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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Elektrische Kraftübertragung

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Elektrische Kraftübertragung.

währleistet. Die Rille dient zugleich zur Führung der Rollen. Wie gesagt, sind diese Systeme vor allem in Amerika in Gebrauch und bürgern sich mit außerordentlicher Schnelligkeit ein. Waren 1885 in Amerika nur drei e. E. mit 12 km Geleislänge und 13 Motorwagen in Betrieb, so zählt man heute bereits 150 Bahnen mit 1130 km Länge und 1200 Wagen; dazu kommt, daß Boston, wo heute 275 Wagen laufen, eine Anlage von 1000 Wagen mit insgesamt 13,000 Pferdekräften in Ausführung gegeben hat, daß Minneapolis eine gleich große Anlage plant, ganz abgesehen von den vielen kleinern Unternehmungen. In Deutschland scheint sich der Unternehmungsgeist nunmehr auch ernstlich mit dieser Frage zu beschäftigen, namentlich seit die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft zu Berlin die Sprague-Patente gekauft hat. Vereinbarungen über eine ganze Reihe von Bahnen sind bereits abgeschlossen, so z. B. in Halle mit 400 Pferdekräften. Ein andres System elektrischer Eisenbahnen ist das mit unterirdischer Stromzuführung. Es wird hauptsächlich von Siemens u. Halske ausgeführt. Wenn auch in Anlage und Betrieb etwas teurer durch den Bau unterirdischer Kanäle für die Stromzuführung, so ist es immer noch dem Pferdebetrieb weit überlegen. Ein schönes Beispiel dieses Systems bietet die Budapester Bahn von Siemens u. Halske, welche sich so bewährt hat, daß nach einjährigem Betrieb bereits 60 neue Motorwagen nachbestellt wurden.

Eine vergleichsmäßige Rechnung für Bahnen mit Pferdebetrieb und Elektrizität mit oberirdischer, bez. unterirdischer Stromzuführung bei einer Bahn, welche 10 km lang, doppelgeleisig ist und 30 Wagen, d. h. alle 5 Minuten einen Wagen 16 Stunden täglich in Betrieb hat, zeigt, daß 1 Wagenkilometer bei Pferdebetrieb ca. 0,32, bei elektrischem Betrieb mit unterirdischer Zuleitung 0,24, bei oberirdischer Zuleitung 0,21 Mk. kostet. Die Anlagekosten betragen in den drei Fällen 1,030,000, 1,640,000, 1,220,000 Mk. Die Elektrizität ermöglicht also eine große Ersparnis im Betrieb, gegen welche der unbedeutende Mehraufwand für die Anlage in keinem Verhältnis steht. E. E. mit Akkumulatoren zu treiben, mag wohl als das Ideal erscheinen, jedoch dürfte ein praktischer und wirtschaftlicher Betrieb erst dann zu erwarten sein, wenn Akkumulatoren hergestellt werden, deren Gewicht und Leistungsfähigkeit in einem annehmbaren Verhältnis stehen. Probefahrten auf der 25 km langen Strecke Hildburghausen-Heldburg berechtigen zu guten Erwartungen.

^[Abb.: Elektrische Eisenbahn, System Sprague. a Ende des Kontaktarms.]

Elektrische Kraftübertragung bezweckt, die an einem bestimmten Orte verfügbare mechanische Energie auf elektrischem Wege nach einem andern, von dem ersten entfernten Orte zu übertragen, so daß sie dort zu Arbeitsleistungen verwendet werden kann. Von allen Arbeitsübertragungen auf größere Entfernungen ist die auf elektrischem Wege nicht nur die billigste, sondern auch jeder andern Übertragung insofern weit überlegen, als sie ohne nennenswerte Verluste ganz bedeutende Entfernungen bewältigt und einfache Kupferdrähte die Energie von dem einen zum andern Orte führen. Durch die Arbeitsübertragung auf elektrischem Wege ist es allererst möglich, die Arbeit, welche in der Natur nutzlos geleistet wird, die Energie der Wasserfälle, auszunutzen, während man dieselbe bisher, wo sie nicht ganz dicht an der Verwendungsstelle lag, brach liegen lassen mußte. Es kann jetzt nicht mehr wundernehmen, wenn man in Vorschlag bringt, die Kohlen unmittelbar an der Förderungsstelle unter gewaltigen Kesseln zu verbrennen, Dynamomaschinen zu treiben und ihren Strom nach allen Windrichtungen hin zur Beleuchtung, Arbeitsleistung etc. zu leiten. Aber auch schon für große Fabriken, deren Gebäulichkeiten und Arbeitsstätten viel verzweigt sind, wird man mehr und mehr zum elektrischen Betrieb greifen, da mit den mechanischen Transmissionen oder gar einer weitverzweigten Dampfleitung ganz ansehnliche Verluste verbunden sind. Diese Verluste können bei großen Fabriken 50 und mehr Prozent der gesamten Betriebskraft ausmachen. Wie anders, wenn wir mit der Dampfmaschine zunächst eine Dynamomaschine treiben und den Strom nach den einzelnen Arbeitssälen senden, wo er dann, zu kleinern Elektromotoren geführt, wieder in mechanische Arbeit umgesetzt wird. Die Elektromotoren bedürfen keiner Wartung, nehmen unter allen bekannten Betriebsmaschinen den weitaus kleinsten Raum in Anspruch und haben einen Wirkungsgrad bis zu 92 Proz. Außerdem aber sind dann die einzelnen Arbeitssäle völlig unabhängig voneinander; jede einzelne Transmission kann nach Bedürfnis in Gang gesetzt und abgestellt werden, ohne daß der übrige Betrieb in Mitleidenschaft gezogen wird. Endlich aber kann an dasselbe Netz noch die Beleuchtung angeschlossen werden.

Aber auch die jetzigen, fast ausschließlich für den Lichtbedarf errichteten Zentralstationen werden demnächst ein andres Bild zeigen. Während sie bei Tage zum größten Teil brach liegen, werden sie gar bald durch Abgabe voll Strom zu motorischer Arbeit auch des Tages über voll in Betrieb sein können. Der gesamte Kleinbetrieb in den Städten wird