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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gewerbegerichte

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Gewerbegerichte (Reichsgesetz vom 29. Juli 1890).

munalverbänden zu richten. Das Nähere hat das Statut zu bestimmen. Der Kommissionsbericht erwähnt, daß auch die rheinischen G., welche in der preußischen Rheinprovinz eingeführt wurden (s. Gewerbegerichte, Bd. 7), nach ihrer ursprünglichen Verfassung die Aufgabe gehabt hätten, den staatlichen Behörden in gewerblichen Angelegenheiten mit Gutachten zu dienen, daß diese Thätigkeit jedoch niemals zu voller Ausbildung gelangt und allmählich völlig eingeschlafen sei. Eine Thätigkeit der G. nach dieser Richtung sei aber um so mehr dort erwünscht, wo keine Gewerbekammern beständen. In Ländern, wo (wie in Sachsen, Bayern etc.) Gewerbekammern bestehen, welche dieselbe Aufgabe haben, könne aber trotzdem eine derartige Bestimmung keine Bedenken erregen, weil der Vorschlag doch nur eine Pflicht der G. einführen wolle, zu antworten, wenn sie gefragt werden, ohne ihnen ein Recht zu geben, gehört zu werden. Eine Kompetenzstreitigkeit könne also nicht eintreten. Auch würde es vom allgemeinen Gesichtspunkte aus durchaus erwünscht sein, die Möglichkeit zu haben, in gewerblichen Fragen ein Gutachten zu erhalten, das nicht einseitig von den Arbeitgebern ausgehe, wie das auch dort der Fall sei, wo Gewerbekammern beständen, da in diesen doch nur die Arbeitgeber vertreten seien. Namentlich bei den heutigen vielfachen sozialen Schwierigkeiten würde es von hohem Werte sein, im gegebenen Falle ein Gutachten zu erhalten, das kontradiktorisch zwischen Arbeitgebern und Arbeitern unter der unparteiischen Leitung eines unbeteiligten Dritten festgestellt worden sei.

