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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Dänische Litteratur

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Dänische Litteratur (seit 1880).

neigt, schildert er doch mit großer Unparteilichkeit und Wahrheitsliebe die Charakterschwäche und Erschlaffung dessen, was in Dänemark als Opposition gegen die Regierung hervortritt, in einer Reihe vorzüglich gezeichneter Figuren, er erweist sich überhaupt unter den jüngst aufgetretenen dänischen Schriftstellern als einer der allerbegabtesten. Der unstete, aber sich neuerlich merkwürdig klärende Hermann Bang vollendete einen Roman: »Tine«, und eine Sammlung von Erzählungen: »Under Aaget«. Der erstgenannte Roman, auf der Insel Alsen während des deutsch-dänischen Krieges von 1864 spielend, behandelt mit wirklich bedeutender Charakter- und Situationsdarstellung im einzelnen das Problem der innern Verwilderung sonst gut gearteter Naturen durch den Krieg. Die letztere Sammlung enthält eine Reihe von Erzählungen und Skizzen, in welchen auf der Schattenseite des Daseins lebende Menschen mit tiefgehendem Verständnis und Mitgefühl geschildert sind. Zu wahrhaft poetischer Wirkung kann sich jedoch eine Darstellungsweise, die bis auf den Stil lediglich durch eindrucksvolle Wiedergabe gewisser Momente zu wirken sucht, aber der Lebensdarstellung im ganzen ausweicht und in der epischen Kunst alle epische Ruhe aufzuheben trachtet, schwerlich steigern. Karl Gjellerup schrieb die Romane: »Der schwarze Romulus« und »Minna« und eine Sammlung erotischer Gedichte: »Buch meiner Liebe«. Der Schauplatz des erstern Romans, der die Geschichte eines Pferdes einschließt, ist Kopenhagen, der des andern Dresden, wo der Verfasser einige Jahre hindurch wohnhaft war. Auch Gjellerup ist zweifelsohne zu den mehr versprechenden jüngern Dichtern zu zählen und hebt sich durch einen gewissen künstlerischen Zug, eine Art naiver Künstlerfreude am dargestellten Leben über den tendenziösen Geist der neuern dänischen Litteratur. Der Lyriker und Dramatiker Rudolf Schmidt, dessen Drama »Der verwandelte König« den Weg auch nach Deutschland gefunden hat, schrieb neuerlich ein kleines, während der französischen Revolution spielendes Drama. Der lyrische Dichter E. v. d. Recke gab zwei Sammlungen von Gedichten: »Spredte Blomster« und »Gamle og nye Digte hil En«, heraus, die hauptsächlich nach der Seite der poetischen Form gerühmt werden. Ein zwischen der Dichtung und der Memoirenlitteratur stehendes Buch, das geradezu außerordentliches Aufsehen erregte, war »En Rekrut fra 1864« (»Ein Rekrut von 1864«), dessen Verfasser, Hauptmann Rist, mit Treue, Lebendigkeit und dem elegischen Reiz aufrichtiger Mitempfindung die Erlebnisse eines jungen, liebenswürdigen, patriotischen Offiziers und in diesen Erlebnissen die zerstörten Hoffnungen und schmerzlichen Niederlagen Dänemarks während des letzten Krieges schildert. Freilich riß das Buch Wunden wieder auf, die eben zu vernarben begannen, erweckte die Erinnerungen an das traurigste Jahr der neuern dänischen Geschichte, brachte aber auch mit großer poetischer Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe das Unheilvolle der Täuschungen und phantastischen Stimmungen, denen sich der dänische Nationalstolz 1864 überließ, zur Sprache. Gleichfalls auf der Grenze persönlicher Erinnerungen und poetischer Darstellung steht ein Buch wie »Boganis Jagtbreve«. Mit großer Frische und originellem Sprachklang schildert der Verfasser (Vilhelm Dinesen), der sich weit herumgetummelt hat, sein Jägerleben in der freien Natur. Unter den jüngsten, neu auftauchenden Dichtern, von denen sich die dänische Kritik etwas verspricht, sind der Lyriker Niels Möller, der Erzähler Johannes Jörgensen, ein Schüler J. P. ^[Jens Peter] Jakobsens, der eine Erzählung: »Foraarssagn«, herausgab, und der Dramatiker Karl Larsen zu nennen, von dessen kleinern Schauspielen das Drama »Ehre«, welches in preußischen Offizierskreisen spielt und eine gewisse Hinneigung zu Ed. Brandes und dem Naturalismus oder Impressionismus bekundet, Schlagworte, die auch in der neuesten dänischen Dichtung ihre Zeit haben wollen, bis sie mit neuen vertauscht werden.

