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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Grenzwert

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Grenzwert (volkswirtschaftlich).

wir je nur Mengen bis zu bestimmter Höhe in angemessener Weise verwenden. Kleinere Mengen erwecken eine gewisse Befriedigung. Das Gefühl der Befriedigung wird um so größer, je größer die Menge wird; aber diese Zunahme ist keine schrankenlose. Von einem gewissen Punkte ab können Lust und Annehmlichkeit in Unlust und Unannehmlichkeit umschlagen. Für den Dürstenden ist eine kleine Menge eines Getränks außerordentlich wertvoll; aber er kann sich nicht mehr als satt trinken. Nimmt er mehr von dem Getränk zu sich, so ist die Wirkung ein Gefühl des Unbehagens. Das Gleiche gilt auch von Speisen, ebenso von Kleidungsstücken etc. Ein Anzug ist uns als Schutz gegen die Unbilden der Witterung oder auch im Interesse der Wohlanständigkeit unentbehrlich. Ein zweiter kann uns, schon um mit der Kleidung wechseln zu können und auch im Interesse der Bequemlichkeit, recht wertvoll sein. Wären wir aber genötigt, uns Tausende von Anzügen zu beschaffen und sie auch alle in raschestem Wechsel zu benutzen, so würden uns empfindliche Lasten und Kosten erwachsen. Aber auch bei Bedürfnissen geistiger Art, deren Befriedigung nicht unmittelbar ein körperliches Wohlbefinden hervorruft, können wir leicht ähnliche Erscheinungen beobachten. Ein Zuviel hat bekanntlich Blasiertheit, Abstumpfung und endlich Widerwillen und Ekel zur Folge.

Aus diesen Thatsachen ergibt sich für uns eine Richtschnur für unser wirtschaftliches Verhalten und unsre Haushaltsordnung. Unsre gesamte Aufwandsfähigkeit an Kräften und Mitteln ist jeweilig eine bestimmt gegebene. Unsre Bedürfnisse sind aber einer praktisch unbegrenzten Ausdehnung fähig, wir können uns die mannigfaltigsten Zwecke setzen, die verschiedensten Gegenstände verwenden. Nun werden wir suchen, die höchstmögliche Gesamtbefriedigung zu erzielen. Dies höchste Maß wird aber nicht dadurch erreicht, daß wir bei einer oder wenigen Güterarten ein Maximum erstreben, sondern wir müssen von den verschiedensten Gütern, welche Gegenstand unsers Verlangens sind, so viele zu erlangen suchen, daß die Werte je der letzten Mengen der verschiedenen Arten einander gleich sind. Nun ist aber der Wertbegriff, der ein Größenbegriff ist, ebenso wie letzterer überhaupt, ein Ergebnis der Vergleichung. Sind uns 10 Lit. Bier soviel wert wie 2 L. Branntwein, so ist uns 1 L. Branntwein fünfmal soviel wert als 1 L. Bier, oder wenn wir den Wert von 1 L. Bier = 1 setzen, so würden wir denjenigen von 1 L. Branntwein mit der Zahl 5 beziffern. In dieser Art verfahren wir mit dem Gelde. Wir setzen einfach den Wert von 1 Mk. = 1. Geben wir für die Einheit einer Güterart eben noch 10 Mk., so ist uns dieselbe 10 Mk. wert. Haben wir nun eine bestimmte Anzahl von Mark zur Verfügung, so werden wir von den verschiedenen Güterarten so viel erwerben, daß je der Grenznutzen der einen, dividiert durch den Preis derselben, gleich dem Grenznutzen der andern, dividiert durch deren Preis, ist, mit andern Worten, daß wir mit der letzten Mark überall einen gleich hohen Grenznutzen erkaufen. Der einen Verwendung werden wir so lange Mittel entziehen und für eine andre benutzen, als der Verzicht auf der einen Seite durch den Vorteil auf der andern Seite überwogen wird. Der größte Nutzen aber wird erzielt, sobald auf beiden Seiten Gleichheit besteht.

Sei unser Begehr gerichtet auf Seide und Bier, sei die Summe, über welche wir verfügen, gleich 108 Mk., der Preis eines Hektoliters Bier gleich 9 Mk., der eines Meters Seidenstoff gleich 18 Mk. und seien Nutzen der Gesamtmenge und der Grenznutzen durch folgende Zahlen ausgedrückt, wobei G/P den Quotienten als Grenznutzen und Preis darstelle:

Preis Nutzen Grenznutzen G/P

der ganzen Menge

Hektoliter 1 9 50 50 5 5/9

2 18 92 42 4 6/9

3 27 128 36 4

4 36 162 34 3 7/9

5 45 192 30 3 3/9

6 54 205 13 1 4/9

7 63 211 6 6/9

8 72 213 2 2/9

Meter 1 18 37 37 2 1/18

2 36 69 32 1 14/18

3 54 95 26 1 8/18

4 72 113 18 1

5 90 123 10 10/18

6 108 128 5 5/18

7 126 130 2 2/18

8 164 131 1 1/18

Der größte Nutzen wird erzielt, wenn 3 m Seide und 6 hl Bier gekauft werden. Der G. für 6 hl, d. h. der Wert für das 6. hl, ist, in einer absoluten Zahl genommen, gleich 13. Diese Größe durch den Preis dividiert, gibt 1 4/9; dies wäre die Menge Nützlichkeit, welche man für 1 Mk. erstehen kann. Ebenso finden wir für 3 m Seide die Größe 1 4/9. Der dann erzielte Gesamtnutzen wäre gleich 95 + 205 = 300. Für jede andre mögliche Zusammensetzung von Mengen Seide und Bier, welche für 108 Mk. gekauft werden könnten, ist der Gesamtnutzen kleiner. So finden wir für 6 m Seide 128, für 5 m Seide und 2 hl Bier 215, für 4 m Seide und 4 hl Bier 275 und für 2 m Seide und 8 hl Bier 282. Alle diese Größen sind kleiner als 300. Bei einer richtigen Ordnung des Haushalts würden demnach die Grenzwerte der verschiedenen Güter, welche man erwirbt, je gleich dem Preise derselben sein. Der Preis eines Meters Seide ist 18 Mk. Die absolute Zahl für den Grenznutzen von 3 m, also für die Nützlichkeit des 3. Meters, ist 26. Als relative Zahl, d. h. Seide verglichen mit Geld, erhalten wir 26/1 4/9 = 18, oder das 3. Meter Seide ist uns eben noch die 18 Mk. wert, welche wir für dasselbe geben müssen. Wäre der Preis höher, so würden wir dieses 3. Meter nicht mehr kaufen. Der Preis der 3 m zusammen genommen ist gleich 3×18 = 54 Mk. Ist 18 Mk. der normale Marktpreis, so würden wir 54 Mk. auch als Tauschwert von 3 m bezeichnen. 126 Mk. wäre der Preis und auch der Tauschwert von 7 m Seide. Dagegen schätzt der Käufer diese 7 m nicht so hoch. Er würde bewerten das 1. zu 37/1 4/9 = 25 12/13, das 2. zu 22 2/13, das 3. zu 18 Mk., dagegen das 4. auf 12 6/13, das 5. auf 6 12/13, das 6. auf 3 6/13 und das 7. auf 1 5/15 Mk., demnach alle 7 m zusammen auf 90 4/13. Die ersten 2 m schätzt er höher, die letzten 4 dagegen niedriger als den Marktpreis oder den sogenannten Tauschwert.

Die Wertskala, wie sie oben in einem Beispiel dargestellt wurde, ist nicht für alle Menschen die gleiche, sie ist auch für einen und denselben Menschen keine feststehende, sondern sie kann zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Gestalten aufweisen. Der Gestaltung selbst wird man sich kaum jemals voll bewußt. Weil dies eben praktisch nicht nötig ist, so fragt man sich auch nicht, wieviel man für das 1., 2., 3. etc. Hektoliter gerade noch zahlen würde. Dagegen wird jeder, welcher wirtschaftliche Erwägungen anstellt, sich darüber klar zu werden suchen, welche Menge er bei gegebenem