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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte).

und 20 Knoten Geschwindigkeit werden begonnen. 1 Torpedokreuzer von 1310 T. wird fertig, ein andrer begonnen; 1 Torpedo-Aviso von 450 T. wird fertig, 3 werden auf Stapel gelegt. 1 gepanzertes Kanonenboot, 1640 T., wird fertig, ein gleiches weiter gebaut. 2 Torpedo-Ekläreurs von 155 T. werden fertig, 10 Hochsee- und 24 Torpedoboote erster Klasse gebaut, und 50 Torpedoboote von 35 m Länge werden wegen mangelnder Seeeigenschaften umgebaut. Vgl. Exner, Einteilung und Friedensunterbringung der französischen Armee am 1. Oktober 1890 (Berl. 1890).

Über die Bevölkerungsgeschichte Frankreichs vgl. den Art. Bevölkerungsgeschichte, S. 113.

Geschichte.

Schon im März 1890 kam es zu einem Zerwürfnis im Ministerium Tirard, das durch den günstigen Ausfall der Wahlen (September 1889) für die Dauer gefestigt schien. Am meisten hatte zu dem Siege über den Boulangismus unzweifelhaft die Klugheit und Energie des Ministers des Innern Constans beigetragen. Es gab ihm das im Kabinett sowie in den Kammern und der öffentlichen Meinung ein Übergewicht, das dem Ministerpräsidenten. Tirard unbequem war, und dieser machte in seinem Ärger in einer Ministersitzung Constans den Vorwurf, daß er die Presse gegen ihn aufreize. Constans nahm sofort 2. März seine Entlassung und wurde durch den radikalen Bourgeois ersetzt. Tirard und Bourgeois erlangten zwar 3. März von der Kammer ein Vertrauensvotum, doch war das Ansehen des Kabinetts durch den Rücktritt Constans' so geschwächt, daß es sich nicht lange behaupten konnte. Die Beschickung der internationalen Arbeiterschutzkonferenz in Berlin, welche Constans beschlossen hatte und Bourgeois durchführte, wurde nicht angefochten; dagegen kam das Kabinett in Bedrängnis in der Frage der Handelsverträge, welche die Kammern sehr beschäftigte, und in der die Regierung, um sich nicht die Hände zu binden, einen Mittelweg einhielt. Bei der Erörterung des Ablaufs des türkisch-französischen Handelsvertrags gab 14. März die Mehrheit des Senats ihrem Mißbehagen und ihrer Unzufriedenheit mit der Regierung Ausdruck und nahm eine von dieser bekämpfte Tagesordnung an. Tirard reichte darauf sofort die Entlassung des Kabinetts ein. Der Präsident Carnot beauftragte Freycinet mit der Bildung eines neuen Ministeriums, das 17. März zu stande kam. Von dem frühern Kabinett traten Freycinet, Rouvier, Barbey und Guyot, welche ihre Portefeuilles behielten, ferner Fallières, der die Justiz, und Bourgeois, der den Unterricht übernahm, in das neue ein, so daß nur Tirard, Thévenet, Spuller und Faye ausschieden. Die neuen Minister waren Develle für den Ackerbau, Jules Roche für den Handel und Ribot für das Auswärtige. Das Ministerium umfaßte die gesamten republikanischen Parteien vom linken Zentrum (Ribot) bis zu den Radikalen und schien daher eine feste Basis in den Kammern zu haben. In seinem denselben mitgeteilten Programm hieß es: »Wir befinden uns in einer Epoche sozialer Umbildung, wo die Verhältnisse der Arbeiter mit Recht den Gegenstand neuer fürsorglicher Bemühungen bilden. Die erste Pflicht der öffentlichen Gewalten ist, sich zu der arbeitsamen Bevölkerung zu wenden und derselben den Weg zu einer Verbesserung ihrer Lage zu erleichtern. Keine Regierung kann sich dieser Pflicht entschlagen (dies war eine Entschuldigung der von den Chauvinisten getadelten Beschickung des Berliner Kongresses), eine republikanische muß sich mehr als jede andre von derselben durchdringen