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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Festungen und Festungskrieg

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Festungen und Festungskrieg (neue Befestigungen in Belgien etc.).

teidigung des Abschnittes zwischen dem genannten Kanal und dem Zusammenfluß des Yères mit der Seine dient das aus sieben 12-14 km vorgeschobenen neuen Forts, 4 neuen Batterien und 6 ältern Forts nebst Redouten bestehende östliche Lager, während das südliche den zwischen dem linken Seine-Ufer von Villeneuve St.-Georges bis nach St.-Cyr belegenen Abschnitt zu decken hat. Letzteres besteht aus sieben 14-17 km von der Hauptumwallung entfernt liegenden neuen Forts, 14 neuen Batterien und 5 alten Forts. Die Fronte des westlichen Lagers erstreckt sich von Marly bis zum Walde von St.-Germain und folgt im allgemeinen dem Laufe der Seine. Es ist vorläufig daher nur ein 8 km von Paris entfernt liegendes starkes Fort erbaut, dazu treten 7 neue Batterien sowie der bekannte Mont Valérien. Der Bau von 3 großen neuen Werken, durch welche der Wald von St.-Germain mit in die Verteidigungslinie gezogen werden soll, ist in Aussicht genommen, so daß letztere demnächst bis auf 30 km vor die Hauptumwallung geschoben werden wird. Daß die sogen. Ringwälle, wenigstens die westlichen, schon bald fallen werden, liegt außer allem Zweifel. In diesem Zentralpunkt der französischen Landesbefestigung wohnen etwa 3 Mill. Menschen, deren Verpflegung im Falle einer Einschließung zwar große Schwierigkeiten bereiten, aber doch bei entsprechenden Vorbereitungen möglich sein dürfte, da von einer völligen Einschließung eines derartigen Waffenplatzes wohl keine Rede sein kann. Wenn nun vielfach, namentlich in Deutschland, behauptet wird, daß es zur Besetzung der französischen Befestigungen an genügenden Streitkräften fehle, und daß letztere der Feldarmee entzogen würden, so trifft dies nur teilweise zu, da eine Verwendung der ältern Jahrgänge der wehrpflichtigen Mannschaften im offenen Feldkrieg doch nur ganz ausnahmsweise eintreten wird; 40-45 Jahre zählende, zum großen Teil nicht ausreichend ausgebildete Leute sind gleichwie 17-19jährige Jünglinge mit Vorteil nur in befestigten Positionen, namentlich in großen Waffenplätzen zu verwenden. Wenn solche Mannschaften ausreichend verpflegt, von Märschen möglichst verschont und reichlichst mit Munition versorgt werden, so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sie bei der Verteidigung ihres häuslichen Herdes ihre volle Schuldigkeit thun werden. Als ferneres Beispiel von modernen, in größerm Stile geplanten Befestigungsanlagen kann die vielbesprochene belgische Maasbefestigung dienen. Die Lage der beiden etwa 62 km voneinander entfernt liegenden Städte Lüttich und Namur zu den südlichen und östlichen Landesgrenzen sowie zur Hauptstadt Brüssel und zur Seestadt Antwerpen, dem Zentralpunkt der belgischen Landesverteidigung, ihre Bedeutung als Knotenpunkte wichtiger Straßen- und Eisenbahnnetze kennzeichnet sie als die Thore der Maaslinie, welche gegen einen Durchbruch von Süden und Osten her zu verschließen die belgische Regierung vor einigen Jahren für ihre Pflicht erachtete. Die beiden durch den Zwischenposten Huy zu verbindenden Plätze sollen sowohl als Sperrpunkte zur Beherrschung der Maasübergänge wie als Brückenköpfe dienen und nach einer Äußerung des belgischen Kriegsministers die Operationen eines befreundeten Hilfsheers erleichtern. Zu dem Zwecke ist Lüttich durch 6 größere und 6 kleinere Forts geschützt, welche ein unregelmäßiges Zwölfeck von 2,7-6,5 km Seitenlänge bilden, mit einem Umfang von 46,2 km. Die Entfernung der Werke von der mittlern Maasbrücke beträgt 6,6-9,4 km. Die am Zusammenfluß der Sambre und Maas belegene Stadt Namur ist durch 5 große und 4 kleine Forts geschützt (38,1 km Umfang), die Werke liegen 4,6-7,5 km von der Mitte der Stadt entfernt. Als Zwischenposten dient das 30 km von Lüttich liegende Städtchen Huy, dessen Befestigungen die dortigen beiden Maasbrücken schützen sollen. Für die Verteidigung dieser angeblich mit 147 Panzertürmen zu armierenden Maasbefestigungen sind im ganzen etwa 12,650 Mann bestimmt; ob letztere Zahl ausreichen wird, ist um so mehr zu bezweifeln, als in Belgien bislang die allgemeine Wehrpflicht nicht eingeführt ist. Auf eine Verstärkung der Besatzung durch im Felde nicht zu verwendende ältere Jahrgänge der militärpflichtigen Bevölkerung wird mithin nicht zu rechnen sein, zumal bereits für die große Festung Antwerpen mit ihren vorgeschobenen Stellungen Termonde und Diest eine Besatzung von etwa 43,000 Mann vorgesehen ist.