Der Abschnitt V des Gesetzes (§ 71-75) regelt näher das Verfahren vor dem Gemeindevorsteher, wenn ein zuständiges Gewerbegericht nicht vorhanden ist. Nach § 120a der Gewerbeordnung war die Vorentscheidung der in Rede stehenden gewerblichen Streitigkeiten, soweit besondere Behörden nicht bestanden, obligatorisch; die ordentlichen Gerichte durften sie nicht entscheiden, sofern die Vorentscheidung nicht erfolgt war; dem Beklagten, welcher ohne sie vor das Amtsgericht gezogen wurde, stand die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zu. Vorschriften über das Verfahren vor der Gemeindebehörde fehlten, ebenso besondere Vorschriften über die Vollstreckbarkeit der Schiedssprüche. Die Gewerbeordnung hatte diese Materie der Landesgesetzgebung überlassen, und letztere hatte überall versäumt, die Lücke auszufüllen. Die rechtskräftigen Entscheidungen der Gemeindebehörde waren keine Urteile eines ordentlichen Gerichts und nicht als solche vollstreckbar. Es waren administrative Vorentscheidungen, welche den Charakter eines zivilgerichtlichen Erkenntnisses, nicht den einer polizeilichen Anordnung hatten, und auf welche bezüglich ihrer Vollstreckung daher nicht die für die Durchführung polizeilicher Anordnungen gegebenen Bestimmungen, sondern die gesetzlichen Vorschriften über die Exekution in Zivilsachen Anwendung finden sollten. In der Zivilprozeßordnung fehlten jedoch Bestimmungen, wonach diese rechtskräftigen Entscheidungen der Gemeindebehörden direkt vollstreckbar waren; sie waren jedenfalls nicht Endurteile im Sinne des § 644 der Zivilprozeßordnung. Die sofortige vorläufige Vollstreckbarkeit war zwar den Entscheidungen in Alinea 2 des § 120a beigelegt, doch führte auch diese in der Praxis vielfach zu Schwierigkeiten, da für die Gerichtsvollzieher formelle Vorschriften über die vorläufig vollstreckbaren Ausfertigungen fehlten. Die praktischen Erfahrungen, welche mit dieser Einrichtung gemacht worden sind, sprachen nicht dafür, sie in der bisherigen Ausdehnung beizubehalten. Insbesondere hat der unbedingte Zwang, welchem die Beteiligten in der Richtung unterworfen wurden, vor Angehung eines ordentlichen Gerichts ihren Rechtsstreit der Vorentscheidung einer nicht richterlichen Behörde zu unterwerfen, sich als zu weitgehend erwiesen, und bereits die Vorlage von 1878 beabsichtigte, die obligatorische Anrufung der Gemeindebehörde durch eine neue fakultative Anrufung des Gemeindevorstehers zu ersetzen und sie zugleich auf diejenigen Streitigkeiten zu beschränken, welche, wie die Streitigkeiten über Antritt, Fortsetzung oder Auflösung des Arbeitsverhältnisses sowie über das Arbeitsbuch oder Arbeitszeugnis, der schleunigen Erledigung in besonderem Grade bedürfen. Diesen Standpunkt nimmt auch das neue Gesetz ein, wobei jedoch im Einklang mit den Vorschriften des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 auch die Streitigkeiten über die Berechnung und Anrechnung der von den Arbeitern zu leistenden Krankenkassenbeiträge berücksichtigt sind. Nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen kann demgemäß, wenn ein zuständiges Gewerbegericht nicht vorhanden ist, bei Streitigkeiten der in Nr. 1 und 3 der obenerwähnten, den Gewerbegerichten zugewiesenen Rechtsstreitigkeiten jede Partei die vorläufige Entscheidung durch den Gemeindevorsteher nachsuchen. Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, ihre Ausführungen und Beweismittel in einem Termin vorzubringen. Eine Beweisaufnahme durch Ersuchen andrer Behörden findet nicht statt, auch sind Beeidigungen nicht zulässig. Kommt ein Vergleich zu stande, so ist ein Protokoll darüber aufzunehmen und von den Parteien und dem Gemeindevorsteher zu unterschreiben. Die Entscheidung ist schriftlich abzufassen; sie wird rechtskräftig, wenn nicht binnen 10 Tagen nach der Verkündigung, resp. der Behändigung von einer der Parteien Klage bei dem ordentlichen Gericht erhoben wird; sie ist von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar zu erklären, wenn nicht glaubhaft gemacht wird, daß die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde; sie kann von einer vorgängigen Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Vergleiche und Entscheidungen sind, sofern die Partei es beantragt, auf Ersuchen des Gemeindevorstehers durch die Ortspolizeibehörde nach den Vorschriften über das Verwaltungszwangsverfahren, und wo ein solches nicht besteht, nach den Bestimmungen über die Zwangsvollstreckung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu vollstrecken. Nur beim Lehrvertragsbruch des Lehrlings (§ 130 der Gewerbeordnung) ist ein unmittelbarer Zwang zur Vornahme einer Handlung zulässig. Diese Geschäfte des Gemeindevorstehers können von demselben mit Genehmigung der höhern Verwaltungsbehörde auch einem Stellvertreter übertragen werden, und die Landeszentralbehörde kann mit ihrer Wahrnehmung an Stelle des Gemeindevorstehers ein zur Vornahme von Sühneverhandlungen über streitige Rechtsangelegenheiten staatlich bestelltes Organ beauftragen.

Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung auf Gehilfen und Lehrlinge in Apotheken und Handelsgeschäften sowie auf Arbeiter, welche in den unter der Militär- und Marineverwaltung stehenden Betriebsanlagen beschäftigt sind.

Der § 77 hat noch die Errichtung besonderer G. für Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebene Brüche und Gruben durch direkte Anordnung der Landeszentralbehörde mit pri-^[folgende Seite]