lassen. Wir werden baldmöglichst Gesetze vorschlagen, welche bezwecken, die Unterstützung, die Fürsorge, den Geist der Gegenseitigkeit, mit einem Worte alle Elemente fortschreitender Besserung des Loses der Arbeiter und der Sicherung ihrer alten Tage zu fördern. Wir halten nicht für notwendig, in ein detailliertes Programm einzugehen und die Entwürfe aufzuzählen, welche die Ereignisse zuweilen zu bloßen Versprechungen stempeln. Sie werden uns nach unsern Thaten beurteilen. Wir streben danach, eine Regierung in der wirklichen Bedeutung des Wortes zu sein.« Das hierfür von dem Ministerium erbetene Vertrauensvotum erhielt in der Kammer 318 gegen 78 Stimmen. In Wirklichkeit hatten die neuen Minister zunächst nicht die Absicht, große Reformgesetze vorzulegen, sondern nur die bestehenden Gesetze auszuführen und dabei möglichste Schonung anzuwenden: so sollten die Schulgesetze allmählich angewendet und die Verletzung der religiösen Gefühle der Bevölkerung vermieden, bei der Durchführung des Militärgesetzes Mittel gesucht werden, damit die höhern Studien und der Beruf der Geistlichen nicht unterbrochen und den Studierenden gewisser Fächer die Möglichkeit gegeben werde, den Militärdienst mit 18 Jahren zu beginnen. Das Ministerium wollte vor allem keine hohe Politik treiben, und auch die Kammer zeigte nicht die Neigung, durch Aufwerfung von Streitfragen immer neue Ministerkrisen heraufzubeschwören. Von der Revision der Verfassung, der Trennung von Kirche und Staat war keine Rede mehr, und die Verhandlungen verliefen ohne die sonst üblichen Zwischenfälle ruhig und sachlich. Es wurden hauptsächlich Steuergesetze beraten, eine Reform der direkten Steuern sowie der Zuckersteuer und die Einführung einer neuen Steuer auf Bereitung von Wein aus Rosinen; dieselben waren notwendig, um das Gleichgewicht im Budget für 1891, das noch nicht erledigt wurde, herzustellen. Der Finanzminister Rouvier erlitt in einigen Detailfragen Niederlagen, ließ sich aber dadurch nicht zur Einreichung seiner Entlassung bestimmen. Die Finanzfragen hingen mit der wichtigen Frage zusammen, wie künftig die Zolltarifverhältnisse zu regeln seien; diese mußte, da der Handelsvertrag mit Italien und der Türkei abgelaufen und nicht erneuert war, andre Verträge 1891 und 1892 abliefen, in der nächsten Zeit endgültig entschieden werden. Anfang August wurde die Kammersession geschlossen. Die Enthüllungen über den Boulangismus (s. Boulanger), welche die Royalisten und Bonapartisten bloßstellten, trugen dazu bei, die Republik zu befestigen, die 4. Sept. 1890 ihren 20jährigen Bestand feiern konnte.

Die Rüstungen wurden energisch fortgesetzt, um zu Lande und zur See den übrigen Mächten gewachsen zu sein. Erhebliche Mängel wies die Marine auf, wie der Berichterstatter über das Marinebudget im Budgetausschuß, Gerville-Réache, nachwies; die Verwaltungskosten waren zu groß, die Anschaffungen von Material für die vielen Arsenale erfolgten planlos, und die Marinewerften waren trotz ihrer großen Zahl nicht ausreichend für den Bau von neuen Schiffen, der zu langsam von statten ging; auch deuteten die vielen Unfälle französischer Kriegsschiffe auf Fehler in der Konstruktion hin. Obwohl F. seit 1871 über 3600 Mill. Fr. für seine Kriegsflotte ausgegeben hatte, war die Zahl der kriegstüchtigen Fahrzeuge seitdem von 405 auf 378 herabgegangen, während die Mächte des Dreibundes (Deutschland, Österreich und Italien) nur 2572 Mill. Fr. für ihre Flotten ausgegeben, die Zahl ihrer Kriegsschiffe aber von 290 auf 538 ver-^[folgende Seite]