Auch in den Niederlanden sind neuerdings großartige Vorbereitungen für die Landesverteidigung getroffen, mit der Hauptstadt Amsterdam als Mittelpunkt. Es handelt sich um die Befestigung des südlich dieser Stadt belegenen, von Kanälen und andern Wasserläufen durchschnittenen Landesteile, der durch einen besonders bei Utrecht starken Fortsgürtel gedeckt ist. Die übrigen, völlig ungeschützten Provinzen können von der schwachen niederländischen Armee, bei welcher die allgemeine Wehrpflicht noch nicht eingeführt ist, gegen einen überlegenen Gegner nicht verteidigt werden.

In den kleinern Staaten, welche ihre Neutralität durch eigne Kraft zu sichern sich bemühen, gehören auch die Schweiz, Dänemark und Rumänien.

Die Schweiz hat zunächst mit der Befestigung der St.-Gotthardpässe begonnen, bei welcher zahlreiche Panzertürme zur Aufstellung gelangen. Außerdem ist die Befestigung noch andrer Punkte im Westen des Landes in Aussicht genommen. Dänemark will binnen 7 Jahren für die Kopenhagener See- und Landbefestigungen 55 Mill. Kronen verausgaben. Rumänien deckt seine Hauptstadt Bukarest durch einen 80 km messenden Fortgürtel, hinter welchem eine Ringbahn erbaut wird; die Forts werden mit zahlreichen Grusonschen Panzerungen ausgestattet.

Österreich-Ungarn sucht nach Schleifung der Festungen Olmütz, Josephstadt und Theresienstadt seine Ostgrenze durch den Ausbau von Krakau sowie den neuen, ziemlich großen Waffenplatz Przemysl zu decken und sorgt für den Ausbau seiner Eisenbahnen an der russischen Grenze, während Rußland in den letzten Jahren große Anstrengungen gemacht hat, sich namentlich in seinen polnischen Landen festzusetzen. Zu dem Zwecke ist Warschau, das Operationsobjekt in jedem Kriege Rußlands mit seinen westlichen und südwestlichen Nachbarn, in einen großen Waffenplatz umgewandelt. Als weitere Stützpunkte dienen die ausgedehnten Festungen Kowno, Nowogeorgiewsk, Iwangorod und Brest-Litowsk (s. die Karte).

In Italien herrscht an maßgebender Stelle die Ansicht, daß es nur mit Hilfe guter und ausreichender Befestigungen möglich sei, eine große Armee schlagbereit zu machen, statt dieselbe zum Schutze der so ausgedehnten Grenzen zu zersplittern. Zu dem Zwecke wird Oberitalien namentlich nach der französischen Grenze zu durch zahlreiche Plätze und Sperrforts gesichert, Mittelitalien erhält zur Deckung der Hauptstadt sowie Neapels die Befestigungen von Rom, Monte Argentaro, Civitavecchia u. Gaeta; ferner ist die Schaffung eines Zentralpunktes der Landes-^[folgende Seite]