Unter den historischen Werken, die zur Jubiläumsfeier der Emanzipation des dänischen Bauernstandes 1788 erschienen, sind zu nennen Johannes Steenstrups »Über die Entwickelung des Bauernstandes«, in welchem der Verfasser mit großer Sachkenntnis die Angriffe zurückweist, die dänische Geschichtschreiber (besonders Allen) gegen die vermeintliche Unterdrückung des sässigen und leibeignen Bauern der frühern Zeiten gerichtet haben, und E. Holms Festschrift »Hampen om Landhorefomerne«, ein klares und gründliches, im schlichten Stile der dänischen Historik geschriebenes Werk. Troels Lund hat seine kulturhistorischen Schilderungen »Danmarks og Norges Historie i Slutn. af d. 16de Aarh.« fortgesetzt. P. Hansen gab unter Mitwirkung mehrerer Litterarhistoriker und Philologen eine große »Illustreret dansk Literaturhistorie« heraus, die mit 1870 abschließt. V. Vedel lieferte eine größere Abhandlung über »Guldalderen i dansk Poesi«, in welcher er nach Georg Brandes' Muster die psychologischen Motive, welche die dänische klassische Litteratur dieses Jahrhunderts bedingten, zu erklären sucht. A. D. Jörgensen schrieb eine auf sorgfältige Bücher- und Archivstudien gestützte Biographie des großen dänischen Lyrikers Joh. Ewald. H. Schwanenflügel schrieb zum Jubiläum des Dichters Ingemann (1889) die Lebensgeschichte desselben, an die sich eine Auswahl aus Ingemanns Gedichten anschloß. F. Könning verfaßte eine Biographie des großen dänischen Sprachforschers Rasmus Rask. Fr. Nielsen gab eine interessante Denkschrift über N. F. S. Grundtvigs »Religiöse Udvikling« und suchte in derselben der einflußreichen Persönlichkeit des geistvollsten, aber auch anspruchsvollsten der dänischen Theologen gerecht zu werden. Der Politiker N. Neergaard begann eine geschichtliche Darstellung der politischen Entwickelung Dänemarks zwischen 1848-66: »Under Junigrundloven«, auf Grundlage einer reichen Sammlung von Dokumenten. Unter den erschienenen Selbstbiographien sind »Livserindringer« des verstorbenen Philologen Madvig und »Oplevelser« des Dichters S. Schandorph als die wichtigsten zu nennen; daß letztere durch die Vorzüglichkeit der Darstellung über ersterer steht, liegt in der Natur der Talente, von denen diese Lebensschilderungen herrühren. Die dänische Ethnographie wurde mit einem vortrefflichen Werke des Pfarrers Feilberg: »Dansk Bondelio, isär fra Vest-Jylland«, bereichert. Von Schriften, welche fremde Völkerkunde und Geschichte behandeln, waren die hervorragendsten: P. Andrä, »Via Appia II-III«, gut geschriebene Beiträge zur Anleitung für Archäologen, die diese klassische Straße befahren; Georg Brandes' vorzügliche und geistvolle Schilderungen des Lebens und der Litteratur in Polen und Rußland unter dem Titel: »Indtryk fra Polen og Rusland«, in zwei Bänden. Werke philosophischer Richtung von einiger Bedeutung waren H. Höffdings »Ethik« (die ins Deutsche übertragen ward) und A. C. Larsens beide Werkchen: »Lystfölelse og Sädelighed«, »Fremtidens Religion« und eine kritische Untersuchung in modernem Geiste: