insel ausersehen worden. Liu Mingtschuan, einer der erprobtesten Generale der chinesischen Armee, wurde 1884 mit der Verteidigung Formosas gegen die französischen Angriffe beauftragt. Demnächst zum Gouverneur der neuen Provinz ernannt, hat er, unterstützt durch europäische Ratgeber, unablässig im Sinne des Fortschritts zu wirken versucht. Seinem vorurteilsfreien Vorgehen ist es zuzuschreiben, daß wir auf der abgelegenen Insel so mancherlei finden, wonach wir uns im übrigen C. vergeblich umsehen. Telegraphen verbinden den Norden und Süden der Insel sowie die Insel mit dem Festland; eine Eisenbahn verbindet den Hafen von Kelung u. seine ergiebigen Kohlenbergwerke mit dem Innern. Alljährlich werden neue Gebiete den sich auf die innern Gebiete zurückziehenden Wilden abgerungen, die im Kampfe mit den Mongolen ihrem Untergang entgegensehen. In der Nähe von Tamsui, dem hauptsächlichsten Vertragshafen, wurde eine neue Hauptstadt, Taipefu, gegründet, wo der Gouverneur residiert. Die frühere Hauptstadt Taiwan heißt seitdem Tainan (»Süden von Tai«, im Gegensatz zu Taipe, »Norden von Tai«), wie auch die ganze Insel nicht mehr Taiwan, sondern Taischöng, d. h. Provinz Tai, genannt wird. In der Nähe der neuen Stadt befindet sich ein Arsenal unter der Leitung eines Deutschen (Graf Butler). Der Gouverneur unterstützt, wenn auch nicht mit gleichem Erfolg, viele Neuerungen im Sinne des Westens. Der alte chinesische Kurierdienst mußte europäischen Posteinrichtungen weichen. In den sehr ergiebigen Theedistrikten wurde ein englischer Theepflanzer aus Indien angestellt, um die Theeerzeuger mit der bessern indischen Methode bekannt zu machen; doch sind bisher diese Versuche an dem Widerstand der eingebornen Zwischenhändler gescheitert. Versuche, die Seidenkultur in Formosa einzuführen, haben gleichfalls zu keinem nennenswerten Resultat geführt; ebenso ist die Einführung europäischer Hilfsmittel in der Zuckererzeugung im Süden der Insel an der Hartnäckigkeit der Bewohner gescheitert. Die Ureinwohner würden der chinesischen Herrschaft viel leichter zugänglich sein, wenn nicht Eigennutz gar zu oft die lokalen Beamten verlockte, die von der Regierung für die Förderung der Beziehungen zu den Wilden ausgesetzten Gelder zu unterschlagen. Mangel an Erfahrung und die oft sich kreuzenden Ratschläge der chinesischen Umgebung des Gouverneurs haben bei diesem mit so großer Energie betriebenen Kulturschub selbstverständlich manchen Fehltritt zur Folge gehabt; Liu Mingtschuan ist augenblicklich seines Ranges beraubt, aber in seiner Stellung belassen, und es fragt sich, ob das Ergebnis der gegen seine Verwaltung bevorstehenden Untersuchung der Fortsetzung einer für den Fortschritt Chinas so unendlich wichtigen Politik günstig sein wird.

Chinas Verhältnis zu Korea, das nicht mit Unrecht das Bulgarien des fernen Ostens genannt worden ist, hat sich in den letzten Jahren wieder mehr befestigt. Die koreanischen Zölle stehen unter der Leitung des chinesischen Seezolldienstes, womit ja schon ausgesprochen ist, daß der Kernpunkt aller Macht, die hauptsächlichste Quelle der Finanzen, in chinesischen Händen ist. Ob Korea je zum Zankapfel des fernen Ostens zu werden bestimmt ist, muß die Zukunft lehren.

Werfen wir einen Blick auf den Handel Chinas in den letzten Jahren, so müssen wir zwar zugestehen, daß uns die Statistik ein stetiges Wachsen im Produktenaustausch nachweist. Doch sind davon nicht alle Gebiete betroffen. Das Wachsen in der Ausfuhr von Thee z. B. entspricht nicht den Erwartungen im Vergleich mit andern Positionen und namentlich mit dem Fortschritt der Theekultur in den Konkurrenzländern. Angeregt durch eine ausführliche Denkschrift des Generalinspektors der Zölle, Sir Robert Hart, sieht die chinesische Regierung mit großer Besorgnis, wie der indische Theemarkt allmählich von den großen theetrinkenden Völkern, namentlich England, Besitz ergreift; fester noch wurzelt der chinesische Theehandel in Amerika. Während die indische Ausfuhr mit Riesenschritten vorwärts drängt, droht die chinesische stillzustehen, ja zurückzugehen. Die vom Generalinspektor der Zölle veröffentlichte Statistik weist für das Jahr 1890 eine Einfuhr im Werte von etwa 500 Mill. Mk. und eine Ausfuhr von etwa 480 Mill. nach; die Zolleinnahmen repräsentieren für die letzten drei Jahre einen Durchschnitt von etwa 100 Mill. Mk. jährlich, wovon nahezu 30 Mill. auf die Einfuhr und Verbreitung indischen Opiums entrichtet wurden. Die Seezolleinnahmen bilden für C. immer noch die wichtigste Finanzquelle, die auch bei Staatsanleihen als Grundlage dient. Die Staatsschuld ist im Verhältnis zu andern Ländern gering zu nennen; eine bedeutende Vergrößerung derselben ist jedoch nicht zu vermeiden, wenn C. durch Umstände zum Eisenbahnbau und zur Einführung andrer kostspieliger Kulturelemente getrieben wird. Vermehrt haben sich die Zolleinnahmen nicht nur durch Zunahme des Handels, sondern besonders auch dadurch, daß die Erhebung des Binnenzolles (Likin) auf Opium der fremden Zollverwaltung übertragen worden ist, woraus eine Mehreinnahme von durchschnittlich 18 Mill. Mk. erwachsen ist; ferner durch die Eröffnung neuer Zollämter. Zu diesen gehörten in erster Linie die Grenzstationen Kowloon und Lappa in der Nähe von Hongkong und Macao, die sich lediglich mit der Zollerhebung vom Handel der von jenen Kolonien aus mit den chinesischen Häfen verkehrenden Dschunken beschäftigen. Wichtig ist diese Neuerung dadurch, daß ein wichtiger Bestandteil des chinesischen Handels, der sich früher jeder Kontrolle durch die europäischen Beamten entzog, jetzt in die Statistik aufgenommen ist, wodurch diese für die Kenntnis des chinesischen Außenhandels nahezu erschöpfend geworden ist. Durch einen in den letzten Jahren abgeschlossenen Vertrag ist Portugal in die Reihe der Ver-^[folgende Seite]